Neues Deutschland ND, 16.06.2008
Gegenseitige Wahlhilfe in Sachsens Kommunen
Absprachen vor der zweiten Runde der Landrats- und Bürgermeisterwahl / In Chemnitz wählen LINKE und CDU gemeinsam
Vor der zweiten Runde der Kommunalwahl in Sachsen haben sich LINKE und SPD vielerorts abgesprochen. Die CDU könnte sich in Warnungen vor Rot-Rot bestätigt sehen – wenn sie nicht selbst mit der LINKEN paktierte.
In Dresden werden heute der SPD-Landtagsabgeordnete
Karl Nolle, der Ex-Fraktionsvorsitzende Cornelius Weiss und der örtliche DGB-Chef Ralf Hron empfehlen, bei der zweiten Runde der OB-Wahl am Sonntag einen LINKEN zu wählen. Im Duell zwischen Sozialministerin Helma Orosz (CDU) und dem früheren Schweriner Staatssekretär Klaus Sühl gehe es nicht nur darum, welche Rolle soziale Gerechtigkeit künftig in der Stadt spielt und ob der Welterbetitel erhalten wird, heißt es in einem Unterstützeraufruf, den auch etliche Bündnisgrüne unterschrieben haben. Entschieden werde zudem, ob das Rathaus weiter selbstständig handele »oder als verlängerter Arm der CDU-Staatskanzlei«.
Der Appell mit dem Titel »Weil sich etwas ändern muss« ist deutlichster Hinweis auf eine ganze Reihe von Absprachen vor allem zwischen LINKE und SPD vor der zweiten Runde der Kommunalwahlen in Sachsen. Damit soll aussichtsreich platzierten Bewerbern der jeweils anderen Partei geholfen, nicht zuletzt aber der CDU geschadet werden. Das Kalkül: Mit vereinten Kräften können deren im ersten Wahlgang teils knapp an der absoluten Mehrheit gescheiterten Kandidaten doch noch abgefangen werden.
In Dresden wird das ein hartes Stück Arbeit. Hier war Orosz vor einer Woche auf über 48 Prozent gekommen. Vor der zweiten Runde erhielt sie zudem Unterstützung von der FDP, deren Bewerber Dirk Hilbert (12 Prozent) verzichtet und dafür Erster Bürgermeister werden soll. Orosz nannte das Bündnis ein »Pilotprojekt« für Sachsen, wo die FDP vor der Landtagswahl 2009 unverhohlen um die Gunst der CDU buhlt und die SPD als Regierungspartner ablösen will.
Ob LINKE, SPD und Grüne ihr erklärtes Wahlziel noch umsetzen können, einen CDU-Sieg zu verhindern, ist fraglich: Ihre drei Kandidaten hatten in der ersten Runde zusammen gerade einmal 37 Prozent erreicht. Die drei Parteien hatten sich bereits vorab geeinigt, im zweiten Durchgang nur den Bestplatzierten ins Rennen zu schicken. Dass dies ausgerechnet der Kandidat der in Dresden zuletzt zerstrittenen LINKEN sein würde, der zwar auch nur auf nicht eben überragende 14,5 Prozent kam, aber damit noch vor SPD-Mann Peter Lames und der Grünen Eva Jähnigen lag, überraschte offenbar die Verbündeten. Sie zogen zwar ihre Bewerber zurück, rangen sich aber zunächst nur zu halbherzigen Wahlaufrufen durch. Es eröffne sich die »Möglichkeit, jenseits der CDU politische Mehrheiten zu suchen«, hieß es in einer Erklärung der SPD Dresden; zur Wahl Sühls wurde freilich nicht explizit aufgerufen. Der jetzt vorgestellte Appell soll diesen Eindruck offenkundig korrigieren.
Mehr oder weniger offen eingestandene Absprachen gibt es auch in anderen Teilen des Freistaats. So zieht sich im Landkreis Leipzig die LINKE Kerstin Köditz zurück und eröffnet damit der bisher einzigen SPD-Landrätin Petra Köpping die Chance, den besser platzierten CDU-Mitbewerber Gerhard Gey doch noch abzufangen. Dieser ist noch Verwaltungschef im Kreis Muldental, der, wie alle Landkreise in Sachsen, ab 1. August in einem größeren Landkreis aufgeht, in diesem Fall mit dem von Köpping regierten Leipziger Land. Quasi im Gegenzug für den Rückzug von Köditz bewirbt sich die SPD nicht mehr um den Rathaus-Chefposten in der künftigen Kreisstadt Borna.
Genau anders herum liegen die Dinge im Erzgebirge. Dort steigen die Chancen für den linken Landtagsabgeordneten Klaus Tischendorf, den in der ersten Runde mit 42,9 Prozent doppelt so starken CDU-Mann Frank Vogel abzufangen, gleich aus zwei Gründen. Zum einen bekommt Vogel im früheren Stollberger CDU-Landrat Udo Hertwig, dem deshalb sogar der Parteiausschluss angedroht wird, unerwünschte Konkurrenz im eigenen Lager, zum anderen zieht sich die SPD zurück. Dagegen profitieren deren OB-Kandidaten in Zwickau und Annaberg-Buchholz vom Verzicht der LINKEN.
Während diese Absprachen auf eine Lagerbildung vor der Landtagswahl 2009 hindeuten und das Verhalten von LINKE und SPD die notorischen CDU-Warnungen vor einem rot-roten Bündnis untermauern könnte, bringt ein anderer Fall die CDU in Erklärungsnot: Bei der Wahl von drei Fachbürgermeistern in Chemnitz halfen sich LINKE und CDU offenbar gegenseitig, ihren jeweiligen Favoriten ins Amt zu verhelfen, im Fall der LINKEN dem parteilosen bisherigen Amtsrichter und künftigen Rechtsdezernenten Miko Runkel. In Teilen der Union sorgt das Vorgehen für helle Aufregung; ein Ratsmitglied trat sofort nach der Wahl aus der Fraktion aus, die Basis ist in hellem Aufruhr. CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer vollführte einen verbalen Eiertanz, indem er erklärte, keine Zusammenarbeit »mit der PDS« zu wollen, aber bei der Mehrheitsfindung zuweilen eben auf diese angewiesen zu sein. Sein SPD-Counterpart Dirk Panter beklagte deutlich angesäuert, die CDU veranstalte Rote-Socken-Kampagnen, steige jedoch, »wenn es um Macht und Posten geht, mit den Linken ins Bett«. Bevor sie vor rot-roten Koalitionen warne, fügte er hinzu, müsse sich die CDU »ihrer eigenen Blockflöten-Vergangenheit stellen«.
Von Hendrik Lasch, Dresden