Sächsische Zeitung, 10.10.2008
Tiefensee: „CDU-Gerede von der Linksfront ist blanke Heuchelei“
Im Gespräch mit Peter Heimann
Herr Tiefensee, die CDU befasst sich heute auf einem Kongress in Dresden mit dem Osten. Wenn Sie als zuständiger Minister Ihrem Regierungspartner ein Grußwort sprechen müssten, was würde darin unbedingt vorkommen?
Ich würde vom 9. Oktober 1989, dem Tag der friedlichen Revolution, erzählen und der CDU raten, sich mehr mit der eigenen Blockpartei-Vergangenheit auseinanderzusetzen.
Im Einzelnen: Die CDU will mehr gegen die DDR-Verklärung tun, beispielsweise durch verbindliche Lehrpläne zur DDR-Geschichte. Ist das nicht in Ihrem Sinn?
Die CDU-Forderung nach verbindlichen Lehrplänen zur DDR-Geschichte hätte von den CDU-geführten Bildungsressorts in den Ländern längst umgesetzt werden können, denn das ist Ländersache. Es gibt tatsächlich eine erschreckende Unkenntnis bei jungen Leuten über die DDR. Aber wer mit der eigenen Vergangenheit schludrig umgeht, oder wer versucht, die Geschichte der SPD herabzuwürdigen, ist unglaubwürdig. Die CDU sollte sich besser mit der Rolle der eigenen Blockpartei auseinandersetzen. In ihrem Ost-Papier widmet sie den Menschen, die die Mauer mit Mut, Kerzen und Gebeten zu Fall gebracht haben, gerade mal zwei spärliche Sätze. So wird sie der historischen Bedeutung des Herbstes ’89 und seiner Akteure nicht gerecht.
Die CDU kritisiert, die SPD habe den Einheitsprozess ausgebremst.
Das ist schäbig. Willy Brandt hat im eigentlichen und im übertragenen Sinne das Fenster aufgestoßen. Ich höre noch die Rufe: „Willy Brandt an’s Fenster!“ Für die neue Ostpolitik hat er den Friedensnobelpreis bekommen. Selbst Helmut Kohl hat das gewürdigt und in Kontinuität fortgesetzt. Die CDU verschweigt ihre Rolle als Blockpartei im Osten und auch, dass sie deren Mitgliederkartei übernommen hat. Sie blendet die Staatstreue der Blockparteien und ihrer Mitglieder aus. Sie sind mitverantwortlich für das Desaster in der DDR. Die Menschen haben nicht nur gegen die SED, sondern auch gegen die Blockparteien demonstriert. Bei allem Respekt vor der Leistung von Helmut Kohl, es waren die Menschen, die das Regime zu Fall brachten.
Braucht Leipzig ein Einheitsdenkmal?
Eindeutig ja. Und zwar eins, das auf das geplante Berliner Einheitsdenkmal Bezug nimmt. Das ist ein Anliegen und eine Angelegenheit des gesamten Landes. Zum Herbst 1989 und zur friedlichen Revolution gehören der 9. Oktober in Leipzig und der 9. November in Berlin wie zwei Seiten einer Medaille. Und deshalb braucht es Freiheits- und Einheitsdenkmale, die sich ergänzen.
Die CDU zieht aus der Vergangenheit die Lehre, die Linke könne heute kein Partner für eine demokratische Partei sein?
Das Gerede der CDU von der Linksfront ist nichts als blanke Heuchelei. Es gibt eine Reihe von Städten, in denen die CDU munter mit der Linkspartei koaliert. Erst jüngst in Cottbus gab es einen gemeinsamen Oberbürgermeisterkandidaten von CDU und Linken. Die SPD sagt deutlich, dass auf Bundesebene wegen der grundsätzlichen Unterschiede zwischen SPD und Linkspartei keine Zusammenarbeit möglich ist.
Ist eine Gleichsetzung von Linkspartei und NPD seriös?
Nein, das wäre unseriös. Ich halte von einer Gleichsetzung nichts.
Haben Sie denn in dem CDU-Ost-Papier Neues für die Zukunft entdeckt?
Nein, ich kann da nichts erkennen. Es wird die Aufbau-Ost-Politik der letzten Jahre gelobt. Darüber freue ich mich als Beauftragter der Bundesregierung und sage auch als Sozialdemokrat: „Danke für die Blumen!“ Der entscheidende Punkt ist der SolidarpaktII mit seinen 156 Milliarden Euro Aufbauhilfe, der unter der rot-grünen Bundesregierung vereinbart wurde. Unser Hauptaugenmerk gilt dem wirtschaftlichen Aufschwung hier in Ostdeutschland.
Geht es auch konkreter?
Ich habe gegen den Widerstand beispielsweise von CDU-Ministerpräsident Althaus in den Koalitionsverhandlungen von 2005 die Investitionszulage bis 2009 verankern können. Jetzt wird dieses wichtige Förderinstrument sogar bis 2013 verlängert. Ein ganz aktuelles Beispiel ist die Wohngelderhöhung. Hier ging es darum, Rentnerinnen und Rentnern in Ostdeutschland und Menschen mit schmalem Geldbeutel monatlich 50Euro mehr zur Verfügung zu stellen. Das sind konkrete Ergebnisse, während bei der CDU nebulös eine Sonderwirtschaftszone propagiert wird. Die CDU sagt nichts zu den Dumpinglöhnen im Osten. Im Gegenteil, es soll Kündigungsschutz abgebaut werden, man zielt auf Sondertarifzonen. Alles das ist falsch und verstärkt bei den Menschen im Osten das Gefühl der Zweitklassigkeit.
Aber Sie regieren schon noch zusammen?
Wir regieren zusammen. Trotzdem gibt es deutliche Unterschiede in der Politik.
Auch beim Thema Renten?
Darauf geht ja die CDU in ihrem Ost-Papier nur am Rande ein und verweist auf die Eigenvorsorge. Ich dagegen setze mich dafür ein, dass wir spätestens 2019 ein einheitliches Rentensystem in Ost und West haben. 20 Jahre nach der friedlichen Revolution muss hier die Perspektive klar sein. Ich hoffe, dass es mit dem Koalitionspartner gelingt, recht bald eine verbindliche Lösung zu vereinbaren.