Sächsische Zeitung, 24.11.2008
Tillich wehrt sich gegen „Blockflöten“-Vorwurf
Stanislaw Tillich will sich für seine DDR-Vergangenheit keinesfalls entschuldigen.
Der Dresdner SPD-Landtagsabgeordnete
Karl Nolle kann zufrieden sein. Eine von ihm noch unveröffentlichte Broschüre über die Verstrickungen von CDU-Politikern aus Sachsen ins einstige Machtsystem der DDR setzt auch Ministerpräsident Stanislaw Tillich zu. So sieht sich der Regierungschef, der seit 1987 CDU-Mitglied ist, dem Vorwurf ausgesetzt, früher selbst eine „Blockflöte“ gewesen zu sein. So nennt der Volksmund besonders SED-hörige Mitglieder der früheren DDR-Blockparteien. Ein brisanter Vorwurf. So teilt die Sachsen-CDU, deren Vorsitzender Tillich ist, schon seit Jahren kräftig aus, wenn es um die Verantwortung anderer Parteien – vornehmlich der Linken – um die DDR-Vergangenheit geht.
„Schäbige Ost-West-Debatte“
Nun muss die Staatskanzlei einräumen, dass Tillich vor seiner Ernennung zum stellvertretenden Vorsitzenden des Rates des Kreises Kamenz für Handel und Versorgung im Mai 1989 als „Reservekader“ für den DDR-Staatsapparat geschult wurde. Auch wurde Tillichs Wehrdienst bei den DDR-Grenztruppen publik. Dass ihm Kritiker deshalb Nähe zu den DDR-Machthabern vorhalten, ist aus Sicht von Regierungssprecher Peter Zimmermann aber empörend und nur eine „schäbige Ost-West-Debatte“, um den Regierungschef persönlich zu verunglimpfen. Tatsächlich tauchen die Vorwürfe gegen Tillich just in dem Moment auf, da die Christdemokraten auch auf Bundesebene unter Druck stehen, die Rolle der früheren Ost-CDU in der DDR stärker kritisch zu beleuchten.
Allein, das bisherige Dresdner Krisenmanagement, bei dem man Hals über Kopf die biografischen Daten Tillichs im Internet den aktuellen Presseveröffentlichungen anpasst, sorgt für neue Fragen. So wurde bekannt, dass Tillich neben dem dreimonatigen Lehrgang an der Potsdamer Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft ein halbjähriges Studium an der Handelshochschule Leipzig, Außenstelle Karl-Marx-Stadt, absolvierte. Inhalt: Leitung der sozialistischen Wirtschaft und sozialistisches Recht.
Zweimal Besuch von der Stasi
Zusätzlich für Unruhe sorgt das Reizwort „Stasi-Kontakte“, die Tillich auf dem mit 1500 DDR-Mark dotierten Posten in Kamenz gehabt haben soll. Tatsächlich erinnert der sich nur an zwei Begegnungen. Einmal habe er Besuch bekommen, weil die Staatssicherheit wegen eines beschädigten Siegels an einem Computerraum ermittelte. Das andere Mal hatte das MfS Sabotage vermutet, weil es am 7. Oktober, dem DDR-Staatsfeiertag, zu Engpässen bei der Brotversorgung im Kreis gekommen war. Regierungssprecher Zimmermann erklärte jedenfalls demonstrativ: Tillich werde sich nicht dafür entschuldigen, dass er 30 von seinen fast 50 Jahren in der DDR gelebt habe.
Die Diskussion beendete er damit nicht. Tatsächlich hakte Nolle am Wochenende nach und fragte, warum Tillich seinen mehrmonatigen Lehrgang für „linientreue Kader“ bisher vergessen habe. Auch die Grünen-Fraktionschefin Antje Hermenau forderte Tillich auf, reinen Tisch zu machen: In der CDU-Funktion als Kamenzer Versorgungschef habe er nicht die Nische vor der SED gesucht, sondern Karriere machen wollen. Tillich selbst will sich dagegen bewusst für die CDU und gegen die SED entschieden haben, die einst um ihn geworben hatte.
Von Gunnar Saft