DNN/LVZ, 25.11.2008
Tillich steht zu seiner DDR-Biografie
Erklärung in der Gläsernen Manufaktur / SPD-Buchautor Nolle gefährdet erneut Koalitionsfrieden
Dresden. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) erklärt seine Vergangenheit. Für die Union gehen die Probleme aber weiter. Denn der SPD-Abgeordnete
Karl Nolle droht zum Weihnachtsfest mit einer Generalabrechnung in Buchform.
Draußen im Schneegestöber stehen die Dienstkarossen im Dutzend, drinnen, in der Gläsernen Manufaktur in Dresden, soll es um Finanzpolitik, Mittelstand und den ländlichen Raum gehen. Es ist die dritte gemeinsame Kabinettssitzung von Sachsen und Baden-Württemberg, doch die Anwesenden interessieren sich nur für das eine: Wie steht es um Sachsens Regierungschef Stanislaw Tillich (CDU) nach den Schlagzeilen vom Wochenende? Und: Wird er sich zu seiner DDR-Biografie erklären, erstmals seit Bekanntwerden der Vorwürfe?
Schließlich kommt er, leicht nervös und angespannt, gemeinsam mit Günther Oettinger (CDU), seinem Pendant aus Stuttgart. Dann spricht Tillich, erst ein wenig über die SachsenLB, dann über die beiden Länder als „Zukunftsregionen“. Nach fast eine halben Stunde, der offizielle Teil der Pressekonferenz ist vorbei, da ist es soweit. Tillich geht auf die Debatte der letzten Tage ein, seine Kernsätze lauten: „Das Gute im Menschen zu finden, waren die Gründe, die mich in die CDU geführt haben“; „das hat den Machtapparat der SED gestützt“; „aus heutiger Sicht ist das ein Schritt, den man so nicht wiederholen würde“. Und allen ist klar: Damit räumt Tillich seine strukturelle Verstricktheit ins DDR-System ein.
Für den 49-Jährigen ist es das erste Mal, dass er seit seiner Inthronisierung zum Regierungschef in der Kritik steht. Bisher war er vor allem eines: der smarte Sorbe, der nirgends angeeckt und keine Fehler macht. Jetzt muss er sich beweisen. Das Statement in der Gläsernen Manufaktur ist ein erster Schritt. In der Sachsen-CDU sorgt das für latente Unruhe. Zwar sagt Tillich, er habe „viel Verständnis und Unterstützung“ aus eigenen Reihen erhalten, denn viele seiner Parteifreunde würden diesen Lebensweg kennen. Unter der Hand aber fürchten nicht wenige in der Union denjenigen, der auch die Debatte um Tillich eröffnet hat: Karl Nolle, SPD-Aufklärer mit viel Gewicht und wenig Beißhemmung. Der hat ein Buch in Arbeit mit dem Titel „Sonate für Blockflöten und Schalmeien“, als kleines „Weihnachtsgeschenk für die sächsische Union“, wie er meint. Das soll in rund drei Wochen erscheinen und enthält über 100 Biografien – von führenden CDU-Leuten versteht sich.
Neben Details zu Tillich finden sich darin Kapitel über das halbe CDU-Kabinett, von Albrecht Buttolo (Innen) über Christine Clauß (Soziales) bis Frank Kupfer (Umwelt). Hinzu kommen Passagen über CDU-Fraktionschef Steffen Flath, Ex-Minister wie Horst Metz und Hermann Winkler sowie Landräte und Bürgermeister – und zu Bernd Merbitz. Der ist Landespolizeipräsident mit CDU-Parteibuch und war im Gegensatz zu den anderen nicht in der Block-CDU, sondern in der SED.
Für Nolle ist das ein Werk „gegen das Vergessen“, für die CDU ist es eine Zumutung, die für Zorn und neuen Koalitionszoff sorgt – und für die SPD zumindest ein Problem. Denn diese sitzt als kleiner Koalitionspartner mit der Union am Kabinettstisch. Derzeit aber will sich keiner der führenden Sozialdemokraten zu Nolle äußern. Sowohl SPD-Chef Thomas Jurk wie Fraktionschef Martin Dulig ziehen das Schweigen vor. Hinter vorgehaltener Hand aber sprechen SPD-Mitglieder davon, die Attacke auf Tillich sei „keine konzertierte SPD-Aktion“ gewesen – was soviel heißen soll wie: Es war ein Alleingang von Nolle.
Von JÜRGEN KOCHINKE