DNN/LVZ, 24.11.2008
Turbulenzen um Tillich
Vorwurf: DDR-Biografie geschönt / Staatskanzlei dementiert
Dresden. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) ist wegen seiner DDR-Vergangenheit in die Kritik geraten. Der SPD-Landtagsabgeordnete
Karl Nolle wirft Tillich vor, ideologische Weiterbildungen zum Staatsfunktionär verschwiegen zu haben. Die Staatskanzlei wies die Vorwürfe zurück. Die Vita von Tillich sei öffentlich bekannt, sagte Regierungssprecher Peter Zimmermann – weitgehend zumindest.
Der Eintrag im Landtagshandbuch ist kurz und knapp. „1984 bis 1987 Konstrukteur in einem Elektronikunternehmen“, steht im Lebenslauf von Stanislaw Tillich, „1987 bis 1989 Angestellter der Kreisverwaltung Kamenz“. Eben dieser zweite Punkt führt nun zu erheblichen Verwerfungen. Sowohl das Nachrichtenmagazin Der Spiegel wie die Tageszeitung Die Welt berichteten am Wochenende, das Engagement von Tillich sei weit über das bisher Eingeräumte hinaus gegangen. So sei er nicht nur Stellvertreter des Vorsitzenden für Handel und Versorgung im Rat des Kreises gewesen, er habe auch an einer Kaderschulung teilgenommen – vom 2. Januar bis 10. März 1989.
Dahinter steht der Vorwurf, Tillich und mit ihm die sächsische CDU versuchten, die Geschichte ihres Führungspersonals zu schönen. So hat sich Tillich laut „Jahresplan der sozialistischen Kaderarbeit“ an der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften in Potsdam schulen lassen, diente „langfristig als stabile Kaderreserve“. Brisant wird die Angelegenheit, weil die Staatskanzlei einem Bürger geantwortet hatte, dass Tillich eben diese Fortbildung zu DDR-Zeiten „nicht mehr erinnerlich“ sei.
Gestern nun ging die Staatskanzlei in die Offensive. „Herr Tillich hat den Lehrgang besucht“, sagte Sprecher Zimmermann, er sei aber nicht permanent anwesend gewesen. Und: Tillich habe dies getan, um den Vize-Posten im Rat des Kreises zu bekommen – eine Art Karrieresprungbrett also. Insgesamt aber wolle Tillich seine Vergangenheit keineswegs vertuschen. „Die Debatte muss geführt werden“, sagte Zimmermann, „aber nicht parteipolitisch“.
Eben diesen Gefallen wollen ihm SPD-Mann Nolle, aber auch Sachsens Grüne nicht machen. „Tillich täuscht die Öffentlichkeit“, sagte Nolle gestern, erst nach Presseberichten habe er „seine irreführende Vita klammheimlich ändern“ lassen. Darüber hinaus hat Nolle in wochenlanger Fleißarbeit biografische Fakten zu CDU-Größen gesammelt – Blockflöten-Statistik. Grünen-Fraktionschefin Antje Hermenau forderte Tillich auf, reinen Tisch zu machen. „Um Ruhe vor der SED zu haben, trat man vielleicht in eine Blockpartei ein. Aber wer stellvertretender Vorsitzender des Rates des Kreises für Handel und Versorgung wurde, machte Karriere und suchte nicht die Nische.“
Darüber hinaus wurden gestern weitere Details aus dem Lebenslauf von Tillich bekannt. So war dieser von November 1977 bis April 1979 bei den DDR-Grenztruppen, und zwar als Gefreiter in Neuhaus-Schierschnitz in Thüringen. Zweitens kursierten Meldungen, er habe Stasi-Kontakte gehabt. Dabei handelte es sich um zwei dienstliche Treffen. Das eine fand im Betrieb statt, Grund war ein defektes Türsiegel, das andere im Rat des Kreises, wegen akuten Brotmangels.
Von JÜRGEN KOCHINKE