DER SPIEGEL 48/2008, Seite 46, 23.11.2008
Unchristliche Christen
Die Blockpartei CDU war tief in das DDR-System verstrickt. Dies öffentlich einzugestehen, fällt den Christdemokraten schwer - einige ostdeutsche Politiker fordern nun Aufklärung.
Ihre Stimme wird strenger: Nein, Günter Baumann wolle sich wirklich nicht zu diesem Thema äußern. Nicht diese Woche und auch nicht nächste. Kein Gespräch über die Ost-CDU. Seine Mitarbeiterin im Bundestag verabschiedet sich höflich und legt den Hörer auf.
Baumann vertritt für die Union den Wahlkreis Annaberg-Aue-Schwarzenberg in Sachsen. 1972 trat er der CDU der DDR bei, einer sogenannten Blockpartei, gleichgeschaltet, SED-hörig. Im Bundestags-Handbuch ist das vermerkt, aber im Lebenslauf auf seiner eigenen Internet-Seite verschweigt Baumann diese Mitgliedschaft. Für "1989/1990" vermerkt er stattdessen eine "aktive Mitgestaltung der Wende".
Dieser geschmeidige Umgang mit der eigenen Vergangenheit ist immer noch verbreitet bei den Christdemokraten, die so gern die Konkurrenz von der Linkspartei an deren DDR-Wurzeln erinnern. Auf dem Bundesparteitag in Stuttgart Anfang Dezember will die CDU ein Grundsatzpapier verabschieden, das sich den "Perspektiven für den Osten Deutschlands" widmet und sich gegen eine "nostalgische Verklärung der DDR" wendet. Die Linke wird darin attackiert als die "direkte Nachfolgerin der für Unterdrückung und Bespitzelung verantwortlichen SED". Den Anstoß zu diesem Papier gab Bundeskanzlerin Angela Merkel. Es soll als Rüstzeug für den Wahlkampf 2009 dienen.
Die Rolle der Ost-CDU fiel in dem Entwurf für das Papier zunächst ganz unter den Tisch. Das ärgerte einige Christdemokraten sowie SPD und Linkspartei. Generalsekretär Ronald Pofalla will nun ein paar Sätze zur Geschichte seiner Partei einfügen und darüber abstimmen lassen. Die Passage enthält einen Satz, der trotz seiner Schlichtheit Ärger provoziert: "Gleichwohl hat die CDU in der DDR im totalitären System der SED-Diktatur mitgewirkt."
So viel brutale Aufklärung gefällt Maria Michalk nicht. Früher war sie in der Blockpartei, heute ist sie Bundestagsabgeordnete für Bautzen-Weißwasser und Mitglied im CDU-Bundesvorstand. Wenn überhaupt, dann wolle sie den Satz nur so akzeptieren: "haben einzelne Verantwortliche mitgewirkt". Michael Luther, der Vorsitzende der sächsischen Landesgruppe der Unionsfraktion im Bundestag, findet Pofallas Satz ebenfalls "nicht richtig". Allein die SED sei verantwortlich für das Unrecht in der DDR. Wolfgang Böhmer dagegen, christdemokratischer Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, sagt: "Es kann doch nicht sein, dass die CDU die einzige Partei ist, die nicht weiß, dass es zu DDR-Zeiten eine Ost-CDU gab." Auch sein Amtskollege in Thüringen, Dieter Althaus, der selbst damals Mitglied der Blockpartei war, ist für die Aufarbeitung.
Die CDU hat ihren hauseigenen Geschichtsstreit.
Wie die Christdemokratie war, damals in der DDR, weiß Matthias Brand, Pfarrer aus Wiesa, aus dem Wahlkreis des Abgeordneten Günter Baumann. Brand kann es kaum fassen, als er hört, dass Baumann in der DDR Mitglied der CDU war. "Das hat er mir nie erzählt." Er schätzt Baumann, aber neulich hat er der CDU-Bundestagsfraktion einen Brief geschrieben, in dem er an das christliche Gewissen der Abgeordneten appelliert: Die CDU müsse sich auch ihrer eigenen Rolle in der DDR stellen, ihrer Mitverantwortung. "Moralisch ist das eine Katastrophe", sagt er. "Die haben ihren Spielraum nicht genutzt, sie waren Helfershelfer der SED."
Brand war als Schüler Mitglied der "Jungen Gemeinden", eines Zusammenschlusses junger Christen. Die Mitglieder wurden Anfang der fünfziger Jahre von der SED verfolgt, die CDU tat nichts dagegen. Die Partei der Christen bot den jungen Christen keine Hilfe, man charakterisierte sie in Parteikreisen als "Kinder von Großbauern und der bürgerlichen Intelligenz".
Christlich hätten sich die Parteifunktionäre gewiss nicht verhalten, sagt Brand. Schätzungsweise ein Prozent der neun Millionen Christen in der DDR waren Mitglieder der CDU.
Die Partei musste sich 1990 innerhalb weniger Monate in die West-CDU integrieren, erklärt die Parteienforscherin Ute Schmidt von der Freien Universität Berlin. Die obere Funktionärsebene wurde damals abgelöst, aber für den Großteil der Mitglieder verlief der Wechsel zur gesamtdeutschen CDU reibungslos. Das war machtpolitisch schlau, weil sie halfen, den Wahlsieg von Helmut Kohl im Dezember 1990 zu sichern.
Aber dafür schleppt die Union nun auch ein Stück hässlicher DDR-Vergangenheit mit sich rum. "Bis heute hat man sich nicht wirklich mit der Frage nach der Mitverantwortung am SED-Regime auseinandergesetzt", sagt Parteienforscherin Schmidt, die ein Buch über die Ost-CDU und den Wandel der Block- zur Volkspartei geschrieben hat.
Die CDU saß, wie auch die Liberal-Demokratische Partei oder die National-Demokratische Partei im Ministerrat und in den Volksvertretungen, hatte aber keine politische Gestaltungsmacht. Die Blockparteien dienten der SED als verlängerter Arm. So konnte sie Einfluss auf möglichst viele gesellschaftliche Gruppen nehmen. "Wer nach der Gleichschaltung in den fünfziger Jahren in die Ost-CDU eintrat, der wusste, dass sie uneingeschränkt die Politik der SED unterstützte", sagt Politologin Schmidt.
In den achtziger Jahren arbeiteten mehr als 20 000 der etwa 120 000 CDU-Mitglieder als hauptamtliche Staatsfunktionäre, Abgeordnete oder Ehrenamtliche in den Kreisen und Bezirken. Mehr als 3000 waren Mitglieder der Räte von Bezirken und Kreisen, Oberbürgermeister und Bürgermeister.
So auch der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich: Heute sagt er gern, dass er nur in die Ost-CDU eingetreten sei, um Ruhe vor der SED zu haben. Warum hat er sich dann 1989 in den Rat des Kreises Kamenz wählen lassen? Der Rat hatte per Gesetz ausdrücklich die "Politik des sozialistischen Staates" zu betreiben. Tillich gehörte ihm als Stellvertreter des Vorsitzenden für Handel und Versorgung an.
Dass er dafür gut gerüstet war, belegt eine Vorlage zum "Jahresplan der sozialistischen Kaderarbeit" aus dem Jahr 1989, der heute im Kreisarchiv Kamenz liegt. Er diente dazu, "langfristig eine stabile Kaderreserve" für die "Nomenklatur des Rates des Kreises" zu entwickeln. Laut diesem Dokument hat Tillich von Januar bis März 1989 an der Kaderschmiede des SED-Staates, der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR in Potsdam Babelsberg, einen Lehrgang besucht.
Wer vom Ministerpräsidenten wissen will, ob dies denn sein könne, erhält eine ausweichende Antwort aus der Staatskanzlei. Tillich könne "aufgrund seiner Erinnerung diese Frage weder abschließend bejahen noch verneinen".
In Sachsen gibt es nun einen Mann, der aufdecken will, wer von der CDU - und wie tief - in das DDR-Regime verstrickt war:
Karl Nolle, 63, Landtagsabgeordneter der SPD. Nolle, der 1989 aus Hannover nach Dresden übersiedelte und eine marode Druckerei aufkaufte, wird demnächst eine Broschüre herausgeben mit dem Arbeitstitel: "Gegen das Vergessen - die nicht aufgearbeitete Geschichte der Staatspartei CDU und ihre tiefe Verwurzelung im SED-Regime."
Darin listet Nolle auf, dass 1990 über 70 Prozent der CDU-Mandatsträger im sächsischen Parlament Mitglieder der Blockpartei gewesen seien. Und er nennt Politiker, die in der SED waren und nach der Wende von der CDU bei Kommunalwahlen unterstützt wurden. Manche sind später sogar in die gesamtdeutsche Christenunion aufgenommen worden.
Nach Nolles Recherchen unterstützte die CDU etwa die Kandidatur des Bürgermeisters eines kleinen Dorfs bei Chemnitz, eines ehemaligen Stasi-Offiziers, sowie die des Oberbürgermeisters von Stendal, der früher als Oberstleutnant zum DDR-Grenzkommando Nord gehörte. Während seiner Dienstzeit sollen dort mindestens drei Republikflüchtlinge ums Leben gekommen sein.
So wirkt das Papier, das jetzt auf dem Bundesparteitag verabschiedet werden soll, zumindest an der Stelle heuchlerisch, wo es der SPD mangelnde Distanz zur SED vorwirft: "Damals wie heute hatte die SPD keine Probleme, sich für eine Partei zu öffnen, die sich zum Ziel gesetzt hat, die freiheitliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland zu bekämpfen." Die CDU hat im Osten, zumindest in Teilen, auf ganz andere Weise mit dem SED-Regime paktiert.
Volkmar Vogel, Bundestagsabgeordneter der Union aus Sachsen, war auch in der Ost-CDU. Er sagt, dass er sich kurz vor der Wende für den Kreisvorstand Gera-Land aufstellen ließ - und auch gewählt wurde. Das bereut er. "Da hat man schon ein Stück weit Schuld auf sich geladen, die trage ich auch. Man war schon durch die einfache Parteimitgliedschaft Teil des Systems."
MARIE VON MALLINCKRODT, STEFFEN WINTER