Frankfurter Rundschau, 27.01.2009
"Sachsensumpf": Hexe Simone und Egon, der Rehbock
Dresden. Zwei Stunden dauert schon die Erklärung von Simone Henneck, ehemalige Referatsleiterin Organisierte Kriminalität beim Sächsischen Verfassungsschutz, als sie plötzlich beginnt, von sich selbst in der dritten Person zu sprechen. "Am 3. Juli 2007 wird ein Scheiterhaufen unter der Hexe entzündet. Es ist Simone H." Etwas später sagt sie: "Jetzt bricht Simone H. in Tränen aus."
Gerüchte und frisierte Akten
Es ist ein gespenstischer Auftritt im Dresdner Landtag, einer, auf den Sachsen seit Juli 2007 gewartet hat. Ein Untersuchungsausschuss soll seit jenem hysterischen Sommer klären, wie es zu dem Humbug "Sachsensumpf" kam: Damals berichteten Zeitungen und ein Schriftsteller, offensichtlich gestützt auf Akten aus Hennecks Referat, Sachsen sei von einem Netz aus Korruption überzogen - Justiz, Verbrechertum, Politik und Wirtschaft Hand in Hand. Prostituierte gingen im Leipziger Rathaus ein und aus, hieß es.
Es brauchte einige Zeit, den Gerüchtesumpf trockenzulegen. Ein unabhängiger Bundesrichter prüfte, Verfassungsschützer anderer Länder nahmen die sächsischen Kollegen unter die Lupe. Generalbundesanwältin Monika Harms sah sich Akten an, lehnte eigene Ermittlungen ab und mahnte Journalisten zu Sachlichkeit. Am Ende kam heraus: Die Akten, angeblich 16.500 Seiten, waren aufgepeppte Gerüchte, Gerede und anonyme Anschuldigungen, alte Akten, frisiert und ungeschützt weitergegeben. Verfassungsschutzpräsident Reinhard Boos räumte schwere Pannen in seiner Behörde ein.
Am Ende blieben Anzeigen gegen Journalisten und Ermittlungs- und Disziplinarverfahren gegen die nun 49-jährige Henneck. Außerdem die Frage, wie eine Gruppe Verfassungsschützer über Jahre derart unkontrolliert vor sich hin dilettieren konnte, dass ein überforderter Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) sich sogar im Landtag blamierte und vor einem massiven Schlag der Mafia gegen Sachsen warnte.
Es ist eine zerstörte Frau, die an diesem Montag eine mehr als vierstündige Erklärung vorliest, in der nicht ein einziges Wort erklärt, wie es dazu kam, dass ein paar Verfassungsschützer und ein Häuflein Journalisten den Ruf des Landes Sachsen beschädigten. Sie liest überdeutlich jede Silbe eines jeden Wortes. Sie sagt, sie sei krank, nicht vernehmungsfähig. Hirnhauterkrankung. Sie habe nur für die Erklärung die Medikamente abgesetzt. Sie erzählt, sie sei ein Opfer von Medien, ein Opfer der Politik und des Verfassungsschutzes. Sie erzählt, ihr Chef Boos und dessen Vize hätten sie derart bedroht, dass sie es als "psychische Folter" erlebt habe. Sie sagt: "Simone H. bleibt allein. Sie ist eine Ausgestoßene." Kein Wort von eigener Verantwortung.
Früher war sie eine gute Staatsanwältin. Bekannt in Sachsen. Sie hat einen Kinderporno-Ring gesprengt. Aber sie sei immer übermotiviert gewesen, heißt es später über sie. Sie erzählt die Geschichte vom Rehbock Egon aus dem Tierheim in Stollberg, um dessen Schicksal sich Sachsens Justiz gründlicher gekümmert habe als um ihre Anzeigen und Nachfragen.
Sie redet und redet, jede Silbe überdeutlich. Und dennoch bleibt das Ganze unverständlich. Etliche Zuhörer beschleicht ein mulmiges Gefühl, sie blicken leer in die Runde. Hennecks Anwalt neben ihr wackelt manchmal mit dem Kopf.
von Bernhard Honnigfort