Süddeutsche Zeitung, 26.10.2008
Thüringens Ministerpräsident in der Kritik: Eine heikle Empfehlung
Wenige Stunden vor dem Mauerfall hat Ministerpräsident Althaus einen brisanten Brief geschrieben - und sich darin für den Leninismus ausgesprochen.
Am 9. November 1989 hielt der stellvertretende Direktor der Werner-Seelenbinder-Oberschule in Geismar die Zeit für reif. In einem Brief an den Bezirksausschuss für Jugendweihe (JW) brachte er seine Gedanken darüber zu Papier, was sich am Gelöbnis junger DDR-Bürger ändern müsse.
"Als Tradition der freireligiösen Vereinigungen (seit 1859) sollte die JW wieder den Inhalt einer marxistisch-leninistischen Weltanschauung haben", schrieb der Lehrer Dieter Althaus (siehe Ausriss). Da konnte er noch nicht ahnen, dass ein paar Stunden später die Mauer fallen würde, dass Marxismus und Leninismus sich fürs Erste erledigen sollten.
Dieter Althaus, seit 2003 Ministerpräsident von Thüringen, will von dem Brief nichts wissen. "Zu den angesprochenen Vorwürfen habe ich mich seit den 90er Jahren mehrfach umfänglich geäußert. Sie bleiben in großem Umfang falsch und werden auch durch Wiederholungen nicht wahr", erklärte Althaus, der kommendes Jahr wiedergewählt werden will, am Freitag lediglich.
Schon in seiner Zeit als Kultusminister Anfang der Neunziger war Althaus mit dem Vorwurf konfrontiert, er habe dem System in der DDR als Mitglied der "Blockflöte" CDU treu gedient. Geschadet hat ihm das nicht, was einen Prozess der Verdrängung befördert haben dürfte.
Es ist dies ein Prozess, der den CDU-Politiker Althaus ebenso betrifft wie seine Partei. Als die CDU jüngst den Entwurf eines Grundsatzpapiers mit dem Titel "Geteilt. Vereint. Gemeinsam" vorlegte, enthielt er lobende Worte über die CDU als "Garant und Motor der Wiedervereinigung seit Konrad Adenauer", reichlich Kritik an der SPD, die bei der Beurteilung der Chance für die Wiedervereinigung einer "politischen Fehleinschätzung" erlegen sei und heftige Schelte der Linkspartei als der "direkten Nachfolgerin der für die Unterdrückung und Bespitzelung verantwortlichen SED".
Nur über die Verantwortung der von der West-CDU 1990 umarmten Ost-CDU fand sich kein Wort. Dabei seien die Ost-Union und ihre Mitglieder mitverantwortlich gewesen für das "Desaster in der DDR", monierte Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee von der SPD. Vor dem CDU-Parteitag im Dezember soll der Entwurf nun nachgebessert werden.
Der Katholik Althaus ist 1985 in die CDU eingetreten. Wer Christ gewesen sei und trotzdem habe Karriere machen wollen, sei in der DDR unter Druck gewesen, "sich politisch beteiligen zu müssen", sagt Klaus Schroeder, der Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin. "Das haben diese Leute gemacht, indem sie in so eine Partei gegangen sind. Sie waren keine Hundertfünfzigprozentigen, aber auch in keiner Weise in der Opposition."
Die Karriere des Dieter Althaus ging rasch voran. Mit nur 29 Jahren wurde der Mathe- und Physiklehrer zum stellvertretenden Schulleiter befördert, in dieser Funktion verantwortlich für Pioniere, FDJ und eben auch Jugendweihe. Seine Arbeit erledigte er so sehr zur Zufriedenheit der Obrigkeit, dass ihm 1989 die Medaille "Für hervorragende Leistungen bei der kommunistischen Erziehung in der Pionierorganisation Ernst Thälmann in Gold" zuerkannt wurde.
Nach der Wende versicherte Althaus, die Auszeichnung habe er nicht angenommen, eine Zuwendung von 500 Mark dagegen schon. Nach Berichten von Schülern hätte der Lehrer die Auszeichnung verdient. Sie beschrieben ihn als linientreu.
Wie ambivalent Althaus' Haltung in der Umbruchzeit wurde, dokumentiert der Jugendweihe-Brief. Als Mitorganisator der ersten Montagsdemo in Heiligenstadt schlug Althaus einerseits einen durchaus kritischen Ton an. "Christliche Schüler, besonders in einem geschlossenen katholischen Gebiet wie dem Eichsfeld, sind nicht mehr gewillt, an der Jugendweihe teilzunehmen", schrieb er. Der "wehrhaft staatsbekennende Charakter" werde nicht mehr akzeptiert.
Althaus sprach sich aus für eine Jugendweihe außerhalb der Schule als Möglichkeit zu "einem Bekenntnis für alle nichtreligiösen Schüler". Andererseits aber sicherte er sich mit dem Hinweis auf den Marxismus-Leninismus staatstragend ab. Aus der Zeit heraus könnte Althaus die Intention des Schreibens leicht erklären, müsste sich dann aber auch gründlicher zu seiner Rolle in der DDR äußern.
Die CDU solle zu ihrer Vergangenheit stehen, meint DDR-Forscher Schroeder. "Wenn ich von den anderen immer verlange, die sollen sich auseinandersetzen, muss ich viel detaillierter auch die eigene Geschichte aufarbeiten. Die ist eben manchmal zum Schämen und manchmal opportunistisch."
Von Daniel Brössler