Karl Nolle, MdL

www.tagesschau.de, 31.10.2008

Desaster bei der Bahn setzt Tiefensee unter Druck

Verspätungen bis Weihnachten und Streit um Boni
 
Im Streit um Bonuszahlungen für den Vorstand der Deutschen Bahn bei einem erfolgreichen Börsengangs gerät Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee zunehmend unter Druck. Medienberichten zufolge gibt es erhebliche Zweifel an der Darstellung des Ministers, wonach er erst vor ein bis zwei Wochen von den geplanten millionenschweren Sonderzahlungen für Bahnchef Hartmut Mehdorn und seine Vorstandskollegen erfahren haben will. Erste Rücktrittsforderungen wurden laut.

Wie die "Financial Times Deutschland" und süddeutsche.de übereinstimmend berichteten, soll Tiefensee bereits früher über die Prämien informiert gewesen sein. Nach Informationen der Zeitung lag der Ministeriumsspitze spätestens am 2. Oktober der Börsenprospekt vor, in dem die Sonderprämien im Detail erklärt werden. Damit dränge sich der Verdacht auf, dass Tiefensee seinen Staatssekretär Matthias von Randow am Mittwoch entließ, um sich selbst aus der Schusslinie zu nehmen. Randow hatte am 24. Juni im Bahnaufsichtsrat die Extrazahlungen mit abgesegnet.

"Wie dick sind die Möhrchen?"

Dafür, dass Tiefensee weit früher informiert war, spricht auch, dass Mehdorn bereits am 25. September in einem Interview mit dem Magazin "Stern" offen über die Anreize sprach. "Der Eigentümer gibt denen, die die Aktien verkaufen, Möhrchen, damit sie sich anstrengen, diese möglichst teuer zu verkaufen", sagte Mehdorn. Am 26. September wurde Mehdorn beim Nachrichtensender n-tv gefragt, "wie dick denn die Möhren" seien. Mehdorn antwortete, das komme darauf an, zu welchem Preis die Aktien weggingen.

"Als Verkehrsminister disqualifiziert"

"Verkehrsminister Tiefensee muss zurücktreten", verlangte Grünen-Fraktionschef Friz Kuhn. Es gebe nur zwei Erklärungen für sein Verhalten: Entweder habe der Minister früher von den vereinbarten Bonuszahlungen gewusst. Oder Tiefensee habe in der Führung des Ministeriums versagt, weil ihm wesentliche Aspekte des Börsenprospektes vorenthalten wurden. "Beides disqualifiziert ihn als Bundesverkehrsminister", urteilte Kuhn

Der Grünen-Verkehrsexperte Winfried Hermann verlangte die Ablösung der Konzernspitze der Bahn. "Der gesamte Bahn-Vorstand ist fällig, und auch der Aufsichtsrat muss erneuert werden", sagte er der "Berliner Zeitung". Hermann begründete das mit den Bonusplänen und den Achsproblemen beim Schnellzug ICE. Fehler sieht der Grünen-Experte zudem bei der Regierung. Die Kontrolle der Bahn durch den Bund als Eigentümer sei mangelhaft.

FDP verlangt Rücktritt von Tiefensee

Die FDP forderte den Rücktritt Tiefensees. Nur so sei noch weiterer Schaden von der Bahn abzuwenden. In der "Berliner Zeitung" machte FDP-Verkehrsexperte Horst Friedrich den Minister für unzureichende Rahmenbedingungen bei der vorerst gescheiterten Teilprivatisierung der Bahn verantwortlich. "Er hat das Ding verbockt", sagte Friedrich. "Die Fehler liegen eindeutig beim Minister, nicht bei der Bahn."

Zugleich warf Friedrich Tiefensee vor, von den Plänen der Bahnführung gewusst zu haben, einen erfolgreichen Börsengang mit Millionenprämien an den Konzernvorstand zu honorieren. "Das ist nicht ohne Wissen des Verkehrsministers gemacht worden", sagte Friedrich.

Mehr Geld für Mehdorn?

Unterdessen berichtete die "Süddeutsche Zeitung", dass die Grundgehälter der Bahn-Vorstände im nächsten Jahr deutlich steigen sollen. Das Plus betrage teilweise mehr als 20 Prozent. Das Jahresgehalt von Bahnchef Mehdorn steige demnach von 750.000 auf 900.000 Euro. Mehdorns Leistungszulage könnte im für ihn günstigsten Fall in diesem Jahr 2,99 Millionen Euro und 2009 rund 3,51 Millionen Euro betragen. Die Bahn wollte dies weder bestätigen noch dementieren.

Störungen im ICE-Verkehr noch bis Weihnachten

Unterdessen musste Bahnchef Mehdorn einräumen, dass der ICE-Verkehr der Deutschen Bahn noch mindestens bis Weihnachten gestört bleibe. Derzeit könnten wegen der Sonderkontrollen der Achsen etwa 40 ICE T nicht eingesetzt werden, sagte Mehdorn. Erst am Dienstag hatte die Bahn mitgeteilt, sie erwarte Einschränkungen im ICE-Verkehr lediglich bis Mitte November.

Inzwischen gibt es einen neuen Verdachtsfall auf einen Materialfehler. Wiederum an der Antriebsachse eines Neigetechnik-ICE T sei am Dienstag eine "Auffälligkeit" entdeckt worden, teilte Mehdorn mit. Am 9. Juli war ein ICE 3 in Köln bei niedrigem Tempo mit Achsbruch entgleist. Mitte Oktober fand sich ein millimetertiefer Riss in der Achse eines ICE T.

Konzern verdient zehn Prozent mehr

In den Geschäftszahlen spiegelt sich die Negativ-Serie zumindest bislang nicht wieder: In den ersten drei Quartalen des Jahres legte die Bahn jeweils rund zehn Prozent beim Umsatz und beim Ergebnis nach Zinsen zu. "Unsere wirtschaftliche Entwicklung kann sich sehen lassen", sagte Finanzvorstand Diethelm Sack. Die genauen Zahlen will der Konzern in einigen Tagen vorlegen.

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