Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 26.05.2008

Hätte die Sachsen-LB besser pleitegehen sollen?

 
Perspektiven – unter diesem Titel veröffentlicht die Sächsische Zeitung kontroverse Kommentare, Essays und Analysen zu aktuellen Themen. Texte, die aus der ganz persönlichen Sicht des Autors Denkanstöße geben, zur Diskussion anregen sollen. Der Dresdner Wirtschaftswissenschaftler Alexander Karmann analysiert die derzeitige Vertrauenskrise an den internationalen Finanzmärkten und wägt das Für und Wider staatlicher Rettungsmaßnahmen ab, die schwere Schäden vom Bankensystem abhalten sollen.

Noch nie in den vergangenen fünfzig Jahren war eine Finanzkrise so ernst – und so anhaltend. Der deutsche Branchenprimus Deutsche Bank schreibt rote Zahlen. Landesbanken trudeln oder werden abgewickelt. Großbritannien verstaatlicht die Privatbank Northern Rock. Systemängste dominieren das internationale Finanzparkett. Alles scheint möglich in dieser Krise um unterversicherte Hypotheken und verbriefte Kreditpakete, die bereits vor gut einem Jahr in den USA ihre ersten Schatten warf.

Die Öffentlichkeit ist irritiert. Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann und Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) rufen in ungewohnt trauter Eintracht nach der Hilfe des Staates und sehen das Finanzsystem bedroht. Bundesbankpräsident Axel Weber hält strikt dagegen. Was ist da los? Warum kommen die Banken immer wieder in Notlagen? Was können die Zentralbanken tun? Wie müssen Regierungen reagieren? Und wann? Die Antworten erscheinen diffus, wenn nicht widersprüchlich. Eine systematische Diskussion fehlt.

Das Geschäft der Banken unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt grundsätzlich von dem anderer Wirtschaftsunternehmen: Aktiv arbeiten die Banken mit Krediten, die langfristig angelegt sind. Refinanziert werden diese über Einlagen (Passivgeschäft), die sind jedoch prinzipiell kurzfristig. Damit gehört das Risiko einer Bankenpleite zum unabdingbaren Bestandteil des Finanzgeschäfts. Es völlig auszuschließen hieße, auf Bankgeschäfte zu verzichten.

In normalen Zeiten stellt dieses Risiko kein Problem dar, da abgezogene Einlagen schnell durch neue ersetzt werden. Es bildet sich ein Grundstock an Kapital, über den die Banken im Kreditgeschäft verfügen. Diese Situation ändert sich aber schlagartig, wenn viele Einleger das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit ihrer Bank verlieren – oder wenn sie sich nicht mehr sicher sind, dass andere Einleger der Bank vertrauen. Dann werden plötzlich mehr Einlagen abgezogen als geplant, der Kapitalgrundstock schwindet, und die Bank hat ein Refinanzierungsproblem. Das resultiert nicht aus Kreditausfällen, sondern aus Vertrauensverlust.

Vertrauensbildung und das Schaffen eines möglichst geringen Illiquiditätsrisikos sind wesentlich, um ein Bankensystem funktionsfähig zu halten. Deshalb sind die Banken auch wesentlich stärkeren Regulierungen unterworfen als die anderen Wirtschaftsbereiche. Scharfe Bilanzvorschriften geben vor, wie viel Kreditgeschäft bei welchen potenziellen Ausfällen höchstens eingegangen werden darf. Dies wird in Relation zum vorhanden Eigenkapital gesetzt. Das Eigenkapital dient als Sicherheitspuffer. Prinzipiell können damit auch Schwankungen bei den Einlagen abgefedert werden.

Um Einlagen auch im Fall von Liquiditätsengpässen abzusichern, gibt es wiederum die gesetzlich vorgeschriebenen sowie die ergänzenden privaten Einlagensicherungssysteme für die jeweiligen Bankengruppen. Vertrauen in das Bankensystem wird schließlich und drittens durch die Zentralbanken geschaffen, die den Kreditinstituten zeitlich befristet Geld zur Verfügung stellen. Und trotzdem: Immer wieder misstrauen Kunden einer Bank, was dann in panischen Abhebungen endet, wie es jüngst bei der britischen Northern-Rock-Bank zu beobachten war. Auch dort lag die tiefere Ursache in der Vertrauenskrise, die derzeit noch immer den Liquiditätshandel zwischen den Banken beherrscht. Woher kommt diese Krise?

Banken, vor allem europäische, hatten in großem Umfang mit US-Immobilien besicherte Kredite von US-Banken in verbriefter Form aufgekauft. Problematisch an solchen Geschäften ist, dass die kaufende Bank das mit dem jeweiligen Kreditkunden verbundene Risiko schwerer einschätzen kann als die verkaufende Bank. Ein wesentlicher Vorteil allerdings ist, dass solche Geschäfte in der Bilanz nicht auftauchen müssen und daher nicht den strengen Regulierungsvorschriften unterliegen. Dies erlaubt es der Bank – völlig legal – größere Risiken einzugehen als sie es bilanziell eigentlich dürfte. So können bei gutem Ausgang höhere Renditen erzielt werden. Bei der inzwischen verkauften Landesbank Sachsen war das über Jahre ein erfolgreiches Modell.

Die Sachen-LB zeigt aber auch beispielhaft die Folgen, wenn es nicht gut geht. Sie gehörte über ihre Tochterbank zu den Geldhäusern, die US-Immobilien-besicherte Forderungen in ihren Büchern hatten und so eine doppelte Lektion erteilt bekamen: Sie musste Wertverluste ihrer verbrieften Kreditpapiere hinnehmen und konnte eigene Liquiditätsprobleme nicht überbrücken, da kein Finanzakteur so recht mehr dem anderen trauen wollte.

In einer Situation, in der Vertrauensdefizite die Marktteilnehmer lähmt, stellt sich die Frage: Welche Rolle soll dem Staat prinzipiell und der Zentralbank im konkreten Fall bei Ausfällen im Bankensektor zukommen? Staatliche Rettungsgarantien als eine Art Vorabbonus, wie sie bis 2005 bei öffentlich-rechtlichen Geldhäusern üblich waren, verbieten sich. Zum einen lebt unsere Wirtschaft davon, dass nur überlebt, wer am Markt besteht. Zum anderen würden Garantien ein risikoreicheres Bankenverhalten geradezu herausfordern – zulasten der gesamten Gesellschaft: Planbar höhere Gewinne blieben beim Unternehmen, mögliche Verluste würden auf die Allgemeinheit garantiegemäß abgewälzt.

Also hätten die Sachsen-LB oder die Mittelstandsbank IKB in die Pleite schlittern müssen? Pauschal ist dem nicht beizukommen. Im Falle einer einzelnen Bank geht es um Einlegerinteressen, die durch die Sicherungssysteme hinreichend abgedeckt sind, und es geht um Interessen der Anteilseigner oder Aktionäre.

Dem ist zunächst das allgemeine Unternehmerrisiko in einer Marktwirtschaft gegenüberzustellen. Wenn wir nun trotzdem erleben, dass eigentlich zahlungsunfähigen Banken durch staatliche Eingriffe ein Überleben am Markt ermöglicht wird, dann muss es offenbar gewichtigere Gründe geben.

Was kann eine Quasi-Verstaatlichung einzelner Banken gesellschaftlich rechtfertigen oder gar ein allgemeines Umtauschangebot von schlechten privaten Krediten gegen Staatsschuldtitel, wie das jüngst der Chef der US-Zentralbank, Ben Bernanke, initiiert hat? Der einzige Grund dafür ist: Es geht um strukturelle Risiken, die das ganze Bankensystem bedrohen. Dies kann durch den drohenden Ausfall einer großen Bank verursacht sein, die im Dominoeffekt viele andere Banken mitreißen würde. Oder es droht einer bedeutenden Anzahl von Einzelkreditinstituten die Pleite. In beiden Szenarien wäre ein maßgeblicher Teil des monetären Systems lahmgelegt. Die Folgen für die reale Wirtschaft – etwa bei der Geldversorgung – wären dann beträchtlich.

Wenn sich nun angloamerikanische Länder zu Rettungsplänen veranlasst sehen, warum sollte dann nicht auch in Deutschland eine IKB gerettet oder einer Bayern-LB unter die Arme gegriffen werden? Die Antwort ist einfach: Nötig gewesen wäre das nicht. Denn es gibt noch hinreichend viele andere Banken in Deutschland, die das Geschäft hätten übernehmen können, ohne dass der Wettbewerb darunter leidet.

Eine existenzielle Bedrohung des Finanzsystems ist derzeit nicht auszumachen, weder in Deutschland noch in der Eurozone; jedenfalls so lange nicht, wie die Vertrauenskrise unter Banken partiell bleibt und die Europäische Zentralbank die Liquiditätsklemme überbrücken kann.
Von Alexander Karmann

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: