Süddeutsche Zeitung, 01.10.2008
Alle gegen alle - Kommentar von Heribert Prantl
Die Nachrichten aus der CSU sind Nachrichten wie aus dem Tollhaus. Der Rücktritt Erwin Hubers und seiner Generalsekretärin ist erst der Beginn des CSU-Parteikriegs.
Elf Kabinettsmitglieder, unter ihnen der Finanzminister, sind zurückgetreten. Diese Meldung vom Zerfall einer Regierung kam vor kurzem - aus Südafrika. In Bayern ist es noch nicht ganz so weit, aber fast.
Die Nachrichten aus der CSU sind Nachrichten wie aus dem Tollhaus. Nach der Wahlkatastrophe vom Sonntag herrscht dort das, was Franz Josef Strauß als bellum omnium contra omnes bezeichnet hätte: der Krieg aller gegen alle.
Die bisherigen Kabinettsmitglieder haben das Motto ausgegeben: Rette sich, wer kann. Das Fatale ist freilich, dass keiner weiß, wie die Rettung aussieht. Wenn einer wie Innenminister Joachim Herrmann als Nachfolger des Ministerpräsidenten Günter Beckstein gehandelt wird, ist das ein Beleg dafür, dass Hölderlin, wenn es um die CSU geht, nicht recht hat:
In der CSU herrscht zwar Gefahr, höchste Gefahr sogar, aber das Rettende wächst dort einfach nicht. Wer die CSU betrachtet, sieht nur dürres Holz.
Der Rücktritt von Parteichef Erwin Huber und seiner Generalsekretärin ist nicht das Ende, sondern der Beginn eines Parteikriegs; es kann sein, dass dieser die Partei in den Abgrund reißt. Die CSU ist nämlich eine Partei, die wie keine andere Autorität sucht und braucht.
Seitdem sie am Wahlsonntag erfahren hat müssen, dass sie nicht mehr die unumstrittene Autorität ist in Bayern - spätestens seitdem haben Parteiführung und Ministerpräsident keine Autorität mehr. Der Partei fehlt das Bindemittel; sie fällt auseinander. Sie leidet an galoppierendem Autoritätsverfall.
Autorität setzt sich zusammen aus Kompetenz, Tradition und Charisma. Huber wie Beckstein fehlten und fehlen jeweils mindestens zwei dieser Elemente. Bislang hatte die Partei ihnen das nachgesehen - mangels echter personeller Alternativen und in der Erwartung, dass den Herren noch etwas zuwächst. Diese Hoffnung ist nach dem 17-Prozent-Sturz vorbei.
Wenn die Rücktrittsforderungen gegen Günther Beckstein noch nicht ganz so massiv sind, wie sie es gegen Huber waren, dann liegt das vor allem daran, dass Leute wie Markus Söder, der alerte Europaminister, sich bessere Chancen erwarten, wenn Beckstein noch für eine Übergangszeit bleibt. In traumatischen Zeiten kann sich freilich die Übergangszeit auf Tage und Stunden verkürzen.
Edmund Stoiber hat Erfahrung mit Autoritätsverfall. Er nutzt sie aus dem Hintergrund, um den zu strafen, den er für seinen politischen Verfall verantwortlich macht. Er dirigiert den Parteiputsch gegen Beckstein. Stoiber versucht, Beckstein zu einem "Beck" zu kürzen, und ihn dann so abzuservieren, wie die SPD es mit ihrem Chef gemacht hat. Die Qualität eines solchen Putsches bemisst sich an dem, was dabei herauskommt - daran also, wer nachfolgt.
In der SPD sind das Müntefering und Steinmeier, also Leute, die einige Autorität in der Partei haben. Bei Horst Seehofer, dem kommenden CSU-Chef, ist es immerhin so, dass ihm ein großer Ruf vorauseilt. Er muss erst einmal zeigen, dass er ihn einholen kann.
Audio - Kommentar von Heribert Prantl: Die CSU braucht eine Revolution...