DNN/LVZ, 26.11.2008
Debatte um DDR-Biografien erreicht gesamte Sachsen-Union
Nach Regierungschef Tillich äußern sich weitere Kabinettsmitglieder und Abgeordnete zu ihrer Vergangenheit
Dresden. Den Anfang machte Sachsens Innenminister am Montagabend. „Ich stehe zu meiner DDR-Biografie“, sagte Albrecht Buttolo (CDU) in einer persönlichen Erklärung, „ich habe nie ein Geheimnis aus meinem Leben in der DDR gemacht“. Und weil kurz zuvor Regierungschef Stanislaw Tillich (CDU) auf Vorwürfe zu seiner Rolle im Rat des Kreises Kamenz reagiert hatte, legte Buttolo nach. Bekannt sei auch, dass er Mitglied der Kampfgruppe war – um „dem obligatorischen Reservedienst in der NVA zu entgehen“.
Das Statement von Buttolo war in seiner Offenheit ungewöhnlich, unter der Hand aber zeigt es vor allem eines: Die Debatte um Tillich hat längst die gesamte Sachsen-CDU erfasst, die Frage nach sogenannten Blockflöten in hohen Nach-Wende-Ämtern lässt sich nicht länger vermeiden. Das gilt auch für weitere Kabinettsmitglieder wie Christine Clauß und Frank Kupfer (beide CDU). Die eine ist Sozialministerin, trat 1984 in die Block-CDU ein; der andere ist für Umwelt zuständig und seit 1982 Mitglied – auch als Vize-Kreisparteisekretär.
Die Debatte vor Augen geht Kupfer nun in die Offensive. „Ich bin in die CDU eingetreten, weil ich etwas verändern wollte“, sagt er. Allerdings sei dann Ernüchterung eingekehrt. „Es war eine bittere Erkenntnis für mich, dass das, was ich wollte, nicht ging.“ Anders ist die Sachlage in Bezug auf Clauß. Die hatte 1976 sogar einen Ausreiseantrag gestellt. „Damit“, meint sie heute, „begann eine schlimme Zeit der Repressalien, nicht beruflich, aber persönlich“. Und: „Irgendwann kam der Zeitpunkt, wo es nicht mehr ging. Ich wollte auch wieder am sozialen Leben teilhaben und bin in die CDU eingetreten.“
Neben den Kabinettsmitgliedern sind auch viele CDU-Abgeordnete unfreiwillig Teil der Debatte. So waren nach Aussage von SPD-Mann
Karl Nolle von 55 aktuellen CDU-Parlamentariern über 40 Prozent Mitglied der Block-CDU. Das gilt für Fraktionschef Steffen Flath, der 1983 eintrat, ebenso wie für den Parlamentarischen Geschäftsführer Heinz Lehmann (1979). Flath sagt, er habe sich so „den Anwerbungsversuchen der SED entziehen“ wollen. Gleichzeitig verweist er darauf, dass die Ost-CDU ein Feigenblatt des DDR-Regimes war. Es habe aber solche und solche CDU-Mitglieder zu DDR-Zeiten gegeben, das dürfe man heute nicht vermengen. Ähnliches gilt für Lehmann, der laut Nolle zu DDR-Zeiten Chef einer Schiedskommission war. Auch Lehmann sagt heute, er wollte auf diesem Weg der SED entgehen.
Anders ist die Lage bei Bernd Merbitz. Der Landespolizeipräsident ist mittlerweile in der CDU, war aber früher Mitglied der SED. „Ich habe nie etwas verheimlicht“, sagt er. „Fast jeder, der wie ich zur Polizei ging, war in der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft, Mitglied bei Dynamo und in der SED.“ Als Kriminalist hat er es zu DDR-Zeiten bis zum Major gebracht. Gleichzeitig meint Merbitz: „Ich würde aus jetziger Sicht einiges anders machen, aber die guten Ratschläge von heute hatten wir damals nicht.“
Jürgen Kochinke