Karl Nolle, MdL

Frankfurter Rundschau, 09.10.2008

Das Spiel ist aus - Leitartikel von Robert von Heusinger

"Es sind die bittersten Stunden seit 80 Jahren. In den kapitalistischen Zentren herrscht Hysterie. Nun gilt es, alle systemrelevanten Banken zu verstaatlichen, Börsen zu schließen."
 
Finanzmärkte sind für ihren Herdentrieb bekannt. Gefährlich wird es, wenn die Herde anfängt zu rennen. Dann bricht Panik aus, dann setzen sich selbstverstärkende Prozesse in Gang und hinterlassen Verwüstungen in der Realwirtschaft. Lebensgefährlich wird es, wenn die Panik in Hysterie umschlägt. Genau an diesem Punkt befindet sich derzeit das globale Finanzsystem. Die Aktienmärkte sind im freien Fall, die Wechselkurse schwanken dramatisch, ganze Währungsräume versinken im Strudel. Überall dort, wo es die Zocker in den vergangenen Monaten übertrieben haben, knallt es. Beim Öl, beim japanischen Yen, bei der isländischen Krone.

Es sind die bittersten Stunden seit 80 Jahren. Niemals seit der Weltwirtschaftskrise haben die kapitalistischen Zentren hysterische Banker und Investoren erlebt. Hysterie aber hinterlässt keine Verwüstungen, Hysterie zerstört das ganze Wirtschaftssystem, zerstört Jobs, Wohlstand und Zukunft.

Deshalb ist die Zeit abgelaufen, mit kleinen Rettungsversuchen, verschämten Verstaatlichungen, dosierten Zinssenkungen oder etwas großzügigerer Kreditvergabe seitens der Zentralbanken um Vertrauen zu kämpfen. Das Spiel ist aus. Der Staat kann mit dem Markt nicht mehr Pingpong spielen in der Hoffnung, so dem Chaos Herr zu werden. Der große Wendepunkt in der Krise war die unverzeihbare Pleite von Lehman Brothers. Sie hat endgültig das Vertrauen in den weltweiten Finanzsektor zerstört. Doch zum Lamentieren ist es viel zu spät. Jetzt hilft nur noch die ganz große Keule, am besten noch in dieser Woche. Es herrscht Notstand.

Die konzertierte Zinssenkung der großen Notenbanken ist eine solch drastische Tat. Sie soll den hysterischen Geldmenschen signalisieren: Die globale Krise wird global bekämpft. Das Signal war überfällig. Doch die Zinssenkung verschafft nur wenige Stunden Luft, bevor die Abwärtsspirale sich wieder beschleunigt. Deshalb müssen die verantwortlichen Politiker jetzt unkonventionell denken und handeln.

Sie müssen alle 30 oder 50 global systemrelevanten Banken teilverstaatlichen. Die Banken werden, ob sie wollen oder nicht, mit Staatsknete rekapitalisiert. Sprich, der Staat führt den meist viel zu hoch verschuldeten Banken Eigenkapital zu und erhöht somit den Puffer. Im Gegenzug erhält er Vorzugsaktien und weitgehende Eingriffsrechte. Gleichzeitig garantieren die Staaten für beispielsweise ein halbes Jahr alle Verbindlichkeiten dieser Banken. Um die notwendigen Vorbereitungen zu treffen, sollten Banken und Börsen für ein paar Tage geschlossen bleiben. All das muss auf dem Treffen der G 7, der großen Industriestaaten, in Washington beschlossen werden. Um die Hysterie in den Griff zu bekommen, müssen die Regierungen eine Lösung präsentieren, die wasserdicht und glaubwürdig ist.

Dazu gehört die Verpflichtung, die Realwirtschaft massiv zu stützen, damit nicht auch sie komplett abschmiert. Das ginge über ein globales Konjunkturprogramm, zu dem sich alle großen Staaten verpflichten. Ebenso müssen die staatlichen Förderbanken den Auftrag erhalten, die Kreditversorgung der Firmen zu übernehmen, solange die Banken zögern. Auch der Handel auf den Devisen- und Kapitalmärkten sollte für eine Zeit lang einschränkt werden, damit die Verwerfung nicht weitere Volkswirtschaften in den Abgrund reißen.

Das alles hat mit freier Marktwirtschaft wenig zu tun. Doch mit jedem Tag, den die Regierenden jetzt noch untätig verstreichen lassen, zerfleischen sich die freien Marktwirtschaften weiter. Die Kosten der Rettung steigen exponentiell. Natürlich bleibt die Frage, ob die Staaten überhaupt in der Lage sind, ihr entfesseltes Bankensystem zu retten. Oder ob Island die Blaupause ist. Island ist wahrscheinlich zu klein, um seine großen Banken zu retten. Der Staatsbankrott droht. Das gilt aber nicht für die G 7, das gilt erst recht nicht für China oder Russland. Voraussetzung ist jedoch, dass rasch und entschlossen gehandelt wird.

Die Wahrheit ist: In letzter Instanz ist der Unterschied zwischen Staat und Markt kaum vorhanden. Am Ende ist alles Staat, am Ende sind es die Steuerzahler, die ihr Geld, ihre Bonität hergeben, damit sie auch morgen noch Geld verdienen können. Alle Wertpapiere, alle Schulden sind nichts anderes als ein Wechsel auf die Zukunft. Sie sind heute immer nur so viel wert, wie wir die Zukunft einschätzen. Damit sie wieder rosig ausschaut, muss der Staat, müssen die Steuerzahler die Macht über die Finanzmärkte zurückerobern.

Karl Nolle im Webseitentest
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