spiegel-online, 30.08.2008
Lafontaine gibt den willigen Helfer für die Ypsilanti-SPD
Aus Lollar berichtet Björn Hengst
So freundlich hat Oskar Lafontaine schon lange nicht mehr über einen Sozi gesprochen. Der Parteichef der Linken lobte die hessische SPD-Frontfrau Ypsilanti beim Landesparteitag der Linken über den Klee - und ebnete damit den Weg für die Tolerierung einer rot-grünen Minderheitsregierung in Wiesbaden.
Lollar - Drinnen verteilen Helfer seitenweise Initiativ- und Änderungsanträge, es werden Dutzende Für- und Gegenreden gehalten, der Zeitplan ist am Samstagnachmittag mehr als zwei Stunden überzogen: Es ist kein normaler Parteitag für die hessische Linkspartei in Lollar. Das macht an diesem Wochenende aber draußen schon die politische Konkurrenz deutlich, die kommt nämlich auch vorbei.
Zuerst am Freitag die CDU: Die Junge Union spannt ein Transparent auf dem Platz vor dem Bürgerhaus in dem Ort bei Gießen auf: "Zukunft? Das geht nicht mit Links", steht darauf und auf Aufklebern werden sie noch etwas deutlicher, warum sie hierhergekommen sind: "Keine Verharmlosung des DDR-Unrechtsregimes", "Freiheit statt Sozialismus". Die Linkspartei wolle "den Sozialismus wiedereinführen", warnen sie in einem Flugblatt und stehen mit verschränkten Armen und kritischen Blicken vor dem Tagungsort der Linkspartei. Sie halten deutlichen Abstand zum politischen Gegner.
Ganz anders die Grüne Jugend: Einen Obstkuchen bringt sie mit, und auch der ist ein politisches Signal: Rot-grün-rot, das sind die Farben der Glasur - Delegierte der Linkspartei und Grüne essen ihn zusammen. Sie könnten sich wohl auch mehr vorstellen als ein gemeinsames Kaffeekränzchen - eine Zusammenarbeit im Wiesbadener Landtag etwa.
Genau darum geht es in Lollar. Um die Frage, ob die Linkspartei bereit ist, eine von der hessischen SPD-Frontfrau Andrea Ypsilanti angeführte rot-grüne Minderheitsregierung zu unterstützen, um Ministerpräsident Roland Koch (CDU) loszuwerden.
Lafontaine: "Auswirkungen auf Länder über Deutschland hinaus"
Es wäre das erste Mal, dass die Linkspartei in einem westdeutschen Bundesland Einfluss auf die Regierungsarbeit nehmen würde - und damit ein weiterer Triumph der Linkspartei nach ihrem Einzug in die Landtage von Bremen, Niedersachsen, Hessen und Hamburg. Die Union schäumt schon: Saarlands Ministerpräsident Peter Müller (CDU) sprach sich jetzt für ein Ende der Großen Koalition aus, sollte sich Ypsilanti mit Hilfe der Linkspartei zur hessischen Regierungschefin wählen lassen: "Es gibt einfach keine Verlässlichkeit mehr", sagte er der "Bild am Sonntag" - damit spielte er auf Äußerungen von Ypsilanti im Wahlkampf an, in denen sie eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei ausgeschlossen hatte.
Die grenzüberschreitende Mission des Oskar Lafontaine
Darüber kann ein anderer Saarländer nur lachen: Linkspartei-Chef Oskar Lafontaine hatte den Parteitag in Lollar kurzfristig in seinen Terminkalender aufgenommen, um die hessischen Genossen auf Kurs zu bringen - wegen der selbst für Linkspartei-Verhältnisse außergewöhnlich heterogenen Zusammensetzung des Landesverbandes waren auch in der Berliner Parteizentrale Pannen in Lollar nicht ausgeschlossen worden.
Als ob es nicht schon vor Ypsilanti etliche Brüche von Wahlversprechen in der Bundesrepublik gegeben habe, höhnt Lafontaine vor den Delegierten. Wenn er die alle auflisten würde, "hätte ich den ganzen Vormittag zu tun", sagt er. Ob man etwa vergessen habe, dass die Grünen in Hamburg vor der Wahl eine Koalition mit der CDU abgelehnt hätten? Oder Union und SPD vor der Bundestagswahl? Damals hätten die beiden großen Parteien auch eine Zusammenarbeit ausgeschlossen.
Maßgeblich müsse für die SPD "doch das eigene Programm sein" - und dann sei klar, dass die Sozialdemokraten in Hessen ihre Ziele sicher nicht mit der FDP oder der CDU umsetzen könnten.
Es ist schon erstaunlich, wie positiv Lafontaine an diesem Samstag über Ypsilanti spricht. Selten hat man den früheren SPD-Chef zuletzt so freundliche Worte über einen Sozialdemokraten oder eine Sozialdemokratin sprechen hören. Wenn die SPD-Spitzenkandidatin sage, sie wolle ein Schulsystem, das kein Kind zurücklässt, sei dies ein zentraler Punkt, der mit den Zielen der Linkspartei übereinstimme. "Dann wollen wir das ermöglichen", sagt Lafontaine. Auch unterstütze er die SPD-Politikerin in ihrem erklärten Plan, "das soziale Netz neu zu knüpfen".
Und Lafontaine macht die Aufgabe der Linkspartei zu einer grenzüberschreitenden Mission: Die Linkspartei wolle die Lebensbedingungen der Menschen verbessern. "Was ihr heute hier vorhabt, ist einzuordnen in unser Gesamtprojekt. Wenn unser Projekt hier gelingt, hat das Auswirkungen auf Länder über Deutschland hinaus."
Tolerierung trotz "gravierender Differenzen"
Da tänzelt selbst die Delegierte Charlotte Ullmann vergnügt durch den Saal, die in ihrem Antrag noch "für eine glasklare Oppositionspolitik auf unabsehbare Zeit hinaus" plädiert hatte. Dass Lafontaine das Tolerierungsmodell will und vielleicht auch mehr, dürfte auch ihr nicht entgangen sein. Aber wenn der Parteichef die Linkspartei mit Pathos zum globalen Retter stilisiert, darf's schon ein bisschen Applaus sein.
Die Abstimmung wartet Lafontaine nicht ab - andere Termine. Aber die Formel "Koch muss weg" wird im Parteitagssaal so häufig bemüht, dass mit wirklichen Überraschungen auch nicht zu rechnen ist.
Am Ende steht ein klares Ja für ein Tolerierungsmodell (mehr...). Mit großer Mehrheit stimmen die Delegierten für einen entsprechenden Antrag des Landesvorstandes. Das Papier sieht vor, dass die Linkspartei Ypsilanti zur Ministerpräsidentin wählt. Zwar gebe es "gravierende Differenzen" zu SPD und Grünen. Im Vordergrund stehe jedoch die Ablösung von Koch. Dazu sei die Linkspartei auch bereit, obwohl sie "gegen einzelne Personen große Bedenken haben". Gemeint ist damit der SPD-Parteirechte Jürgen Walter, der als Minister in einem Ypsilanti-Kabinett gehandelt wird.
In dem Papier hat der Landesvorstand rund 30 Positionen der Linkspartei für weitere Gespräche festgelegt. Darin spricht sie sich unter anderem für die Einführung der Gemeinschaftsschule, Investitionen in den öffentlichen Beschäftigungssektor und die Abschaffung von Ein-Euro-Jobs aus. Ein Verhandlungsergebnis mit Grünen und SPD soll dem Votum der Parteibasis vorgelegt werden.
Schon am Freitagabend hatte Bundestagsfraktionsvize Bodo Ramelow dazu aufgefordert, für die Tolerierung zu votieren. "Ich möchte, dass auch Hessen auf die rote Landkarte kommt", sagte Ramelow.
Es ist zwar unwahrscheinlich, dass am Ende möglicherweise sogar eine direkte Regierungsbeteiligung der Linkspartei in Hessen als Koalitionspartner stehen könnte, aber Lafontaine lässt seinen Genossen in Hessen freie Hand. Zu SPIEGEL ONLINE sagte er: "Das entscheidet die Linkspartei in Hessen ganz allein."