Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 01.10.2008

Datenschützer kritisiert Verfassungsschutz

Schurig wirft Sicherheitsbehörden Versäumnisse bei Beobachtung der Organisierten Kriminalität vor
 
Dresden. Der Zeuge brauchte rund eine Dreiviertelstunde, dann kam er zur Sache. „Der Verfassungsschutz hat das Urteil des Verfassungsgerichts missachtet“, gab Sachsens Datenschutzbeauftragter Andreas Schurig gestern in Dresden zu Protokoll. Damit habe er „tief in die Persönlichkeitsrechte Unbeteiligter eingegriffen“. An dieser Fehlleistung des Geheimdienstes aber habe das Innenministerium erheblichen Anteil – „von der Fachebene bis in die Spitze“.

Es war die erste Zeugenvernehmung des Untersuchungs-Ausschusses zur Affäre um Geheimakten des Verfassungsschutzes, und Schurig sparte nicht mit Kritik. Mehrfach hätten die Verantwortlichen im Landesamt sowie Ministerium die Chance zur Korrektur gehabt, geschehen aber sei nichts. Im Gegenteil: Trotz anders lautender Rechtssprechung von oberster Stelle sei die Beobachtung der Organisierten Kriminalität (OK) durch den Nachrichtendienst nicht eingestellt worden. Und vor allem: „Eine Rechts- und Fachaufsicht hat nicht stattgefunden“, „kritisches Nachfragen“ durch das Innenministerium habe es nicht gegeben.

Damit war die Stoßrichtung festgelegt. Schurig wirft den Sicherheitsbehörden im Freistaat schwere Versäumnisse bei der OK-Beobachtung vor. Auch wenn er nahezu keine Namen nannte – wer gemeint war, war klar: der frühere Innenminister Thomas de Maizière sowie dessen Nachfolger Albrecht Buttolo (beide CDU), der damalige Innenstaatssekretär Jürgen Staupe sowie die gesamte Spitze beim Verfassungsschutz, vom Ex-Präsidenten bis zur Chefin des aufgelösten OK-Referats. Alle hätten den Richterspruch umgangen, wenn nicht gar ausgehebelt.

Dabei waren die Vorwürfe in den Akten gravierend. Auf mindestens 15 600 Blatt hatten die Geheimen Material über angeblich kriminelle Netzwerke in Sachsen gesammelt, es ging um Amtsmissbrauch, Kinderprostitution und Bandenkriminalität vor allem in Leipzig. Darin verwickelt seien Juristen, Polizisten und andere Würdenträger. Und auch Schurig bekannte gestern erneut: Es gab darin durchaus Hinweise „auf schwere und schwerste Straftaten“; bei Bedarf allerdings wäre nicht der Verfassungsschutz zuständig gewesen, sondern Polizei und Staatsanwaltschaft.

Als Teile des Dossiers im Frühjahr 2007 öffentlich wurden, befand sich Sachsen hart am Rande einer Staatskrise. Mittlerweile aber ist die Affäre abmoderiert. Ob Innenressort, Verfassungsschutz oder unabhängige Prüfer – alle kamen zu demselben Ergebnis: Die Akten seien vergiftet, die Vorwürfe ohne Hand und Fuß. Trotz einiger Ungereimtheiten – wie anders lautender Aussagen mehrerer Zeuginnen aus einem ehemaligen Kinderbordell – stellte die Staatsanwaltschaft Dresden die Ermittlungen im Frühjahr 2008 ein.

Die Opposition von Linken, FDP und Grünen sowie SPD-Mann Karl Nolle reagierten gestern unisono, sahen vor allem das Innenressort durch die Schurig-Aussage schwer belastet. Lediglich der CDU-Obmann Christian Piwarz meinte, das Ministerium habe längst reagiert, die Verfehlungen gehörten der Vergangenheit an.
Jürgen Kochinke

Karl Nolle im Webseitentest
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