Freie Presse Chemnitz, 15.08.2008
„Wiederbelebte Kriegsmentalität”
Hessens Linksfraktionschef, Willi van Ooyen, über Rot-Rot-Grün und seine Rolle als Bürgerschreck
In der Zerreißprobe der SPD um eine Annäherung an die Linkspartei spielt er das Zünglein an der Waage. Willi van Ooyen (6i) führt die sechsköpfige Linksfraktion in Hessens Landtag. Hubert Kemper sprach mit ihm über die Tolerierung einer Minderheitsregierung von Andrea Ypsilanti (SPD) und seinen Ruf als Bürgerschreck und Investitionshindernis.
Freie Presse: Warum scheuen Sie Neuwahlen, um einen Ausweg aus der verfahrenen Situation zu finden?
Willi van Ooyen: Die Linke hat keine Angst vor Neuwahlen, sondern es geht darum, die gegenwärtige Chance zu nutzen. Es besteht die Möglichkeit, bis 2013 in Hessen einen politischen Richtungswechsel hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit umzusetzen. An der momentanen Situation erfreulich ist, dass es derzeit keine Fernsteuerung durch die Staatskanzlei gibt. Das Parlament ist also souveräner geworden.
Freie Presse: Aber die Geschäfte führt die alte CDU-Regierung. Wie hoch wird der Preis sein, den Sie Ypsilantifiir deren Duldung abverlangen?
Van Ooyen: Man muss nicht alles ausreizen, was man an Möglichkeiten hat. Ich bin für pädagogische Ansätze. Ich setze auf die Lernfähigkeit von Menschen.
Freie Presse: Ein Altkommunist, wie Sie gern tituliert werden, als Zünglein an der Waage. Ist das nicht eine Zumutungfiir das hessische Bürgertum?
Van Ooyen: Ich halte solche Titulierungen für Ausdruck der Befangenheit, die der gängigen Wiederbelebung von Kalter-Krieg-Mentalität und Kriegsmentalität in der CDU entspricht. Doch sie verfängt nicht in der Öffentlichkeit.
Freie Presse: Warum nicht?
Van Ooyen: Schauen Sie in die Vergangenheit: In Hessen wurde mit Joschka Fischer erstmals eine rotgrüne Koalition gebildet. Es besteht nun die Möglichkeit, nach Schröders Sozialkahlschlag und der Kriegspolitik fällige Veränderungen bei SPD und Grünen einzuleiten.
Freie Presse: Also wollen Sie helfen, die SPD weiter nach links zu treiben.
Van Ooyen: Wir wollen größere soziale Gerechtigkeit. Und das geht nur, indem die Umverteilung von unten nach oben umgekehrt wird.
Freie Presse: Hessen ist schon stark verschuldet. Wie wollen Sie Ihre Wohltaten finanzieren?
Van Ooyen: Hätten wir die Steuerquote wie unter der Regierung Kohl, stünden heute 1,6 Milliarden Euro mehr zur Verfügung. Dieses Geld, das in die Kasse der Reichen und Unternehmen geflossen ist, würde völlig ausreichen, um zum Beispiel die Defizite bei den Bildungsausgaben in Hessen auszugleichen.
Freie Presse: Ohne die Reformpolitik würden wahrscheinlich zwei Millionen Menschen mehr arbeitslos sein.
Van Ooyen: Die Probleme des Arbeitsmarktes kann man nicht durch Bestrafungsaktionen wie bei Hartz IV lösen. Es fehlen doch weitgehend Arbeitsplätze.
Freie Presse: Ein rot-grünes Bündnis von Ihren Gnaden: Ist das nicht eine Kampfansage an den Wirtschaftsstandort Hessen?
Van Ooyen: Die CDU mag das so sehen. Gerade der Mittelstand würde doch auch von einer anderen Politik profitieren.
Freie Presse: Sie würden beispielsweise den Ausbau des Flughafens stoppen und aus der Kernenergie aussteigen wollen.
Van Ooyen: In Sachen Atomausstieg sind wir uns mit Frau Ypsilanti einig. Außerdem benötigen wir eine neue, eine vernünftigere Verkehrspolitik. Da kann unser Veto beim Flughafenausbau ein wichtiges Haltesignal sein. Im Energiebereich wollen wir zusammen mit SPD und Grünen den erneuerbaren Energien Vorrang einräumen.
Freie Presse: Andrea Ypsilanti ist im eigenen Lager nach Ihrem Wortbruch umstritten und in den Umfragen stark abgerutscht. Sind Ihre Wechselpläne nicht auf Ton gebaut?
Van Ooyen: An uns wird es nicht liegen: Die Stimmen unserer Abgeordneten sind Ypsilanti sicher.