Karl Nolle, MdL

SUPERillu.de, 08.03.2009

BKA-Errittler Klaus Jansen: «Wir hinken den Möglichkeiten hinterher»

SUPERillu sprach mit dem Bundesvorsitzenden des Bundes Deutscher Kriminalbeamter über das Buch "Mafialand Deutschland" von Jürgen Roth.
 
Herr Jansen, Sie sind Kriminalbeamter, mit 37 Jahren Berufserfahrung. Was meinen Sie, wie wird Deutschland, das Jürgen Roth Mafialand nennt, sicherer?

Das Buch beschreibt deutlich die Entwicklungen um uns herum in den letzten 15 bis 20 Jahren. Es hat Transformationsprozesse in Größenordnungen gegeben – den Mauerfall zum Beispiel und die Ausweitung der Europäischen Union auf 27 Staaten. In diesem Zusammenhang muss man sich fragen, ob die gemeinsame EU-Außengrenze professionell geschützt wird. In Europa zu reisen ist kein Problem, für Bürger nicht und für Verbrecher nicht. Aber die internationale Zusammenarbeit hängt immer noch in nationalen Grenzen, weil Souveränitätsrechte berücksichtigt werden müssen. Deutschland hat mit seiner zentralen Lage in Europa eine enorme Bedeutung für die reale Wirtschaft aber auch für die Schattenwirtschaft. Warenströme, Geldströme, Menschenströme, alles was im legalen Bereich läuft, läuft auch im illegalen Bereich. In Deutschland funktioniert alles, der Transport, das Bankwesen etc. Das sind notwendige Voraussetzungen, um Zielland von Investitionen zu sein. Die Chancen für die Kriminalpolizei, die Schattenwirtschaft zum Beispiel bei der Nachrichtenübermittelung und Verschieben von Waren zu bekämpfen, sind groß, aber wir hinken den Möglichkeiten massiv hinterher.

Was konkret meinen Sie damit?

Es gibt noch nicht genug Kriminalpolizisten, die international arbeiten und unterschiedliche Sprachen sicher beherrschen. Wir brauchen mehr Fachleute, die Verbrechern internationaler Wirtschaftskriminalität und Korruption auf Augenhöhe entgegentreten können und auch einem kriminellen Vorstand eines Unternehmens das Handwerk legen können. Dann wird unser Land sicherer. Die Kriminalpolizei in den neuen Bundesländern müsste zum Beispiel viel mehr nach Ost- und Mitteleuropa hineinwirken können, weil man da auch gemeinsame Grenzräume hat, die man besser in Griff bekommen will. Wir brauchen nicht mehr Kriminalpolizei, sondern mehr Qualität in der Kriminalpolizei.

Zum Beispiel?

Sie sehen es einem Ermittlungsverfahren in Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern oder Nordrhein-Westfalen zunächst nicht an, ob es Teil eines größeren Tatkomplexes ist. Sie müssen bei jedem Verfahren professionell auf einem guten Niveau rangehen, um die internationalen Zusammenhänge zu erkennen. Denkt man zu kleinteilig, sieht man die Wirtschaftskriminalität nicht. Globales Denken ist selbst bei Einbrüchen etc. gefragt. Die Zusammenarbeit von Ermittlungsgruppen der Kripo, des Landes- und des Bundeskriminalamtes wird noch viel zu wenig genutzt.

Jeder einzelne Polizist sollte also in jeder einzelnen Ermittlung die Chance sehen, mit seiner Arbeit möglicherweise ein großes Verbrechen aufzuklären?

Ja, jedes einzelne Teil sorgt dafür ein großes Puzzle zusammenzusetzen. Egal ob bei einem terroristischen Anschlag oder bei einem Mafia-Mord, es gibt immer einen lokalen Tatort. Die Qualität der Arbeit bei dem so genannten ersten Angriff, ist entscheidend für alles andere was daran anknüpft, weil es nicht wiederholbar ist. Wenn einmal ein Tatort gesichert wurde, aber wichtige Dinge vergessen wurden oder einmal Zeugen befragt wurden, dann ist beim zweiten Mal viel verloren. Die Bürger legen zu Recht großen Wert darauf, dass ihre Probleme professionell wahrgenommen werden. Insbesondere wenn jemand selber Opfer ist. Ich glaube, jeder wäre dazu bereit bei so einem qualifizierten Berufsbild zu sagen, dass soll auch vernünftig bezahlt werden. Warum die Politik in dem Bereich nicht Klartext redet, verstehe ich nicht. Kripo light gibt es nicht zum Nulltarif. Der Staat muss investieren. Denn geschlossene, organisierte Gruppierungen auszuforschen ist in Deutschland nicht einfacher geworden.

Wer sind die Verbrecher der organisierten Kriminalität?

Da setzt Jürgen Roth mit seinem Buch ein wichtiges Ausrufungszeichen, weil er auf die bürgerliche Mafia, wie er es nennt, hinweist. Alleine das erkennen zu können, wird schwierig. Organisierte Kriminalität fällt heute nicht mehr auf. Das ist nicht mehr der Don Caljone mit italienischem Akzent, sondern ein gut ausgebildeter Geschäftsmann im Nadelstreifenanzug zieht die Fäden. Diejenigen, die Gewalt ausüben sind Fußvolk. Über die bekommen die Ermittler keine Organisation zu fassen. Da muss man in der Hierarchie nach oben kommen, um wirksam etwas tun zu können. Dazu sind Insider nötig und Insiderwissen. Die Kontakte dazu müssen von Fachleuten aufgebaut werden. Bei uns in Deutschland sind die Instrumente aber mittlerweile stumpf. Das im Bereich der organisierten Kriminalität in den letzten Jahren immer weniger passiert, zeigt schon ein simpler Zahlenvergleich: Im Jahr 2000 hatten wir 878 OK-Verfahren bundesweit, 2007 waren es 602. Das heißt eben nicht, dass Organisierte Kriminalität weniger wird, sondern dass wir weniger ermitteln. Wenn die Kriminalpolizisten nicht ins Milieu gehen, gibt es auch keine Ermittlungsfälle.

Jürgen Roth schreibt von einer besonders problematischen Situation bezüglich der Kriminalitätsbekämpfung in Ostdeutschland. Wie sehen Sie das?

Die Situation war so: Etablierte Mafia-Clans aus den alten Bundesländern haben in Ostdeutschland eine Chance gesehen. Und zwar weil es dort enormen Kapitalbedarf gegeben hat und die Politik unter hohem oder extremen Druck stand, schnell etwas zu erreichen. Das war die Motivationslage der Kriminellen. Wenn Investoren kommen und Interesse zeigen und dann die Verantwortlichen nicht nachfragen, wo das Geld herkommt, das möglicherweise in Nordrhein-Westfalen schon vorgewaschen wurde, dann ist eine fatale Beziehung entstanden. Das große Problem für kriminelle Organisationen ist, aus Blutgeld sauberes Geld zu machen. Dafür ist eine 50-Millionen-Euro-Investition ideal, wenn man auch noch von der Politik als Investor hofiert wird, weil das eigene Schicksal auch an den Erfolgen an solchen Projekten abhängt.

Also sind die Politiker die Schuldigen?

Ich glaube, dass viele Politiker unterschwellig geahnt haben, dass sie sich in eine mindestens wirtschaftliche Abhängigkeit begeben haben. Und die Kriminellen können dadurch Einfluss nehmen. Insbesondere wie die Cosa Nostra über Generationen in Italien die Politik beeinflusst hat, kann man nachlesen. Das ist auch nachgewiesen. Vieles davon haben die Mafiaclans in Deutschland weitergeführt.


Sie haben also auch in Deutschland konkrete Erkenntnisse dazu?

Die großteiligen Lagebilder von Europol und Bundeskriminalamt weisen genau in diese Richtung. Wenn sie das für die neuen Bundesländer auf fünf einzelne Ermittlungskomplexe zerlegen, kann es sein, dass selbst wenn sie alles richtig ermitteln, es nicht dazu reicht, um zu sagen, da ist eine mafiose Struktur dahinter. Der Widerspruch zwischen sehr aktuellen Lagebeurteilungen des BKA zu Entwicklungen im Bereich der OK von zum Beispiel italienischer und russischer organisierter Kriminalität wird ja nicht aufgelöst dadurch, das man in den einzelnen Ländern sagt, wir haben damit kein Problem.

Was ist die Lösung?

Hier muss man den Mut haben, die Hypothesen und Überschriften in den Zeitungen mit neutralen Mitteln zu entkräften. Soll heißen, ich, als Innenminister von Sachsen, würde zum Beispiel bei dem Thema Sachsen Sumpf sagen, ich lade ausdrücklich das BKA ein, um gemeinsam mit uns die Ermittlungen zu führen – auch um den Gerüchten ein Ende zu setzen. Diejenigen, die dort unter Druck geraten sind und dann von sich selber sagen, da ist aber nichts gewesen, das reicht mir nicht. Das ist wie wenn Dr. Marlboro sagt, rauchen ist nicht gefährlich. Ich möchte das beendet wissen. Ich weiß, dass meine Kollegen auch in Sachsen zu einem sehr großen Teil eine fantastische Arbeit leisten. Aber sie kommen durch so etwas wie den Sachsen Sumpf in eine Diskussion hinein, als wäre Kriminalpolizei Teil eines Systems, was nicht bereit ist, Mafia zu verfolgen. Beispiele in Mecklenburg-Vorpommern, wo Verfahren im Sande verlaufen und es dann heißt, wir haben die Ermittlungen nach Italien abgegeben, haben einen Beigeschmack. Das möchte ich nicht. Wo ist das Problem, zu sagen, wenn es erforderlich ist, wir ziehen objektivere Stellen wie zum Beispiel das BKA hinzu.
Solange das nicht geschieht, werden Journalisten immer wieder Fragen stellen. Und diese Fragen sind dann auch berechtigt. Deshalb ist die Politik gefordert zum Beispiel die Recherchen von Jürgen Roth zu widerlegen. Wenn sie es kann, soll sie es machen.

In Sachsen tagt immer noch der Untersuchungsausschuss zum so genannten Sachsen-Sumpf. Da geht es auch um die Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz. Sie kennen aus eigener Berufserfahrung beide Seiten. Was ist in Sachsen schief gelaufen?

Meine Grundposition ist: Vorfeldaufklärung sollte bei der Kriminalpolizei angesiedelt sein, kann dort geleistet und rechtlich eindeutig sowie transparent überprüft werden. Politik hat sich schon lange entschieden, den Verfassungsschutz dabei einzubinden, es gibt dazu klare Richtlinien, wann das gerechtfertigt ist. Deren Ansatz dazu Informationen zu gewinnen, ist ein ganz anderer als die Aufgabe der Kriminalpolizei Informationen abgesichert durch Indizien und Zeugen für ein Gerichtsverfahren aufzubereiten. Der Vorwurf gegen das Landesverfassungsschutzamt in Sachsen, die gewonnen und verdichteten Informationen seien nicht justiziabel, ist also Unsinn. Es hätte einfach zu dem nächsten Schritt kommen müssen, dass das Landeskriminalamt die gesammelten Informationen überprüft und daraus anklagefähige Verfahren entwickelt. Das ist das normalste der Welt. Meine Einschätzung ist, dass sich Politik zu früh eingemischt hat. Die nachrichtendienstliche Verdichtung hätte in sachverhaltsrelevante Informationen überführt werden müssen. Das ist kein Vorwurf an das Landesamt für Verfassungsschutz und kein Vorwurf an die Kriminalpolizei. Sondern die Politik ist nach vorne gesprungen und dann stand es in den Zeitungen. Tenor war dann der Vorwurf, wozu das alles? Das hätte nicht sein müssen.

Sie sind derzeit auch viel in Osteuropa unterwegs, machen Sie da ähnliche Erfahrungen wie in Ostdeutschland.

Persönliche Erfahrungen in Ostdeutschland habe ich nicht. Aber, dass die alte Nomenklatura in den neuen Bundesländern und in Osteuropa im politischen Bereich das Feld für organisierte Kriminalität bereitet, ist kein Geheimnis. In Bulgarien beispielsweise ist es noch sehr viel deutlicher. Da gab es auch in jüngster Zeit Innenminister und OK-Chefs mit streng sozialistischen Lebensläufen. Wir hätten eben besser hingucken müssen. Da gibt es schon Parallelen zu Ostdeutschland. Wenn Nachrichtendienstler aus dem alten System, die Familienväter sind, sich zum Beispiel mit dem Geldfälschen auskennen und sie dann plötzlich arbeitslos werden, werfen sie möglicherweise ihre menschliche Ethik über den Haufen und suchen sich neue Betätigungsfelder. Wir haben mittlerweile aber auch eine Mischung aus Verbrechersyndikaten, die mit nachrichtendienstlichen Expertisen und zunehmend wirtschaftlicher Kompetenz angereichert sind. Diesem Cocktail müssen wir etwas entgegensetzen. Doch ich weiß nicht, ob der normale OK-Experte unbedingt nachrichtendienstliche Handlungsstränge erkennt. Man muss OK-Dienststellen für die operative Fallanalyse mit Experten zu nachrichtendienstlichen Methoden ergänzen. Das wäre für mich ein Beispiel, vorhanden Sachverstand vernünftig umzugruppieren und dadurch schlagkräftiger zu werden. Töpfchen und Kröpfchen gibt es heute nicht mehr. Es geht über Landesgrenzen und nationale Grenzen hinweg. Es ist ein Zeitensprung im öffentlichen Dienst nötig um auch einen Wissenssprung machen zu können.

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: