Karl Nolle, MdL

Berliner Zeitung, 03.12.2008

Solo für eine Blockflöte

CDU-PARTEITAG - Die Partei konnte das ungeliebte Thema Ost-Vergangenheit ihrer Mitglieder nicht ganz umgehen.
 
CDU-PARTEITAG - Die Partei konnte das ungeliebte Thema Ost-Vergangenheit ihrer Mitglieder nicht ganz umgehen. Die Delegierten überraschten Merkel mit einem Sprachbeschluss. Die CSU schickt kritische Töne aus der Ferne.
Holger Schmale, Daniela Vates

STUTTGART. Eine kluge Versammlungsleitung gehört zu den Erfolgsrezepten guter Parteitage. Wer die richtigen Leute zur richtigen Zeit sprechen lässt, vermeidet unerwünschte Debatten. Die CDU ließ gestern auf ihrem Parteitag den (Ost)-Berliner Fritz Niedergesäß zur Rolle der Ost-CDU in der DDR reden, und der tat es auf so nachdrückliche Weise, dass es weitere Wortmeldungen gar nicht mehr gab.

Das war auch so erwünscht, denn die CDU wollte in Stuttgart keine breite Diskussion über die Verstrickungen der von ihr 1990 geschluckten Ost-Partei. Solche Diskussionen führen, wie die vergangenen Wochen gezeigt haben, unweigerlich zu unangenehmen Fragen nach der Rolle heute prominenter CDU-Ost-Politiker wie Dieter Althaus oder Stanislaw Tillich, die lange vor der Wende zu den Christdemokraten in der DDR zählten.

So berichtete also Fritz Niedergesäß - 1983 in die Ost-CDU eingetreten, weil sie ihm sympathisch erschien - über seine Erlebnisse in der DDR. Dass die SED allein das Sagen hatte, dass er in einem ziemlich aufmüpfigen CDU-Verband war, dass er als Bauleiter wegen seiner CDU-Mitgliedschaft keine Karriere in seinem Betrieb machen konnte. Und dass man es einfach nicht erlauben dürfe, sich von den Kommunisten, diesen Halunken, nun heute noch vorführen zu lassen.

Nach einem pathetischen Video über 60 Jahre Bundesrepublik und 20 Jahre friedliche Revolution in der DDR traf dieser unbekümmert-selbstbewusste, in breitem Berlinerisch vorgetragene Beitrag genau den Ton, den man auf dem Parteitag hören wollte. Bei den Delegierten aus dem Osten, denen das Thema Vergangenheitsbewältigung eher unangenehm ist, und bei denen aus dem Westen, die von den unappetitlichen Geschichten aus der DDR lieber gar nichts mehr wissen wollen. Also lautete die Devise: Schluss damit, wir haben uns nichts vorzuwerfen, und die anderen schon gar nicht. Großer Beifall für Fritz Niedergesäß.

Da war es nur konsequent und gar nicht anders als einst bei der Ost-CDU, dass der Leitantrag des Vorstandes am Ende einstimmig angenommen wurde. Zuvor war dem Text, der vor allem der Auseinandersetzung mit der Linkspartei, der Erbin der SED, und ihrer Verbrechen dienen soll, noch eine Passage angefügt worden, in der immerhin eingeräumt wird, dass die Ost-CDU im totalitären SED-System mitgewirkt habe. Ganz en passant lehnten die Delegierten dann noch einen Antrag der Jungen Union ab, der die Zusammenarbeit mit der Linkspartei "auf allen Ebenen", also auch in den Kommunen ausschließen wollte. Das bleibt nun möglich, wenn die Kräfteverhältnisse es erfordern.

Der Antrag des Kreisverbands Halle (Sachsen-Anhalt), die Ost-CDU als Mannschaft von "Einflussagenten und Handlangern der SED" zu bezeichnen, wurde einstweilen in die Schubladen des Konrad-Adenauer-Hauses verwiesen. Er soll nun Diskussionsgrundlage sein für eine Kommission, die die Positionierung der CDU zum 20. Jahrestag des Mauerfalls vorbereitet.

"Wir kehren nichts unter den Teppich." Christoph Bergner, CDU, Innen-Staatssekretär

Christoph Bergner, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium und Vertreter des Kreisverbands Halle, war mit dem Verfahren zufrieden. "Das ist eine vernünftige Lösung", sagte er der Berliner Zeitung: Der Antrag habe von Umfang und Duktus nicht dem Leitantrag der Parteiführung entsprochen. Mit der Aufnahme der Passage zur Rolle der Ost-CDU sei die anfänglich bestehende Lücke in dem Antrag geschlossen worden. "Wir kehren nichts unter den Teppich. Im übrigen hat die CDU sich schon mehr als andere Parteien mit der Rolle ihrer Ost-Vergangenheit beschäftigt." Die geschichtliche Bewertung dürfe weder denen überlassen werden, die keine Ahnung hätten, noch denen, die vorsätzlich Diffamierung betrieben.

Philipp Mißfelder, Vorsitzender der Jungen Union und waschechter Westdeutscher, findet auch nicht, dass etwas fehlte in der Debatte. "Ich bin als Westdeutscher nicht berufen, über ostdeutsche Biografien zu richten", sagte er dieser Zeitung. "Mich stört aber, wie in Diskussionen und auch in der Berichterstattung Biografien durcheinandergeworfen werden." PDS-Fälle würden in einem Atemzug mit Dieter Althaus und Stanislaw Tillich genannt, die sich aber nichts vorzuwerfen hätten. "Mich regt es auf, dass Leute sich aufschwingen, moralisch zu richten über eine Zeit, von der sie keine Ahnung haben."

Es gab in Stuttgart allerdings noch einen anderen Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte. Die Potsdamer Abgeordnete Katherina Reiche ließ ein Quartett-Spiel verteilen: "Der große Wissenstest - Wie war das in der DDR?" Die Antworten auf die Quizfragen entsprechen exakt der verschwiegenen Parteilinie. Auf einer einzigen Karte taucht die Existenz der CDU auf, die wie die anderen Blockparteien als Alibi der SED gedient habe.

Auch auf die Frage, wo die erste gesamtdeutsche Kanzlerin Angela Merkel ihre Jugend verlebte, gibt es in dem Spiel erschöpfende Antwort:"Nach ihrem Abitur studierte sie Physik in Leipzig." Dass sie FDJ-Sekretärin für Kultur und Propaganda war, gehört da nicht hin, ebenso wenig wie in den offiziellen Lebenslauf der CDU-Vorsitzenden. Sie schwieg zu dem Thema auf dem Parteitag, wie meist, wenn es um die DDR-Vergangenheit geht. Alles ist dem Ziel untergeordnet, sie als Gesamtdeutsche darzustellen, in gewisser Weise eine Frau ohne Vergangenheit. Ganz ähnlich, wie ihre Partei gern eine ohne Ost-Vergangenheit wäre. (mit vat.)

Karl Nolle im Webseitentest
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