DNN/LVZ, 02.11.2008
Tiefensees Verantwortung
Möglicherweise ist Verkehrsminister Tiefensee Deutschlands billigster Minister. Auf seinem Amtsstuhl, zumindest soweit es die Bahn betrifft, sorgt er mit den Führungstugenden eines ungelenken Praktikanten an der Seite des bulligen Machers Mehdorn für größtmögliche Turbulenzen. Achsschäden, ICE-Chaos, Entlassungen falsch gepolter Staatssekretäre und tolle Gehaltssprünge bei Beteiligten kommen als Ergebnis dieser Arbeit die Bürger nur scheinbar teuer.
In Wahrheit hat Tiefensee die cleverste Variante zur Torpedierung der geplanten Bahn-Privatisierung gewählt. In so ein Unternehmen will doch keiner mehr als Anteilseigner einsteigen, selbst ohne Finanzkrise. Gewonnen wäre damit ein neuerliches Nachdenken über den Umgang der Politik mit dem Volkseigentum des Schienensystems als Einrichtung der Grundversorgung. Das wäre viel wert.
Sollte Tiefensee so gerechnet haben, ohne an die Reputation der eigenen Person, ohne an die Glaubwürdigkeit der aktuellen Debatten um Managerbezüge, Extraprofite und Verantwortung durch Führungsstärke gedacht zu haben, dann hätte er schon jetzt Großartiges geleistet.
Für den Fall, dass der Verkehrsminister aber bisher rein fachlich sein Bestes gegeben hat, ihm seine Ex-Staatssekretäre und der Herr Mehdorn einfach auf der Nase herumtanzten und der Minister das alles noch gar nicht oder einen Teil davon viel zu spät gemerkt haben sollte, dann gibt es nur eins: Rücktritt – freiwillig, oder auf Geheiß.
Er ist Politiker, nicht einer, der unter Artenschutz steht, auch nicht durch ostdeutsche Herkunft. Für ihn ist die Übernahme der Gesamtverantwortung in einer absurden Pannen-Kaskade Teil des Jobs. Das unterscheidet ihn von Herrn Mehdorn, der könnte sich noch retten, wenn er einfach freiwillig auf Bares verzichtete.
Zur Strafe sollte er dann vielleicht das aktuelle Zug-Chaos durch 14 Tage Dauerfahrt mit der noch dem Bund zu 100 Prozent gehörenden Bahn quer durch Deutschland erleiden, ohne Platzkarte, mit Verspätungen und dem dummen Gefühl, was passiert wohl, wenn die Achse nicht hält.
Wenn es gut läuft, kann man über eine kleine Bahn-Privatisierung durchaus nachdenken. Noch mehr betriebswirtschaftliches Verhalten schadet dem Unternehmen ganz sicher nicht. Sofern der Bund als Mehrheitseigner seiner Aufsichtspflicht nachkommt, ist auch alles in Ordnung. Spätestens an dieser Stelle wäre es aber schon wieder vorbei mit dem Vertrauen, bliebe der Minister Tiefensee. Denn Vertrauen ist Chefsache und nichts, was auf einen Sekretär abgeladen werden kann.
Von Dieter Wonka
d.wonka@lvz.de