Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, 05.09.2008

Zwischen Kontinuität und Aufbruch

Sachsens SPD-Chef Jurk über die Krise seiner Partei, das Verhältnis zu den Linken und seine Rolle in der Koalition
 
Dresden. In der Zerreißprobe seiner Partei gibt er sich kämpferisch: Thomas Jurk, Wirtschaftsminister und Landeschef der SPD, steht zur Agenda 2010 und mahnt zugleich eine sozialere Politik an. Die Regierungsbeteiligung der SPD in Sachsen beschreibt er als Erfolgsstory. Mit der FDP rechnet er hart ab. Mit Jurk sprach Hubert Kemper.

Freie Presse: Die SPD-Linke fordert Umverteilung von oben nach unten, Franz Müntefering verteidigt die Agenda 2010. Wofür stehen Sie?

Thomas Jurk: Da gibt es keinen Widerspruch. Schröders Agenda hat dazu beigetragen, dass die Wirtschaft in Schwung kam und wir deutlich mehr Arbeitsplätze haben. In Sachsen war die Arbeitslosigkeit im August die niedrigste seit 17 Jahren. Allerdings müssen wir die Diskussion um soziale Gerechtigkeit führen und die Agenda weiterentwickeln. Es kann nicht sein, dass Menschen, die den ganzen Tag hart arbeiten, von ihrem Lohn nicht leben können und Arbeitslosengeld II beantragen müssen. Die Agenda muss deshalb durch Mindestlöhne ergänzt werden.

Freie Presse: Revolutionär klingt das ja nicht.

Jurk: Wenn die Regelungen für die Hartz-IV-Kinder dazukommen, bin ich zufrieden. Sie müssen ein kostenloses Schul- oder Kindergartenessen erhalten und von der Schule direkt von den Kosten für Lernmittel aller Art freigestellt werden. Die Kinder dürfen nicht doppelt unter der Erwerbslosigkeit der Eltern leiden.

Freie Presse: Die Linkspartei treibt die SPD vor sich her. Wofiir plädieren Sie: Scharfe Abgrenzung oder Disziplinierung der Linkspartei durch Koalitionen wie in Berlin?

Jurk: Bei der Linkspartei sehe ich und sehen jeden Tag mehr Menschen den reinen Populismus Lafontaine'scher Art. Wer wie er im Bund als Minister oder Gysi im Berliner Senat beim geringsten Gegenwind die Segel streicht, der hat das Recht verloren, eine andere, nachhaltige Politik zu fordern. Aber zur Frage: Wo die Linkspartei Verantwortung übernommen hat – ob in Berlin Magdeburg oder Schwerin –, trägt sie die Programmatik der SPD im Wesentlichen mit und sonnt sich in den Erfolgen. Das merken auch die Menschen. Insofern bedarf es weder einer scharfen Abgrenzung noch einer Koalition mit der Linkspartei.

Freie Presse: Der angestrebte Machtwechsel in Hessen führt die SPD in eine Zerreißprobe. Sollte Andrea Ypsilanti das Wagnis einer Tolerierung durch die Linkspartei eingehen?

Jurk: Ich werde Andrea Ypsilanti nicht ungefragt Ratschläge erteilen - auch nicht über die ,Freie Presse'. Der hessische Landesverband entscheidet selbst – und vor allem zum Wohl der Hessen. Worin ich Andrea Ypsilanti uneingeschränkt unterstütze: Koch muss gehen!

Freie Presse: In Sachsen belastete der Streit um den Termin der Landtagswahl die Koalition. Muss sich die SPD dem Wunsch der CDU nach getrennten Wahlen beugen?

Jurk: Wir führen in der Koalition derzeit Gespräche. Es wird eine Entscheidung für einen Wahltermin geben. Von getrennten Wahlterminen wird vor allem die NPD profitieren, weil mit einer geringeren Wahlbeteiligung zu rechnen wäre.
Auch die Demokratie an sich wird Verlierer sein, denn eine Wahlbeteiligung von 50 Prozent stärkt nicht unbedingt die Legitimation der Regierenden. Sachsens SPD ist der Wahltermin hingegen relativ egal. Ich bin sicher, dass wir aus jedem Wahltermin gestärkt hervorgehen. Ansonsten trösten mich meine besseren Argumente nicht, denn in der Politik geht es leider manchmal um Mehrheit – nicht um Wahrheit.

Freie Presse: Vorausgesetzt, die Ehe mit der CDU hält: Was wollen Sie in dem ausstehenden Regierungsjahr noch in Angriff nehmen?

Jurk: Seit vier Jahren höre ich das immer wieder, und es langweilt mich täglich mehr. Ob die Ehe hält ..., vorausgesetzt sie hält ..., wann trennen sie sich? Diese Regierung tut, wofür sie gewählt wurde: regieren zum Wohl des Landes. Wir bringen in den nächsten Wochen den Doppelhaushalt auf den Weg. Ohne neue Schulden, aber mit einer Verbesserung der Kindertagesbetreuung, einer Ausbildungsoffensive, mehr sozialer Arbeitsmarktpolitik, Weiterführung der Wirtschaftsförderung auf hohem Niveau besonders in der Technologieförderung und der Förderung erneuerbarer Energien –, und wir sorgen mit einem neuen Gesetz für die gute Zukunft der Hochschulen. Kurz: Wir haben in dieser Regierung viel für die Menschen erreicht und werden noch viel erreichen,

Freie Presse: Stimmt die Kritik einiger Genossen, die SPD habe zu weniq Profil bewiesen?

Jurk: Meinen Sie die Wenigen, die die geballte Faust in der Tasche haben und sich, ohne ihren Namen zu nennen, hinterm Busch verstecken? Ich erfahre enormen Rückhalt in unserer Partei, wenn ich mit du Basis spreche. Betrachte ich die Erfolge in der Regierungsarbeit, kann man diese Kritik nicht nachvollziehen. Dass wir noch mehr mit den Bürgern über unsere, Erfolge sprechen müssen, ist unstrittig.

Freie Presse: Die FDP buhlt unverhohlen um Machtbeteiligung 200q. Fühlen Sie sich mit der SPD bereits als Auslaufmodell?

Jurk: Ich habe als Wirtschafts- und Arbeitsminister Sachsens, als Landesvorsitzender der SPD und als stellvertretender Ministerpräsident viel zu tun. Da kann ich mich nicht auch noch mit den geradezu peinlichen Anbiederungsversuchen der sächsischen FDP befassen. Dieser inhaltsleere Werbesingsang wird bei den Sachsen nicht verfangen. Und noch ein Satz: Sie sprechen von Buhlen. Ich sage: Wenn jemand bereit ist, für die Macht an der Seite der CDU jede Überzeugung aufzugeben, dann spreche ich von Kriechen. Das ist der Partei eines Hans-Dietrich Genscher unwürdig.

Karl Nolle im Webseitentest
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