spiegel online, 06.09.2008
Attacke auf Stromkonzerne
Ypsilanti will Stromnetze verstaatlichen
Hessens SPD-Chefin Ypsilanti hat die Energiepolitik als Aktionsfeld entdeckt. Sie fordert jetzt auf einer Linie mit Linken-Chef Lafontaine die Verstaatlichung der Stromnetze - die Konzerne E.on und Vattenfall planen dagegen nach SPIEGEL-Informationen einen gemeinsamen Verkauf an Investoren.
Frankfurt am Main - Andrea Ypsilanti erhöht den Druck auf die Energiekonzerne: Mit einer zu 100 Prozent in öffentlichem Eigentum befindlichen Stromnetzgesellschaft solle Deutschland dem Vorbild von Schweden, Dänemark und den Niederlanden folgen, forderte die hessische SPD-Politikern.
Die EU-Kommission verlange schon lange eine Trennung von Produzenten und Netzbetrieb, um den Wettbewerb im Strommarkt zu fördern, sagte Ypsilanti. Sie tritt für eine staatliche Lösung für die 10.000 Kilometer langen Transportnetze ein - mit Verweis auf die Debatte über die Privatisierung der Deutschen Bahn. Alle Parteien im Bundestag hätten sich dafür ausgesprochen, dass das deutsche Schienennetz zu 100 Prozent in öffentlichem Eigentum bleibe, sagte Ypsilanti: "Was für das Schienennetz gilt, gilt genauso für das Stromnetz." In beiden Fällen handele es sich um Kernelemente der Infrastruktur für die gesamte Volkswirtschaft. Rechtlich könnten die Stromnetze in eine Aktiengesellschaft überführt werden, deren Anteile ausschließlich Bund und Ländern gehörten.
Derzeit gehören die Stromnetze den vier großen Stromkonzernen RWE , E.on , Vattenfall und EnBW . E.on und Vattenfall haben den Verkauf ihrer Netze bereits angekündigt. EnBW und der Essener Stromversorger RWE beharren dagegen noch darauf, ihre Netze zu behalten. Ihre Chancen, sich damit durchzusetzen, dürften nach dem Vorstoß der beiden Konkurrenten allerdings gesunken sein.
E.on und Vattenfall haben sich nach SPIEGEL-Information inzwischen auf ein gemeinsames Verkaufsszenario geeinigt. Falls möglich, so der Plan, sollen die milliardenschweren Stromstrippen an ein und denselben Käufer abgegeben werden.
Als Kandidaten für einen Kauf werden von Verhandlungsinsidern Konsortien mit Beteiligung des Allianz-Konzerns und der Investmentbank Goldman Sachs gehandelt. Auch der Münchner Siemens-Konzern erwägt, sich zusammen mit Finanzpartnern um den Erwerb der Netze zu bemühen.
EU-Kommission hatte Druck auf Deutschland erhöht
Mit ihrem Vorstoß liegt Ypsilanti auf einer Linie mit dem Linken-Vorsitzenden Oskar Lafontaine. Dieser hatte sich ebenfalls für eine Verstaatlichung der Stromnetze ausgesprochen und fordert darüber hinaus, auch Post und Telekom wieder unter Regierungskontrolle zu bringen.
Die EU-Kommission hatte zuletzt den Druck auf die Energiekonzerne in Deutschland erhöht. Sie will Stromerzeugung und Netzbetrieb trennen und damit für mehr Wettbewerb und sinkende Preise sorgen. Bislang müssen Konkurrenten der großen vier Konzerne ihren Strom durch Leitungen in deren Besitz schicken, was immer wieder zum Vorwurf überhöhter Leitungspreise geführt hat.
suc/dpa