Karl Nolle, MdL

Süddeutsche Zeitung, 18.12.2008

Rechtsextremismus: Weiß, blau und braun

Wie bekämpft man Rechtsextremismus? Es gibt einen merkwürdigen Glauben daran, dass es ausreicht, die richtige Gesinnung zu haben. Aber: Moral allein genügt nicht.
 
"Wie viele Nazis gibt es hier?" Es gibt Orte in Deutschland, in denen diese Frage berechtigt ist - im idyllischen Ort Fürstenzell zum Beispiel, wo der Passauer Polizeichef fast totgestochen worden ist. Wie viele Nazis gibt es hier? Es gibt Örtlichkeiten, an denen diese Frage betretenes Schweigen oder verlegenes Grinsen auslöst.

Wenn man sie in der ostdeutschen Provinz in einer Plattenbauschule stellt, erntet man Gelächter. Die Klasse grient, ein Junge sagt leicht spöttisch: "Die kann man hier gar nicht zählen, die stehen doch hier überall herum!" Also geht man in etlichen Gegenden, zumal in Ost-Deutschland, eben nicht auf Stadtfeste und nicht in bestimmte Stadtteile, die den Neonazis "gehören". Der Soulsänger Xavier Naidoo hat vor einiger Zeit, als er zu Besuch in einer Schule in Anklam war, mit seiner Frage nach den Nazis beklommene Heiterkeit geerntet.

Wie bekämpft man Rechtsextremismus? Es gibt einen merkwürdigen Glauben daran, dass es ausreicht, die richtige Gesinnung zu haben. Aber: Moral allein genügt nicht. Es genügt auch nicht ein neuer Verbotsantrag gegen die NPD beim Verfassungsgericht.

Manche Leute glauben, so ein Verbotsantrag funktioniere wie die Fernbedienung beim Fernsehen: Man drückt drauf - und schon hat man ein neues Bild und ein besseres Programm. So ist es nicht.

Ein Verbot der NPD hätte das Attentat auf den Passauer Polizeichef nicht verhindert. Ein "Aufstand der Anständigen", wie ihn die Regierung Schröder vor Jahren proklamierte, besteht nicht zuvorderst darin, das Straf- und Versammlungsrecht zu verschärfen. Paragraphen können nicht die Menschen ersetzen, die sich trauen, sich gegen die Verbräunung ihres Alltags zu wehren. Alois Mannichl, der Polizeichef von Passau, hat das in vorbildlicher Weise getan; deswegen wurde er Opfer der Neonazi-Gewalt.

Sicherheitsbehörden und Ermittler stehen ziemlich orientierungslos in einer braunen Nebelbrühe, weil sie die Gefahr nicht ernst genug genommen, weil sie einen Alois Mannichl alleingelassen haben; der brave Mann musste, um sich gegen Hetzparolen im Internet zu wehren, aus privaten Mitteln einen Anwalt bezahlen. Es ist dies ein Exempel für staatliche Indolenz.

Was machen eigentlich die vielen V-Leute, die in der Neonazi-Szene für den Verfassungsschutz arbeiten? Die Sicherheitsbehörden tun so, als sei die braune Gewalt soeben erst vom Himmel gefallen und in Fürstenzell aufgeschlagen - trotz der fünf Neonazi-Morde, die es in diesem Jahr in Sachsen, Berlin und Brandenburg schon gegeben hat; trotz des versuchten Bombenanschlags auf die Grundsteinlegung der Münchner Synagoge vor fünf Jahren; trotz der Hetzartikel im Internet, trotz der Neonazi-Aufmärsche in der bayerischen Provinz.

In Gräfenberg, Landkreis Forchheim, marschiert seit 1999 die Neonazi-Szene immer wieder auf - seit zwei Jahren allmonatlich. Gräfenberg ist eines der vielen Exempel für die neue Frechheit des Rechtsextremismus (nicht nur) in Bayern. Das bayerische Weiß-Blau hat braune Flecken: Die oberste Führungsgarde der NPD lebt hier; ihr Bundesvorsitzender in Moosburg, sein Stellvertreter in der Nähe von Passau, der Holocaust-Leugner und frühere RAF-Anwalt Horst Mahler in der Nähe von München.

Die Partei hat tausend Mitglieder in Bayern, das ist ein Siebtel der Mitglieder bundesweit. Das verpflichtet - den Staat zur Umsicht, die Gesellschaft zu Zivilcourage. Die braune Szene im Westen wird aus dem Osten befruchtet, sie schwappt dort über. In vielen Städten und Städtchen im Osten ist der Rechtsextremismus zur dominanten Jugendkultur geworden. Auf den Schulhöfen zumal der Berufsschulen dominieren kahlgeschorene junge Männer das Bild. Das wurde so lange als Folklore abgetan, bis einige Folkloristen Ausländer und Obdachlose totgeschlagen haben. Es gibt zwar öffentlich geförderte Programme gegen rechtsextreme Gewalt: Sie leiden aber an Geldmangel und unter zu viel staatlicher Bürokratie.

Wenn Neonazis in den Innenstädten aufmarschieren und "ausländerfreie" Zonen proklamieren, sagt das sehr genau, worum es geht: Um die Verteidigung des öffentlichen Raums für die Werte der Demokratie und Toleranz. Mit den klassischen Methoden der Bekämpfung von organisierter Kriminalität kommt man da nicht viel weiter. Da braucht man Leute wie Alois Mannichl, die die Fußgängerzonen, Wirtshäuser und Schulhöfe nicht "denen" überlassen wollen. Das Land braucht ein politisches Klima, das die Mannichls unterstützt, es braucht Innen- und Justizminister, denen der Kampf gegen die braune Brühe in der Gesellschaft mindestens ebenso angelegen ist wie der gegen den Alkohol im Straßenverkehr.

Verfassungsschutz ist nicht nur und nicht in erster Linie das, was sich in der Bundes- oder Landesbehörde dieses Namens etabliert hat. Der wahre Verfassungsschutz besteht aus mutigen Lehrern und Polizisten; er besteht aus Studenten und Hausfrauen, die den Opfern rechtsextremer Gewalt helfen, sie zur Polizei begleiten; er besteht aus Bürgern, die es sich nicht gefallen lassen, dass sich ihre Kneipe in einen braunen Treffpunkt verwandelt. Einem Alois Mannichl darf es nicht länger so ergehen wie im Film "Allein gegen die Mafia". Zivilgesellschaft ist gebündelte Zivilcourage.
Ein Kommentar von Heribert Prantl

Karl Nolle im Webseitentest
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