Karl Nolle, MdL

spiegel-online, 26.11.2008

Stück für Stück kommt das Gedächtnis zurück

Stanislaw Tillichs DDR-Biografie
 
Die Erinnerung an seine DDR-Vergangenheit setzt bei Sachsens Ministerpräsident Tillich offenbar nur langsam ein. Doch Akten beweisen: Schon kurz nach dem Eintritt in die Blockpartei CDU schaffte er es damals in die erste Reihe. Nun tut er sich sichtlich schwer, seine Biografie zu erklären.

Dresden - Honoré de Balzac, der große französische Realist, hatte früh einen Sinn für die kleinen Schwächen seiner Landsleute: "Die Erinnerungen", so analysierte er, "verschönern das Leben, aber das Vergessen allein macht es erträglich." Der Mann ist seit über 150 Jahren tot, doch das aktuelle Hin und Her des sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (CDU) um seine DDR-Vergangenheit hätte ihn womöglich erheitert.

Innerhalb von Tagen setzt beim Regierungschef die Erinnerung an seine Zeit als Mitglied der Blockpartei CDU wieder ein. Er legt jetzt eine Art Generalbeichte ab, die man sich schon vor Jahren in dieser Form gewünscht hätte.

Fest steht: Tillich war nun doch 1989 bei einem umstrittenen Lehrgang für Marxismus/Leninismus an der Akademie für Staat und Recht der DDR; er hatte offizielle Kontakte zur Staatssicherheit; er diente in einem Grenzkommando. Erst unter Druck von außen - auch des SPIEGEL - wurden diese Fakten bekannt. Der Regierungssprecher kommentierte den Vorgang brüsk: "Was hier passiert, ist eine gezielte Diskreditierung Einzelner. Und zwar deshalb, weil der Ministerpräsident in der DDR gelebt hat."

Ist es das? Mitnichten.

Es geht ausdrücklich nicht darum, ob Tillich in der DDR gelebt hat. Aber sehr wohl darum, wie er das tat. Es geht darum, dass es in keiner Weise so war, wie besagter Sprecher der Öffentlichkeit vorgaukelte, dass nämlich "ganz offen und transparent" mit dem politischen Werdegang des Ministerpräsidenten umgegangen wurde.

Nahezu alle bis zum Wochenende zugänglichen offiziellen Lebensläufe Tillichs enthielten die irreführende Formulierung, er habe vor der Wende eine "Tätigkeit in der Kreisverwaltung Kamenz" ausgeübt. Schon der Terminus ist zumindest ungenau, weil es sich nun mal um den "Rat des Kreises Kamenz" handelte. Bei der Kreisverwaltung waren ja auch der Pförtner, der Fahrer und der Gärtner.

Es macht einen Unterschied, ob jemand dem Rat direkt angehörte, unabhängig vom jeweiligen Parteibuch. Als die Menschen im Herbst 1989 auf die Straße gingen, hatten sie drei Anlaufstellen, um gegen das verhasste Regime zu protestieren: die SED-Kreisleitung, die Stasi-Kreisverwaltung und den Rat des Kreises. Es ist einzig der Besonnenheit der Bürgerbewegten zu verdanken, dass die Ratsmitglieder seinerzeit körperlich unversehrt die Revolution überstanden. Dass es aus einer aus diesem Kreis eines Tages ins höchste Amt eines gesamtdeutschen Bundeslandes schaffen würde, hätte die Vorstellungskraft der Demonstranten mit Sicherheit überschritten.

Schnell in der ersten Reihe angekommen

Wichtig wäre nun Klarheit über diese alles andere als gewöhnliche DDR-Biografie - doch daran hapert es immer noch.

Vom 1. Oktober 1987 bis 24. Mai 1989 sei er Verwaltungsangestellter beim Rat gewesen, teilte Tillich jetzt mit. Das ist erneut irreführend. Tatsächlich wurde der aufstrebende Jungkader als stellvertretender Abteilungsleiter für Handel und Versorgung geführt. Anwesenheitslisten des Amtes belegen, dass Tillich das zuständige Ratsmitglied schon 1988 bei Abwesenheit vertrat - was die Staatskanzlei inzwischen auch einräumt.

Tillich war kein Mitläufer, kein kleiner Angestellter. Der Christdemokrat war schon kurz nach seinem Parteieintritt in der ersten Reihe angekommen.

Er sei jung gewesen und habe aus seinem Leben etwas machen wollen, gibt Tillich nun zu Protokoll. Nach "Handlungsformen" habe er gesucht, wie er sich unter den "politischen Rahmenbedingungen entwickeln konnte". Viele Worte, um zu beschreiben, dass man sich in der Politbüro-Diktatur einzurichten begonnen hatte - Stasi-Besucher und Wehrdienst an der Grenze inklusive, man konnte es sich ja nicht aussuchen.

Oder doch? Unsichere Kantonisten zog das DDR-Regime niemals zum Grenzdienst heran. Die Fluchtgefahr wäre viel zu groß gewesen. Schon bei der Musterung war es möglich, den Dienst an der Grenze auszuschließen. Ganz abgesehen von der Möglichkeit, den Dienst an der Waffe ganz zu verweigern. Viele Glaubensbrüder von Tillich sind diesen unbequemen Weg gegangen. Nicht mal in der DDR wurde man dafür eingesperrt.

Doch Karriere machten die Bausoldaten in der DDR nicht mehr.

Von Steffen Winter, Dresden

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