SUPERillu, Nr. 11, Seite 14/15, 05.03.2009
Der Jäger der Blockflöten
Interview mit Karl Nolle - Der SPD Mann über sein Enthüllungsbuch, in dem er sich mit der Vergangenheit von Ministerpräsident Stanislaw Tilliuch in der Block-CDU auseinander setzt.
>>Warum sagt Tillich nicht einfach:
"Jawohl, ich wollte in diesem Staat
Karriere machen?"<<
Das Buch »Sonate für Blockflöten und Schalmeien« macht ja schon Furore, bevor es veröffentlicht ist – etwa die Schlagzeilen um die Karriere von Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich in der Block-CDU. Warum ist das Buch immer noch nicht auf dem Markt? Haben Sie etwa kalte Füße bekommen?
Ganz im Gegenteil. Fertig sein sollte es rechtzeitig zum Bundesparteitag der CDU (30.11.- 2.12. 2008, d. Red.) Die heftige bundesweite Debatte um die systemtragende Rolle der Ost-CDU und Stanislaw Tillichs Legenden zu seiner politischen Biografie brachten eine Fülle neuen Materials und viele Zuschriften.
Glauben Sie, dass Tillich unter dem Druck der Diskussion inzwischen ein korrektes Bild seiner Vergangenheit zeichnet?
Keineswegs. Die Erklärungen, soweit sie überhaupt kamen, haben nur neue Fragen aufgeworfen. An den Lehrgang der SED Kaderschmiede in Potsdam erinnerte sich Tillich erst, als Gefahr bestand, dass Zeugen sich zu Wort melden. Schließlich gibt es sechs offizielle Lebensläufe Tillichs – in Parlamentshandbüchern und im Internet, mit unterschiedlichen, anlaßbezogenen und widersprüchlichen Versionen. Herr Tillich hütet seinen Fragebogen von 1999, mit seinen Antworten zum Besuch von Parteischulen, zu politischen Funktionen und zu Stasi-Kontakten, wie ein Staatsgeheimnis. Selbst dem Landtag verweigert er die Auskunft.
Was ist ihr Hauptvorwurf gegen Tillich – dass er sich noch 1989 in den Rat des Kreises Kamenz hat wählen lassen, um Stellvertreter des Vorsitzenden zu werden?
Nein. Es geht mir nicht in erster Linie darum, was er damals machte und warum er es tat, sondern ob er dies heute gegenüber den Menschen in Sachsen, transparent und wahrhaftig vertritt. Dies muß man, um der demokratischen Redlichkeit willen, von einem Ministerpräsidenten fordern.
Was erwarten Sie von Tillich?
Er könnte ganz einfach sagen: „Ja, ich bin kommunistisch erzogen worden von meinem Vater, der SED Genossen und hauptamtlicher Funktionär des des staatsnahen Sorbenverbandes Domovina war. Jawohl, ich habe deshalb, anders als die meisten Sorben, die Jugendweihe gewollt. Ja, ich bin zu den Grenztruppen gegangen, weil ich damals geglaubt habe, das Richtige zu tun. Jawohl, ich wollte Karriere in diesem Staat machen, als andere bereits für die friedliche Revolution auf die Straße gingen.“ Und er könnte hinzufügen: „Aber heute sehe ich das anders, ich habe mit der Zeit gelernt und weiß, dass ich Fehler gemacht habe, wie andere Menschen auch.“ Ob es hierfür inzwischen zu spät ist, wird sich zeigen.
Für manche klingt Ihr Engagement nach vorgezogenem Wahlkampf…
Es geht mir keineswegs um einen Feldzug gegen die CDU oder um Profilierungsversuche gegenüber dem Koalitionspartner, sondern um die längst fällige Auseinandersetzung mit einigen Politikern, die heute bei der CDU im Rampenlicht stehen und deren Doppelmoral. Die Zahl ehemaliger Ost-CDU Mitglieder ist zwar geringer geworden, aber ihr Einfluss, gefördert von Westimporten wie Georg Milbradt, ist gestiegen. Milbradt hat Tillich sogar zum Ministerpräsidenten gemacht.
Zu diesen Politikern gehören frühere hauptamtliche Partei- oder Staatsfunktionäre wie Stanislaw Tillich, Umweltminister Frank Kupfer oder Landtagsvizepräsidentin Andrea Dombois, auch Landräte, Bürgermeister und zahlreiche Landtagsabgeordnete. Mit dem CDU Parteibuch (Ost/West) wurden die erreichten DDR Besitzstände gewahrt und die Karriere regimeübergreifend fortgesetzt. Kein sensibler Umgang mit der Vergangenheit, obgleich man sich aus Opportunismus, oder sogar aus Überzeugung, für den Sozialismus mit dem DDR Regime eingelassen hat. Hinzu kommen Wendehälse, früher linientreue Anhänger der SED, wie z.B. Landespolizeipräsident Bernd Merbitz, der unter Milbradt sogar in den Landesvorstand der CDU aufgerückt ist und dort seinen Aufstieg zum Chefpolizisten Sachsens vorbereiten konnte.
Aber warum setzen Sie sich in Ihrem Buch auch mit Sachsens Ex-Innenminister Heinz Eggert auseinander, der zu DDR-Zeiten als evangelischer Pfarrer parteilos und nachweislich oppositionell eingestellt war?
Im Gegensatz zu fast allen sächsischen Politikern verfügt der Kollege Eggert immer über mehrere Dimensionen. Januskopf ist noch untertrieben. Wie kann ein DDR-Oppositioneller, der er wohl auch war, angelangt in der Freiheit, die er wohl auch wollte, zum Teil schwer belastete DDR Polizisten in den Polizeidienst Sachsens übernehmen?
Herr Eggert droht Ihnen schon damit, Sie zu verklagen…
Nur zu, wir sind ein Rechtsstaat. Ich stütze mich auf bereits bekannte Fakten, die besonders das ausgesprochen schillernde oder wenn sie so wollen mehrdimensionale Verhalten des Innenminister Eggerts belegen, das dazu geführt hat, dass er schon seit längerem nur ein Staatsmann der Reserve ist. Im Übrigen darf man sich auf weitere Zeitzeugen freuen, die nunmehr reden werden.
Von Seiten der CDU hieß es, ein Westdeutscher dürfe nicht über Ost-Biographien urteilen…
Nach 20 Jahren ist diese Argument arg brüchig geworden. Ich bin längst Teil des nachrevolutionären neuen Sachsens, wie die Menschen, die nach 1990 geboren sind und die DDR nicht erlebt haben. Im übrigen stammt meine Familie aus Thüringen und Sachsen.
>>Eine kleine Clique versucht,
17 Millionen frühere DDR Bürger
in Haftung zu nehmen.<<
Nein, die Unterstellung, dass ich 17 Millionen Ostdeutsche beleidige, weil ich einige CDU-Funktionäre wegen ihres scheinheiligen Umgangs mit ihrer Biographie kritisiere, ist infam. Im Gegenteil: Da versucht eine kleine Clique, für die eigenen Karrieren 17 Millionen frühere DDR-Bürger in Haftung zu nehmen. Es klingt vielleicht überraschend, aber ich kritisiere ein durchaus gesamtdeutsches Phänomen, nämlich Karriere zu machen, auf Teufel komm raus. Mit schwankenden politischen Gestalten kann man nicht nur im Osten schlechte Erfahrungen machen.
Inzwischen kommen neue Töne aus der sächsischen CDU: Generalsekretär Kretschmer wirbt für „kollektive Vergebung“ im Jahr 20 nach dem Mauerfall. Ist das nicht ein Zeichen des Umdenkens?
Diese Diskussion ist nur scheinbar interessant. Michael Kretschmer und seine Auftraggeber sollten dann konsequent sächsische Verfassung und Beamtengesetz ändern, um auch denjenigen, die dem SED Regime, besonders seinem Staatssicherheitsdienst, gedient haben, den Weg in staatliche Funktionen und in den öffentlichen Dienst ganz legal zu eröffnen. Mit solchen Schlußstrich-Vorschlägen erst dann zu kommen, wenn sie einem selbst oder guten politischen Freunden von Nutzen sein können, ist all zu durchsichtig. Im übrigen: Vergebung setzt Offenheit und Aufrichtigkeit voraus – davon kann bei denen in der CDU, die ich kritisiere, keine Rede sein.
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IM VISIER 1
Stanislaw Tillich ist seit Mai 2008 Ministerpräsident des Freistaates Sachsen. Unter dem Druck von Karl Nolles Enthüllungen musste er einräumen, dass sein Engagement für die Block-CDU (Eintritt 1987) weiter ging als bisher bekannt
IM VISIER 2
Heinz Eggert hatte als Innenminister 1992 erst die Entlassung belasteter Polizisten, dann aber deren Weiterbeschäftigung verfügt (siehe Ausriss). Den Rückzieher begründet er nun damit, dass ihm Zweifel an der Durchsetzbarkeit der Kündigungen vor Gericht gekommen seien. Er habe "nicht gewollt, dass belastete Polizisten, die wir nicht losbekommen, weil das Gericht sie uns wieder zurückschickt, den Bürgern begegnen, denen sie früher Schwierigkeiten gemacht haben". Die Formulierung „verstecken" sei nur eine Interpretation des Beamten, der den Vermerk erstellt habe.
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