Karl Nolle, MdL

Süddeutsche Zeitung, 27.02.2009

Ein feines Gehör für Blockflöten

Der Dresdner SPD-Abgeordnete Karl Nolle recherchiert die DDR-Vergangenheit von Politikern. Damit macht er sich auch in der eigenen Partei wenig Freunde
 
Dresden - Der Mann hat ersichtlich ein Faible für alte Apparate. Druckmaschinen und Telefone zum Beispiel, die als Dekorationsstücke die Büroräume schmücken. Vor allem aber mag er Schreibmaschinen: Das Foyer im "Druckhaus Dresden" ist vollgestellt mit Dutzenden historischen Schreibgeräten. Schwarz glänzen die buckligen Metallgehäuse, aus denen filigran gearbeitete Tastaturen hervorschauen - von der ehrwürdigen "Adler"Maschine bis zur "Remington" ist alles dabei. Drei Stockwerke darüber stapeln sich Berge roter Aktenmappen, dazwischen sitzt Karl Nolle an einem modernen Computer. Was er hier im Lauf der Jahre an kleineren und größeren Druckwerken formulierte, hat sächsische Landesregierungen schon in Angst und Schrecken versetzt.

Vor allem die Fragen des Abgeordneten sind berüchtigt: Binnen zweier Legislaturperioden hat Nolle, im Hauptberuf Druckereibesitzer in Dresden, ganze Kataloge von Landtagsanfragen produziert und damit oft genug den Nerv getroffen. Mit seinen penetranten Nachfragen in Untersuchungs- und anderen Ausschüssen brachte der Sozialdemokrat zwei sächsische Ministerpräsidenten ins Stolpern: Kurt Biedenkopf und Georg Milbradt, beide CDU, hatten auf Nolles hartnäckiges Bohren einräumen müssen, Privates mit Dienstlichem vermischt zu haben - kurz darauf verloren sie ihre Posten.

"Die Leute kapitulieren nicht vor den Bergen", sagt der schwergewichtige Abgeordnete, während er sich zurücklehnt und die Hände hebt - "sie fallen über die Maulwurfshügel." Nun könnte Nolle selbst eine Grube gegraben werden. Führende Sozialdemokraten wollen dem streitbaren Politiker bei der kommenden Landtagswahl nur noch einen hinteren Listenplatz zugestehen. Damit hätte er keine Chance, ins Parlament zurückzukehren, denn mit etwa 14 Prozent Stimmenanteil bringen die Sozialdemokraten in Dresden erfahrungsgemäß keinen Direktkandidaten durch. Dass Nolle demnächst nicht mehr dabei sein soll, hat natürlich mit einem Druckwerk zu tun: "Sonate für Blockflöten und Schalmeien", lautet der harmlos klingende Titel des Buches, das ein in Ostdeutschland hochbrisantes Thema behandelt - die DDR-Vergangenheit heutiger Kreis- und Landespolitiker.

Noch ist das Buch nicht erschienen, schon hat das Druckwerk, aus dem immer neue Einzelheiten bekannt werden, heftigste Auseinandersetzungen ausgelöst - vor allem bei Christdemokraten, von denen einige bekannte Repräsentanten wegen ihrer dereinst recht stromlinienförmigen DDR-Biographien in dem Buch Erwähnung finden. So schäumt der Leipziger CDU-Abgeordnete Robert Clemen: "Herr Nolle handelt nach dem Muster eines übereifrigen Stasi-Spitzels, der akribisch belastendes Material sammelt und das zu Schmutzkampagnen zusammenfügt." Hingegen verlangt seine Dresdner Abgeordnetenkollegin Friederike de Haas (CDU) im Sinne von Nolle, dass "nichts unter den Teppich gekehrt werden" dürfe. Die Debatte gilt unter führenden Christdemokraten als derart heikel, dass CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer eine "kollektive Vergebung"

für Menschen forderte, die sich zu DDR-Zeiten allzu systemnah gaben: "Die überwiegende Mehrheit wollte doch einfach ihr Leben leben", nimmt Kretschmer seine Landsleute in Schutz, "weil sie ja nicht wussten, dass die DDR zu Ende geht."

Der heutige CDU-Generalsekretär, Jahrgang 1975 und aus Görlitz stammend, war 1989 gerade mal konfirmiert worden, als kurz darauf die Wende kam. Ministerpräsident Stanislaw Tillich, heute 49, hatte es zu DDR-Zeiten hingegen bereits als junger Mann zum stellvertretenden Vorsitzenden im Rat des Kreises Kamenz gebracht. Sohn eines SED-Funktionärs, war Tillich frühzeitig der Blockpartei CDU beigetreten, deren Vertreter von der herrschenden SED stets mit begleitenden Führungsaufgaben bedacht wurden. Dass er als einstiger "Nomenklatur-Kader" seine DDR-Zeit später in unterschiedlichen Versionen darstellte und bislang eine klärende Antwort dazu schuldig blieb, wird ihm von manchem sächsischen Beamten nachgetragen.

Denn wer nach der Wende in den Staatsdienst in Sachsen übernommen werden wollte, musste eine blütenreine Vergangenheit vorweisen und dies per Fragebogen dokumentieren - Besuche von Parteischulen oder gar Kontakte mit der Staatssicherheit galten als Ausschlussgründe. Tillich hingegen, der einst einen Kurs an der DDR-Kaderschmiede in Potsdam, der "Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft", absolvierte, ist bis heute die Veröffentlichung seines Fragebogens schuldig geblieben. Freilich ist der Ministerpräsident keineswegs der einzige ehemalige Repräsentant einer Blockpartei, der nach dem Untergang der DDR Karriere machte: Nach den Recherchen von Nolle setzte sich die CDU-Fraktion des ersten sächsischen Landtags 1990 zu 71 Prozent aus "Blockflöten" zusammen.

Wie in Westdeutschland nach dem Krieg, als zahllose Unterstützer des NS-Regimes in führende Posten drängten, so zog es in der Ex-DDR einstige Mitläufer schnell wieder nach oben. Von heute in Sachsens Landtag vertretenen 55 CDU-Abgeordneten, behauptet der Sozialdemokrat Nolle, habe fast jeder Zweite seine politische Wiege in einer DDR-Blockpartei. Mancher CDU-Politiker sei gar bis zuletzt SED-Mitglied gewesen, meint Nolle, der Ende 1989 von Hannover nach Dresden kam. Als Juso war er schon im Westen manches Mal angeeckt, später gründete er eine gemeinsame Firma mit Gerhard Schröder. In Dresden baute der nun 63-jährige gelernte Elektromechaniker, dessen Familie aus der Elbestadt stammt, eine marode Druckerei wieder auf.

In seinem "Schwarzbuch" hat Nolle an die hundert Biographien heutiger Landräte, Oberbürgermeister und Polizeichefs zusammengetragen, auch das halbe Kabinett ist vertreten. Der streitbare Abgeordnete greift sogar den einstigen Innenminister Heinz Eggert (CDU) an, der zu DDR-Zeiten Gemeindepfarrer war und massiv von der Stasi bespitzelt wurde. Eggert, so behauptet Nolle unter Berufung auf Vermerke ehemaliger Ministerialer, habe in den 90er Jahren einstige Stasimitarbeiter in den Polizeidienst übernommen. Der Ex-Innenminister dementiert dies entschieden und erklärt, dass er "aus rechtlichen Gründen eine Einzelfallprüfung" ehemaliger DDR-Polizisten vornehmen musste. Dem SPD-Mann droht er mit Klage wegen Rufmordes.

So ist in Sachsen eine muntere Diskussion um die Vergangenheit von CDU-Politikern im Gang, was den Sozialdemokraten im Vorfeld der Landtagswahl eigentlich recht sein könnte. Doch so einfach liegen die Dinge nicht, auch unter SPD-Politikern gibt es Leute mit Vergangenheit. Etwa Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange, 51, die Mitglied der SED war. Überdies wird der Wessi Nolle gern als Nestbeschmutzer im Osten hingestellt. So ist der fleißige Fragesteller selbst den eigenen Genossen zu unbequem geworden. Indes hat Nolle die Herausgabe seines "Schwarzbuches" verschoben. Freilich grinst er, als er das erzählt: "Es hat ja seinen Sinn in Wahrheit schon erfüllt."
Von Christiane Kohl

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: