Sächsische Zeitung, 24.05.2008
"Mit der Ignoranz des Allwissenden..."
Stimmen zum Abgang von Ministerpräsident Georg Milbradt, (von Karl Nolle, Antje Hermenau, Andre Hahn, Holger Zastrow, Erich Iltgen, Hanjo Lucassen und Hans Deppe)
Mit der Ignoranz des Allwissenden
Aufbruch statt Routine – so Ritter Georgs Hornsignal um König Kurts Abgang nachzuhelfen. Der dankte ab und lobte Ritter Georg als „guten Fachmann“ aber „schlechten Politiker“. Aufbruch? Fehlanzeige. Gutsritter Georg wusste alles besser, auch wenn er nie „im Detail“ unterrichtet war. Er bügelte Kritiker ab in Partei, Regierung und Parlament. Die Ignoranz des Allwissenden machte ihn immun gegen Kritik an seinem Lieblingskind SachsenLB. Mein Fazit: Politiker, die keine Verantwortung tragen wollen oder können, sollten lieber nicht regieren.
Karl Nolle, SPD-Landtagsabgeordneter
Solide Finanzen als größte Leistung
Die größte Leistung Georg Milbradts waren solide Staatsfinanzen. Jetzt, da er seine Politik mit dem Abbau der Staatsverschuldung hätte krönen können, brachte er sich durch das Landesbank-Debakel um die Früchte seiner Arbeit. Milbradts größter Fehler ist seine Wahrnehmung, klüger als alle anderen zu sein. Er ignorierte selbst die Ratschläge seiner Parteifreunde, die ihn am Ende nur noch loswerden wollten. In Energiefragen steckt er in der ideologischen Sackgasse: Sachsens Solarbranche boomt trotz, nicht wegen seiner Politik.
Antje Hermenau, Grünen-Fraktionschefin
Flutkatastrophe gut bewältigt
Der unfreiwillig scheidende Ministerpräsident hat durchaus Verdienste, zum Beispiel eine solide Haushaltsführung bis zum Landesbank-Skandal und sein Krisenmanagement während der Flutkatastrophe von 2002. Dass er sich bis heute weigert, die politische Verantwortung für das Bank-Desaster zu übernehmen, das die Steuerzahler Milliarden kosten wird, ist nur noch peinlich. Ein würdevoller Abgang sieht anders aus. Milbradt hat das Parlament nie wirklich ernst genommen, der Umgang mit demokratischer Kontrolle und Kontrahenten war ihm zunehmend lästig.
Andre Hahn, Chef der Linksfraktion
Zu sehr Verwalter, nicht Gestalter
Aufbruch statt Routine – mit diesem Anspruch war Georg Milbradt 2001 angetreten, Kurt Biedenkopf zu beerben. Mit glänzenden Startvoraussetzungen: Milbradt hatte als damals dienstältester Finanzminister Deutschlands einen entscheidenden Anteil, dass sich Sachsen rasch zur Nummer eins unter den ostdeutschen Ländern entwickelte. Eine solide Finanzpolitik war stets sein Markenzeichen. Als Ministerpräsident war er aber zu sehr Verwalter, nicht Gestalter. Aus dem Sparkommissar wurde nie ein Landesvater. Unterm Strich blieb Routine statt Aufbruch.
Holger Zastrow, FDP-Landeschef
Erfolgreich mit großer Kompetenz
Herr Prof. Dr. Georg Milbradt gehört zu den führenden Wegbereitern unseres Freistaates Sachsen. In all den Jahren seiner politischen Tätigkeit in Sachsen, in der Zeit des Umbruchs unmittelbar nach der friedlichen Revolution genau wie in den Jahren des Aufbaus unseres Freistaates, hat Georg Milbradt erfolgreich seine große Fachkompetenz in den Dienst des Landes gestellt. Dass Sachsen heute zu den dynamischsten Bundesländern gehört und nicht nur in Ostdeutschland in vielen Bereichen eine Spitzenposition einnimmt, ist in hohem Maße ihm zu verdanken.
Erich Iltgen, Landtagspräsident Sachsen
Ein fairer, aber harter Verhandler
Georg Milbradt hat insgesamt große Verdienste beim Aufbau Sachsens. Sein Detailwissen machte den „Sparkommissar“ zu einem harten, aber fairen Verhandlungspartner, zum Beispiel in den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst. In der Wirtschafts- und Sozialpolitik stimmten die Gewerkschaften oft nicht mit Milbradt überein. Die ausführliche Diskussion der demografischen Entwicklung hat für Sachsen wichtige Akzente gesetzt. Milbradts Appell an die Bürgermeister zur aktiven Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus bleibt eine wichtige Aufgabe.
Hanjo Lucassen, DGB-Chef Sachsen
Mega-Ansiedlung als Chefsache
Im Herbst 2002 wurde klar, dass sich Chancen für ein zweites AMD-Werk in Dresden eröffneten. Die Notwendigkeit, schnell mit neuen Produkten auf den Markt zu kommen, hatte einen stolzen Preis – mehr als zwei Milliarden Euro. Ich erinnere mich genau an die Reaktion von Professor Milbradt, als ich ihm mitteilte, dass Sachsen eine Aussicht auf eine Mega-Investition hat. Er machte das Projekt sofort zur „Chefsache“. Drei Jahre später nahmen wir die AMD Fab 36 in Rekordzeit in Betrieb. Das ist auch sein ganz persönlicher Verdienst, und dafür möchte ich ihm danken.
Hans Deppe, Dresdner AMD-Chef