Süddeutsche Zeitung, 02.10.08,, 04.10.2008
Weltfinanzkrise: Die Katharsis der Banken
Zeitenwende in der Finanzbranche: Banken gehen pleite oder werden knapp vor dem Kollaps vom Staat gerettet - doch der sollte eine Selbstreinigung der Finanzbranche nur begleiten.
Aktienkurse auf Talfahrt und Banken, die kippen: Die US-Finanzkrise hat sich längst zu einer globalen Finanzkrise entwickelt.
Fassungslos verfolgen Bürger die Krise der Banken und Börsen. Mehr als eine halbe Billion Euro mussten Kreditinstitute binnen eines Jahres in ihren Bilanzen abschreiben. Mehr als zwei Dutzend teils große Banken sind in Amerika und Europa zusammengebrochen. Die Wall Street erlebte am Montag den schwärzesten Börsentag seit September 2001. Und Steuerzahler sehen mit Entsetzen, wie Regierungen Milliarde um Milliarde lockermachen, um den Zusammenbruch weiterer Banken zu verhindern. All das weckt den Wunsch nach einem Patentrezept, das diese Krise rasch beendet.
Selbstreinigung - ein langwieriger Prozess
Doch ein solches Patentrezept gibt es nicht. Weder ist es sinnvoll, Banken einfach kollabieren zu lassen, um maßlosen Managern nicht weiteres Steuergeld nachzuwerfen. Noch können die Regierungen von Washington bis Berlin die Finanzwelt retten. Die 26 Milliarden Euro, mit denen der Bund im schlimmsten Fall für die Hypo Real Estate geradesteht, werden die Wende nicht bringen. Und selbst 700 Milliarden Dollar, die der amerikanische Kongress vermutlich am Donnerstag für die Krisenbekämpfung genehmigt, werden nicht reichen.
Die Krise der Banken und Börsen wird erst zu Ende gehen, wenn sich die Finanzbranche selbst gereinigt hat. Die Bankenpleiten und der Kursrutsch an den Börsen sind Ausdruck dieser Katharsis. Sie ist aber ein langwieriger Prozess. Über viele Jahre, seit 2001 hat sich die Finanzwelt von der realen Wirtschaft entkoppelt. Ähnlich lange wird es dauern, bis das Übermaß an Schulden, das in der Wirtschaft steckt, abgebaut ist. Jene Banken, die sich am schlimmsten verspekuliert haben, müssen verschwinden. Einige werden pleitegehen, andere von Konkurrenten übernommen werden.
Der Staat sollte diesen Prozess nicht verhindern, sollte die Marktkräfte so weit wie möglich zulassen, auch wenn sie jetzt vor allem zerstörerisch wirken. Doch das Übel dieser Krise besteht ja vor allem in dem großen Misstrauen, das die gesamte Finanzbranche durchdringt.
Neues Vertrauen gewinnt man nicht dadurch, dass man Banken beliebig auffängt und Probleme übertüncht. Vertrauen werden Bankkunden, Investoren und auch die Kreditinstitute untereinander erst wieder fassen, wenn sie davon ausgehen können, dass die größten Risiken im System ausgeräumt, die schwächsten Banken verschwunden sind.
Sehr wohl aber sollte der Staat verhindern, dass die Selbstreinigung in Selbstzerstörung umschlägt. Das Beispiel Lehman Brothers hat aufgezeigt, wie nah man an diese Grenze gekommen ist. Alles was danach geschah, hat mit der Verzahnung zwischen Lehman und der übrigen Bankenwelt zu tun - von dem Beinahe-Kollaps des Versicherers AIG und der Hypo Real Estate über die Verstaatlichungen der Hypothekenbanken HBOS und Bradford & Bingley bis zu der Stützung des Finanzkonzerns Fortis. Eine weitere Pleite der Lehman-Dimension konnte sich die Finanzwelt in dieser Phase der Krise schlicht nicht leisten.
Stärkere Regulierung erforderlich
Problematisch ist an den staatlichen Rettungsaktionen zweierlei. Erstens entsteht das Problem, dass vor allem große Banken im Vertrauen auf staatliche Rettung nicht die richtigen Konsequenzen aus der Krise ziehen. Deshalb muss auf die Marktreinigung eine stärkere Regulierung folgen. Zweitens - das ist das aktuellere Problem - findet derzeit ein regelrechter Interventionswettbewerb statt. Jedes Land löst ad hoc das jeweils nächste Großproblem auf unterschiedliche Art. Irland gibt Garantien gleich für die sechs größten Banken, Deutschland nimmt die Privatbanken bei HRE zumindest zum Teil mit in die Pflicht, Amerika sucht eine Lösung für die gesamte Branche, einige Staaten doktern mit unsinnigen Spekulationsverboten herum.
All diese Maßnahmen führen dazu, dass Banken unterschiedlicher Länder unter sehr unterschiedlichen Bedingungen operieren. Eine solche Marktverzerrung schafft über kurz oder lang neue Probleme. Es ist allerhöchste Zeit, dass zumindest Regierungen und Notenbanken in Amerika und Europa sich auf gemeinsame Regeln und Mechanismen für die Bewältigung der Krise verständigen.
Ein Kommentar von Martin Hesse