DNN/LVZ, 23.12.2008
Stockfehler und Verwerfungen
Kritiker werfen Sachsens Justiz allzu große Nähe zur Politik vor / Kopfschütteln über Personalpolitik
Dresden. In der sächsischen Justiz hängt der Haussegen schief. Nicht nur die Opposition wirft Staatsanwälten und dem Justizministerium politische Einflussnahme vor, auch Richterverbände laufen Sturm. In der Kritik stehen vor allem Justizstaatssekretärin Gabriele Hauser und die Staatsanwaltschaft Dresden. Dabei droht Justizminister Mackenroth (CDU) Schaden zu nehmen.
Oberstaatsanwalt Christian Avenarius ist ein mediengewandter Mensch. Ob beim Thema Massengentest oder in der Affäre um Geheimakten des Verfassungsschutzes – immer versucht sich der Sprecher der Staatsanwaltschaft Dresden, pointiert in Szene zu setzen. Jetzt aber hat der Versierte übers Ziel hinausgeschossen. Mit seiner Ansage, die Staatsanwaltschaft ermittle gegen den Leipziger Polizisten Georg Wehling wegen des Verdachts der Falschaussage im U-Ausschuss zur Aktenaffäre, hat Avenarius selbst CDU-Vertreter gegen sich aufgebracht.
Das war Mitte vergangener Woche, seitdem hagelt es Kritik. Denn die Vernehmung von Wehling war noch nicht abgeschlossen, und solange darf prinzipiell nicht ermittelt werden – wegen möglicher Beeinflussung des Zeugen. In einer einmaligen Aktion verwahrte sich der U-Ausschuss nahezu einstimmig gegen die Einmischung, Avenarius blieb nur der Rückzug. Zähneknirschend räumte er ein, der Staatsanwaltschaft sei ein Fehler unterlaufen. Die Gemüter aber hat das nicht beruhigt, vor allem
Karl Nolle nicht. Der SPD-Mann stellte Strafanzeige gegen die Staatsanwaltschaft und legte gestern per Dienstaufsichtsbeschwerde nach.
Der Stockfehler von Avenarius ist nur das letzte Glied in einer Kette von Verwerfungen, die das Bild der sächsischen Justiz derzeit prägen. Das betrifft nicht zuletzt Justizstaatssekretärin Gabriele Hauser, die intern den wenig schmeichelhaften Spitznamen „Königskobra“ trägt. Grund ist zum einen die Tatsache, dass sie über Beförderungen von Richtern und Staatsanwälten entscheidet, zum anderen geht es um einen Fall aus dem Jahr 2004. Damals hatte die Polizei einen Betrunkenen beim Fahren erwischt. Der verweigerte auf der Polizeistation in Radeberg die Blutprobe, rief seinen Anwalt. Doch der rechtliche Beistand entpuppte sich als Referatsleiter aus dem Innenressort – ein Freund des Ertappten.
Genau das wollte die Staatsanwaltschaft Bautzen nicht hinnehmen. Sie ermittelte gegen den hohen Beamten wegen versuchter Strafvereitelung, und dann kam die „Königskobra“ ins Spiel. Hauser griff zum Telefonhörer und rief bei der Staatsanwaltschaft Bautzen an. Folge: Der Referatsleiter kam straffrei davon, die Staatssekretärin aber geriet in Erklärungsnot. Richterverbände werteten ihr Vorgehen als Einmischung, die Neue Richtervereinigung forderte gar ihren Rücktritt. Justizminister Geert Mackenroth (CDU) stellte sich hinter seine Amtschefin und erklärte, diese habe sich lediglich um „objektive Bearbeitung“ bemüht.
Doch nicht nur der Fall Hauser ist geeignet, das Image der Justiz in Misskredit zu bringen. Es ist vor allem die Neigung der Staatsanwaltschaft Dresden, sich gern im Umfeld der großen Politik zu bewegen. So erklärte Ex-Oberstaatsanwalt Henning Drecoll 2007, die Aktenaffäre sei nichtig – ein halbes Jahr vor Abschluss der Ermittlungen, aber einen Tag vor einem CDU-Landesparteitag. Ebenfalls passend zu einem Parteitag wurde der Strafbefehl gegen SPD-Chef Thomas Jurk in der sogenannten Kellen-Affäre verhängt. Und die Mitteilung, die Ermittlungen zum vermeintlichen Einsatz von Prostituierten im Leipziger Rathaus seien eingestellt, erreichte die Öffentlichkeit zu dem Zeitpunkt, als der U-Ausschuss Mitarbeiter des Verfassungsschutzes vernahm.
Das heizt die Stimmung an. „Mein Vertrauen in den Rechtsstaat und eine unabhängige Staatsanwaltschaft ist tief erschüttert“, geht Caren Lay (Linke) die Justiz an. „Die Staatsanwaltschaft Dresden hat jeden Anspruch verspielt, als unabhängige Anklagebehörde wahrgenommen zu werden“, meinte Johannes Lichdi (Grüne).
SPD-Mann Nolle sprach von „organisierter Desinformation“, Sachsens Justiz werde von der CDU-geführten Staatskanzlei und dem Justizministerium „politisch gelenkt“. Mittlerweile wird auch die CDU nervös. Minister Mackenroth, heißt es intern, „mangelt es an Führungsstärke“.
Für zusätzliches Kopfschütteln sorgt die Beförderungspolitik im Ressort. Wolfgang Schwürzer zum Beispiel soll zu Jahresbeginn Leitender Oberstaatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft Dresden werden. Profiliert hat er sich in der sogenannten S clmüffel-Attacke der Staatsanwaltschaft Chemnitz gegen Journalisten 2005 sowie in der Abmoderation der Aktenaffäre. Letzteres gilt auch für den ehemaligen Innenstaatssekretär Klaus Fleischmann, der Generalstaatsanwalt ist. Michael Wolting schließlich soll nach dem Willen des Ministeriums neuer Präsident des Amtsgerichts Leipzig werden. Auch er war beim Thema Aktenaffäre federführend aktiv.
Von JÜRGEN KOCHINKE