Freie Presse Chemnitz, 24.11.2008
Blockflöten-Attacke bringt Tillich in Erklärungsnot
Ministerpräsident präzisiert seinen Lebenslauf — Gegenwind für „Chefankläger" Nolle
Dresden. Sendepausen im Dresdner Druckhaus des „Chefaufklärers" lassen im politischen Sachsen meist Unheilvolles erahnen. Vorboten einer neuen Angriffswelle übertrug
Karl Nolle bereits vor einer Woche am Rande des Parteitages seiner SPD. Es war die Ankündigung eines Sammelbandes über nicht abgearbeitete „Altlasten" der Sachsen-CDU. „Sonate für Blockflöten" beschreibt Nolle seine Recherchen. Stanislaw Tillich, das prominenteste Beispiel, servierte er in geübter Manier zum Wochenende.
„Verklärung nimmt zu"
Der eigenwillige Sozialdemokrat sorgt sich um die politische Kultur im Lande. „Die Verklärung eigener Verantwortung nimmt auch in der CDU mit wachsendem zeitlichen Abstand zur Wende zu", schreibt Nolle im Vorwort zum angekündigten Buch. Und er führt aus: „Das System vom Ministerium für Staatssicherheit bis zu den korrupten Politbürokraten lässt sich nicht trennen vom politischen System, dessen verlässlichste Stütze die Ost-CDU bis zum Untergang der DDR war."
Die Breitseite gilt dem einflussreichsten Mann im Freistaat. Dass Tillich eine „Blockflöte" war und in der Verwaltung des damaligen Kreises Kamenz als Angestellter (Beurteilung: „fleißig und beliebt") arbeitete, ist nicht neu. Bekannt, wenn auch weder im Handbuch des Landtages, noch auf seiner persönlichen Internetseite und der des Ministerpräsidenten bisher vermerkt, ist sein Aufstieg zum Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Kreises für Handel und Versorgung.
„Mit Politik hatte ich wenig zu tun. In die Blockpartei CDU bin ich eingetreten, damit ich Ruhe vor der SED hatte." So hatte sich Tillich bisher zu seiner Vergangenheit geäußert. Er habe eine Nische gesucht und sich in seinem Heimatdorf in eine kleine Gemeinschaft der Kirche zurückgezogen.
Diese Erklärung passt nicht ganz zur Berufskarriere und zu Beschreibungen aus der Verwaltung. „Kollege Tillich besitzt eine klare politische Grundhaltung zur Politik unseres Staates und ist bestrebt, diese in der täglichen Arbeitspraxis durchzusetzen", lautete die Beurteilung seines Vorgängers Schmidt. Auch der war CDU-Amtsträger. Der Posten stand der Partei zu.
„Plötzliches Vergessen"
Erinnerungen an Tillich hat auch Regina Schulz. Die Vizepräsidentin des Landtages von den Linken war politische Mitarbeiterin der SED-Kreisleitung in Kamenz. Persönlich schätze sie Tillich sehr. Doch er beschönige seine Vita, meint sie. Sie könne überhaupt nicht verstehen, "warum er plötzlich vergisst, wo er herkommt". Schließlich sei er 1987 in die CDU eingetreten, nachdem ihm eine Laufbahn im Rat des Kreises angetragen wurde, für die dieses Parteibuch Bedingung gewesen sei.
Kurzfristig desorientiert war auch Tillichs Umfeld in der Staatskanzlei, als es um die Teilnahme des damals 30-Jährigen an einem Kaderlehrgang in Potsdam ging. Weder bestätigen noch dementieren könne man die Schulung Anfang 1989. Gestern erfolgte die Bestätigung. Offen bleibt, ob Tillich alle Programmpunkte absolviert hat. Dagegen erklärte Regierungssprecher Zimmermann, dass Tillich 1987 pin halbjähriges Teilstudium in Chemnitz in den Lehrgebieten „Leitung sozialistische Wirtschaft und sozialistisches Recht" absolviert hat. Auch zwei Anwerbungsversuche der Stasi habe es gegeben.
Rückendeckung von Eggert
Politiker, die unter der SED-Willkür gelitten haben, springen Tillich bei. Als Pfarrer habe er Studenten empfohlen, in die CDU einzutreten, „damit sie nicht in die SED gepresst werden", sagt Heinz Eggert (CDU). Kritisch setzt sich der Landtagsabgeordnete mit Nolle als Urheber der Angriffe auseinander. „Jemand, der sich bei allen Abstimmungen im Landtag über Stasi-Spitzel mit der Begründung enthalten hat, er werde nicht über DDR-Biografien richten, weil er selbst nicht in der DDR gelebt habe, muss das durchhalten, sonst wird er unglaubwürdig."
Auch Politik-Wissenschaftler Werner Patzelt geht mit Milde an die Beurteilung der CDU-„Blockflöten" heran. Nicht die CDU habe die DDR geführt. Sie sei in das DDR-Blockparteiensystem „hineingezwungen" worden. Der sächsischen Union attestiert Patzelt, sich von allen ostdeutschen Landesverbänden am konsequentesten erneuert zu haben. Verständnis für die Kritik an Defiziten bei der Aufarbeitung ihrer Vergangenheit äußert der Dresdner Politologe gleichwohl. Da Parteien wie SPD und Grüne keine Altlasten mit sich tragen, sei der Versuch, „einer erfolgreichen CDU ans Bein zu pinkeln", nachzuvollziehen.
Kritik am „Scharfrichter"
Die Attacken auf die Union berühren auch Steffen Flath, den Fraktionschef der Union im Landtag. Er hatte kürzlich in der Freien Presse" seinen Eintritt in die Blockpartei CDU mit der Flucht vor den Anwerbungsversuchen der SED begründet. „Dass ausgerechnet Nolle, der so wenig Ahnung vom Staatsaufbau der DDR hat, sich zum Scharfrichter unseres Umganges mit der Vergangenheit macht, passt zu dessen selbst ernannter Rolle", so Flath.
Noch schärfer wird CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer. „Während Nolle auf der Sonnenseite der Mauer gesessen und bei gutem Rotwein über die Überlegenheit des Sozialismus philosophiert hat, sind die Menschen in der DDR. mit der Realität des Systems konfrontiert worden." Auch er habe als Junger Pionier begeistert „Immer bereit" gerufen. „Rückblickend wirkt das merkwürdig", so Kretschmer. „Doch ich verbitte mir, dass Leute wie Nolle mein Leben und das anderer DDR-Bürger beurteilen."
VON HUBERT KEMPER