Frankfurter Rundschau online, 08.11.2008
Hessischer SPD-Parteirat: Schäfer-Gümbel soll's richten
Die hessische SPD-Vorsitzende Andrea Ypsilanti tritt zur Neuwahl des Landtags im Januar nicht mehr als Spitzenkandidatin an.
Frankfurt. Vor dem Parteirat im Frankfurter Gewerkschaftshaus schlug Andrea Ypsilanti Thorsten Schäfer-Gümbel als neuen Spitenkandidaten vor. Der Parteirat folgte ihrem Vorschlag und nominierte Schäfer-Gümbel einstimmig.
"Ich bin niemand, der die Flinte ins Korm wirft, sondern ich bin eine Kämpferin", sagte Ypsilanti. Zugleich räumte sie Fehler ein. Einer sei gewesen, die Zusanmenarbeit mit der Linkspartei vor der Wahl kategorisch auszuschließen. "Das habe ich zu verantworten."
"An der inhaltlichen Aufstellung wird sich nichts ändern. Alles bleibt richtig, deshalb werden wir mit dem Programm wieder antreten." Damit diese Inhalte nicht durch die Wortbruchdiskussion überlagert würde, habe sich sich zum Verzicht auf eine erneute Spitzenkandidatur entschlossen.
"Ich werde Landesvorsitzende bleiben, ich bleibe auch Fraktionsvorsitzende. Diese SPD ist sturmerprobt schon seit 140 Jahren. Es kann nicht sein, dass Roland Koch einfach Regierungschef bleibt", gab Ypsilanti den angestrebten Regierungswechsel in Hessen als altes und neues Ziel aus. "Ich denke, dass uns die Wähler eine zweite Chance gewähren, deswegen bin ich bei aller Problematik guter Dinge."
Zum neuen Spitzenkandidaten sagte Ypsilanti: "Er hat sich bis Nordhessen verdient gemacht, und über die Parteiflügel hinweg integrativ gewirkt." Er stehe vor einer schwierigen Aufgabe, aber: "Ich bin sicher, er kann das."
Die SPD habe eine Woche der "tiefen Depression und emotionaler Schwankungen" hinter sich, sagte der designierte Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümpel. "Wir stehen geschlossen zum Programm der hessischen SPD. Wir haben die Themen bearbeitet, die die Menschen wirklich bewegen. Deswegen werden wir erhobenen Hauptes in den Wahlkampf ziehen. Wir sind alle stolz darauf, was Andrea Ypsilanti für die Partei erreicht hat." Mit Blick auf die vier Abweichler sagte Schäfer-Gümbel: "Es ist ungerecht, dass diejenige, die die SPD wieder mit Selbstbewusstsein ausgestattet hat, so gescheitert wurde. Aber die vier sind Vergangenheit."
Manfred Schaub, Bürgermeister von Baunatal und Chef der nordhessischen SPD, der bis zuletzt als aussichtsreicher Kandidat auf die Ypsilanti-Nachfolge galt, sagte, er habe das Angebot der Spitzenkandidatur gestern aus zwei Gründen abgelehnt. Wie Ypsilanti und Gernot Grumbach stehe für den bisherigen Weg hin zu einer rot-grünen Minderheitsregierung und der Tolerierung durch die Linkspartei. Deswegen sei er "nicht der richtige Kandiat". Zudem sei aus "einem Bürgermeisteramt der Wahlkampf nur schwer zu führen".
In Parteikreisen gibt es jedoch Spekulationen, Schaub habe neben der Spitzenkandidatur auch den Parteivorsitz in Hessen beansprucht. Den aber wollte Ypsilanti nicht abgeben, worauf der Nordhesse auf die Kandidatur verzichtete.
Schäfer-Gümbel habe "sich einen starken Namen in der Wirtschaftspolitik gemacht", sagte Schaub. Er repräsentiere die nächste Generation, "ist ein integrativer Kopf und hat breite Akzeptanz in der Partei".
Thorsten Schäfer-Gümbel ist stellvertretender Vorsitzender des SPD-Bezirks Hessen-Süd. Er gehört dem Landtag seit dem Jahr 2003 an und ist Sprecher der SPD-Fraktion für Industrie- und Beschäftigungspolitik sowie für Forschung und Technologie. Der Politikwissenschaftler wird zum linken Flügel der Partei gerechnet und gilt als ein enger Vertrauter der Landes- und Fraktionsvorsitzenden Andrea Ypsilanti.
"Das ist die richtige Entscheidung", sagte der Generalsekretär der hessischen SPD, Norbert Schmitt, der Frankfurter Rundschau am Rande der Parteiratsitzung. Schäfer-Gümbel habe "Integrationskraft". Ypsilanti wäre wegen der Wortbruchdiskussion als Spitzenkandidatin belastet gewesen. Wichtig sei, dass "die inhaltlichen Positionen Ypsilantis fortgesetzt" werden.
Der SPD-Geschäftsführer Reinhard Kahl sagte der FR: "Es herrscht Aufbruchstimmung." Schäfer Gümbel "ist ein strategisch denkender Mensch, der in der Breite der Partei verankert ist."
Der Landtagsabgeordnete Gerhard Merz sagte über Schäfer-Gümbel: "Das ist ein hochintellektueller, ungemein fleißiger Arbeiter".
Ohne Koalitionsaussage in den Wahlkampf
Die SPD will ohne eine Koalitionaussage und mit einem weitgehend gleichen Programm in den Wahlkampf ziehen. Leichte Änderungen an dem Wahlprogramm werden vom Parteitag erwartet, der am 13. Dezember auch die Landesliste für die Landtagswahl aufstellen wird. Zitat aus Parteikreisen: "Die Welt hat sich ja auch weitergedreht".
Struck: Rot-rotes Bündnis in Hessen nicht ausschließen
Mehr Informationen im FR-Spezial Das Ypsilanti-Desaster. SPD-Fraktionschef Peter Struck rät der hessischen SPD, bei den Neuwahlen im nächsten Jahr im Gegensatz zur letzten Landtagswahl eine Koalition mit der Linkspartei nicht auszuschließen. "Auf Landesebene kann man bei Fünf-Parteien-Parlamenten gar nichts mehr ausschließen", sagte Struck der "Bild am Sonntag". In Hessen werde niemand mehr eine Koalition von vornherein ablehnen.
Skeptisch äußerte sich Struck zu einem möglichen Parteiausschlussverfahren gegen die Abweichler in der hessischen SPD. Es sei immer schwierig, "gegen eine Gewissensentscheidung - egal ob begründet oder nicht - vorzugehen."
Auch eine deutliche Mehrheit der SPD-Anhänger lehnt einen Parteiausschluss der Abweichler um den hessischen Vizeparteichef Jürgen Walter ab. Nach einer Emnid-Umfrage für das Blatt sprachen sich 69 Prozent gegen einen Parteiausschluss aus, nur 24 Prozent befürworten ihn. Von allen Bundesbürgern sind zwei Drittel (66 Prozent) gegen den Rauswurf der SPD-Abgeordneten aus ihrer Partei und 22 Prozent dafür.
Von Matthias Thieme und Joachim Herbert
(Mit Material von dpa/ap/rtr/ddp)