Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 27.02.2009

Verlogene Vergebung vergiftet

Von Christoph Jestaedt
 
Vergebung ist ein zwischenmenschlicher Akt, mit dem auf die zukünftige Geltendmachung und Sanktionierung eines rechtlichen oder moralischen Fehlverhaltens verzichtet wird. Wer vergibt, trägt ein Unrecht oder einen moralischen Makel nicht mehr nach. Vergebung kann auf diese Weise Resozialisierung für den Täter und auch eine Entlastung der zwischenmenschlichen Beziehungen bedeuten, da das, was vergeben wird, in Zukunft nicht mehr zwischen den Menschen steht und deren Beziehungen bestimmt.

Vergebung ist aber nur scheinbar etwas ausschließlich Positives. Die falschen Formen der Vergebung – wie zum Beispiel die selbstgewährte, erpresste oder ohne Schuldeingeständnis vorab geforderte Vergebung – vergiften die menschlichen Beziehungen. Besonders widerlich ist die vom Mächtigen eingeforderte Vergebung, da sie dem Untertan nicht nur abverlangt, Unrecht hinzunehmen, sondern es auch noch gutzuheißen.

Vergebung ist, wie die rechtliche oder die moralische Schuld, die sie betrifft, individuell. Kollektive Vergebung ist ebenso schwer vorstellbar, wie eine Kollektivschuld. Die Erfahrung lehrt, das sobald es kollektiv wird, die Grenzen nur verwischt werden sollen, damit im großen Eintopf alles mit allem verrührt werden kann. Vor allem mitlaufende Karrieristen, die ihre erlangten Besitzstände verteidigen bei gleichzeitiger Sozialisierung der Schuld, schätzen die kollektive Vergebung als Form bequemer Entsorgung.

Vergebung ist zwar meistens ein moralischer Vorgang, aber manchmal gibt es für sie rechtliche Regeln, die nicht selten eine Vergebung nur abgestuft ermöglichen oder sogar gänzlich ausschließen. Ein Beispiel ist das sächsische Recht für die Behandlung der DDR-Vergangenheit heutiger Bundesbürger. Diese rechtlichen Vorgaben betreffen nur einen kleinen Teil der ehemaligen DDR-Bürger. Sie sollen sicherstellen, dass die Funktionsträger des Arbeiter- und Bauernstaates nicht den wiedergefundenen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat unterwandern und beherrschen können.

Um gewaltfrei zu sein und die Anhänger und Träger der Diktatur nicht revolutionär zu eliminieren, wählten die friedlichen Revolutionäre diesen Weg des Rechts, um die Zukunft vor der Vergangenheit zu schützen. Wer heute allumfassende Vergebung verlangt, muss die Frage beantworten, ob er dieses geltende Recht ändern will. Es handelt sich im Wesentlichen um die Sächsische Verfassung, das Sächsische Ministergesetz und das Sächsische Beamtengesetz. Diese betreffen nur öffentliche Amtsträger, die Mitglieder der Staatsregierung, des Landtages oder des öffentlichen Dienstes sind.

Betroffen sind damit nicht diejenigen, die in der DDR gelebt haben und die nach der friedlichen Revolution eine berufliche Tätigkeit ohne Staatsnähe ausüben wollten. Angemerkt sei, dass diese Personen selbstverständlich auch keiner „moralischen“ Vergebung bedürfen, da der Umstand, in einer Diktatur gelebt zu haben, bestimmt nicht vergebungsbedürftig ist. Erst, wenn das Sich-Arrangieren zu einem Kollaborieren mit der Diktatur wurde, wird es moralisch und rechtlich gefährlich. Dies gilt insbesondere für die öffentlichen Amtsträger nach der friedlichen Revolution. Die Sächsische Verfassung (Art. 118, 119) und das Sächsische Ministergesetz (§ 1) verlangen im Wesentlichen nur, dass die öffentlichen Amtsträger nicht für das MfS oder eine Nachfolgeorganisation tätig waren. Das Sächsische Beamtengesetz geht wesentlich weiter, da es auch Tätigkeiten in Staat und Partei als Indiz für eine fehlende Eignung für den öffentlichen Dienst ansieht. Die beamteten und angestellten Staatsdiener werden damit schärfer beurteilt, als die Abgeordneten, die Minister oder der Ministerpräsident. Dies mag daran liegen, dass diese Staatsdiener ihr Amt auf Lebenszeit erhalten und nicht durch eine demokratische Wahl wieder verlieren können.

In der Praxis hat sich allerdings nicht die Vergangenheit selbst, sondern der Umgang mit ihr als das Hauptproblem erwiesen. Viele Polizeibeamte, angestellte Lehrer sowie andere öffentliche Bedienstete verloren ihre Ämter wieder, weil ihnen vorgeworfen wurde, ihre Ernennungen durch arglistige Täuschung bzw. ihr Amt durch Anstellungsbetrug erlangt zu haben.

Eine solche Sanktion kennt das Recht für den Ministerpräsidenten und einen Minister nicht. Lediglich wenn eine Stasi-Tätigkeit oder die anderen Voraussetzungen des Art. 118 vorliegen, können sie durch den Verfassungsgerichtshof ihrer Ämter ebenso enthoben werden wie Abgeordnete.

Doch die weitgehende rechtliche Sanktionslosigkeit bedeutet nicht, dass das Verschweigen oder eine fehlerhafte Darstellung der fragwürdigen Vergangenheit ohne Konsequenzen bleiben muss. Der Wähler hat es jederzeit in der Hand, Personen nicht wiederzuwählen, die meinen, dem Souverän über ihre Vergangenheit keine oder eine falsche Auskunft geben zu dürfen. Eine kollektive Vergebung nützt da gar nichts, da diese allenfalls die fehlende Seriosität und charakterliche Eignung des arglistig Täuschenden plakativ vor Augen führt. Man merkt die Absicht und bleibt verstimmt. Anders als in der untergegangenen DDR kann der heutige Wähler in der Stille der Wahlkabine unbeeinflusst darüber entscheiden, welches moralische Fehlverhalten er vergeben will und man darf getrost darauf setzen, dass gerade die Sachsen wissen werden, wem sie ihr Vertrauen für eine gute Zukunft schenken wollen.

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Der Verfasser, Christoph Jestaedt, geb. 1954, ist seit 1992 Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Dresden, Mitglied des Landesvorstandes des LACDJ (Landesarbeitskreis christlich-demokratischer Juristen) und Mitautor des Buches „Sachsen als Verfassungsstaat“.

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