Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 15.10.2008

„Personalunion von Verbrecher und Polizei“

Der Soziologe Ulrich Beck zur Finanzkrise: "Traut den Politikern nicht, die uns den Schlamassel eingebrockt haben"
 
Herr Beck, welches ist die wichtigste Veränderung, die die Finanzkrise hervorruft?

Vollständig und unerwartet gefährdet die Krise unser gesamtes ökonomisches Weltbild – oder zerschlägt es sogar.

Welches Weltbild meinen Sie?

Bisher fühlte sich der Westen überlegen. Seine freie Marktwirtschaft hielt er für besser als die sozialistischen Staatswirtschaften der Vergangenheit. Aber auch über China mit seiner erfolgreichen Mischung aus Privat- und Staatsökonomie rümpfte man hier die Nase.

Welche Folgen hat die Krise für Vertrauen, das die Bevölkerung in die Eliten setzt?

In den zurückliegenden Wochen und Monaten ist es schwer erschüttert worden. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück glaubten bis vor wenigen Tagen, dass sie die Krise national lösen könnten. Sie erklärten, der Sturm würde an unserem Land vorbeiziehen. Viele deutsche Politiker blicken auf die Welt mit diesem merkwürdigen, uninformierten und selbstgenügsamen Blick. Sie wollen den Grad der internationalen Abhängigkeiten und die Logik der Globalisierung nicht verstehen.

Die Rettung mittels Intervention des Staates scheint einstweilen zu funktionieren?

Das bleibt abzuwarten. Niemand weiß, was ist und was die im Nullenrausch verordnete Therapie bewirkt. Wir alle sind Teil eines ökonomischen Großexperiments mit offenem Ausgang. Interessant ist allerdings, wie schnell aus Schurken Helden werden. Haben Gordon Brown, Angela Merkel und Peer Steinbrück nicht vor kurzer Zeit noch den ungeregelten Kapitalismus hochleben lassen? Ihre wundersame Bekehrung ist für mich kabarettreifes Konvertitentum.

Sie sagen: Man soll den Leuten, die uns den Schlamassel eingebrockt haben, nicht länger trauen?

Nein, das kann man nicht. Wer über Nacht einen Meinungs- und Fahnenwechsel zu einer Art Staatssozialismus für Reiche vollzieht, ist unglaubwürdig. Je tiefer die Krise wird, desto mehr scheint allerdings der Zwang zuzunehmen, denen zu glauben, die die Misere mit ihrem sogenannten Sachverstand verursacht haben. Dieser Prozess verhindert, dass die Eliten ausgetauscht werden, was in der Demokratie üblich sein sollte. Das führt zur Personalunion von Verbrecher und Polizei.

Glauben Sie, die Linke weiß einen Weg aus der Krise?

Nein. Wir haben es im Kern mit einer restaurierten Linken zu tun. Diese Partei will zurück zum Nationalstaat. Wir brauchen aber eine neue transnationale Politik zur Regulierung der Finanzmärkte. Bürgerbewegungen wie die Globalisierungskritiker von Attac haben diese Notwendigkeit erkannt, sind aber zu schwach, um ihre Ansätze offensiv zu verwirklichen.

Die Garantien für Banken und Spareinlagen der Bürger zeigen, dass der Staat handlungsfähig ist. Schafft die Krise deshalb nicht neues Vertrauen?

Niemand weiß, ob wir den Boden des Abgrunds schon erreicht haben. Im globalen Risikobewußtsein, in der Antizipation der Katastrophe, die es in jedem Fall zu verhindern gilt, tut sich ein neues machtpolitisches Feld auf. Man könnte jetzt langfristig durchsetzen, dass nicht die Wirtschaft die Demokratie, sondern die Demokratie die Wirtschaft dominiert. Diese kurzfristige, goldene Gelegenheit dürfen wir nicht verstreichen lassen. Dabei geht es nicht nur um die Kontrolle des Bankensektors, sondern auch um gerechte Steuerpolitik und soziale Sicherheit im transnationalen Rahmen.

Sie fordern für die Finanzmärkte eine Hinwendung zum Vorsorgeprinzip. Heißt das, Banken dürften neue Finanzprodukte erst auf den Markt bringen, wenn sie auf ihre Unschädlichkeit getestet wurden?

Die traditionelle Ökonomie sieht Risiko nur als positive Größe. Wie sich gerade zeigt, ist diese Sorglosigkeit grundfalsch.

Sie unterstützen die Forderung der globalisierungskritischen Organisation Attac, einen Finanzmarkt-TÜV einzuführen?

Sicher, diese Möglichkeit muss in die bestehenden Institutionen eingebaut werden.

Wird die alte Idee der Gleichheit künftig wieder eine größere Bedeutung erhalten?

Eine größere relative Gleichheit auf jeden Fall. Anstatt die Verluste zu vergesellschaften und die Gewinne zu individualisieren, sollten auch die Bankmanager und -vorstände haftbar gemacht werden für ihre Fehler und Verluste. Und auch international wird Gleichheit eine wichtigere Rolle spielen. Die aufstrebenden Schwellenländer wie Brasilien, Indien und China verlangen und erhalten mehr Mitsprache.

Das Gespräch führte Hannes Koch

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: