Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 23.03.2009

Allianz hinter den Landtagskulissen

Abgeordnete arbeiten über Parteiengrenzen hinweg zusammen
 
Dresden. Politik besteht nicht nur aus Parteitagsreden und Programmen. Gerade Konstellationen, die ihre Wirkung unter der Hand entfalten, sind in der Lage, die politische Kultur nachhaltig zu prägen. Das ist auch im Landtag zu beobachten, wo es gleich zwei Beispiele gibt: die heimliche Allianz von drei Abgeordneten der Opposition und die unheimliche Geistesverwandtschaft von Polit-Querdenkern mit Promi-Status. Ein doppelter Blick hinter die Kulissen.

Über den U-Ausschuss zur Aktenaffäre gibt es eine Geschichte, die im sächsischen Landtag meist nur unter der Hand erzählt wird. Es war Ende Juni 2007, gerade hatte der sogenannte Sachsen-Sumpf seinen Höhepunkt erreicht, da hielt es einige Oppositionspolitiker nicht mehr in Dresden. Jürgen Martens und Johannes Lichdi fuhren Richtung Chemnitz, um sich mit Klaus Bartl zu treffen – in dessen Kanzlei in der Yorckstraße 9. Bei Kaffee und Kuchen einigten sich die drei Rechtspolitiker auf ein gemeinsames Vorgehen in der Affäre, doch ein Tatbestand sticht besonders hervor: Bartl ist bei den Linken, Martens bei der FDP, und Lichdi schließlich ist ein Grüner – nicht gerade das, was man unter politischer Eintracht versteht.

Dass sich das ungleiche Trio für ihr Geheimtreffen die Chemnitzer Yorckstraße ausgesucht hatte, ist von einigem Symbolgehalt: Eine Kanzlei, so scheint es, ist genau der richtige Ort für drei Anwälte in der Politik. Das schweißt zusammen. Seitdem ziehen die Abgeordneten beim Thema weitgehend am selben Strang. Gemeinsam formulierten sie den Untersuchungsauftrag, machten sich später für den U-Ausschuss stark, als die CDU ihn – erfolglos – für verfassungswidrig erklären wollte. Und wie selbstverständlich sparen sie nicht mit harscher Kritik an der Regierung. Mal werfen sie ihr „rüpelhaften Umgang“ (Bartl) vor, mal dass sie Ermittler „zum Sündenbock präpariert“ (Lichdi) oder „Vorgänge systematisch vertuscht“ (Martens) habe.

Das ist erklärungsbedürftig. Denn nicht nur parteipolitisch, auch weltanschaulich liegen der Linke und die beiden Polit-Newcomer weit auseinander. Während Bartl, ein ehemaliger Stasi-Mann, aus seinem Wirken in der SED-Bezirksleitung Chemnitz keinen Hehl macht, stammen die beiden anderen aus dem Westen. Und während Lichdis Grüne wacker die Reste der ’89er Bürgerbewegung hochhalten, liebäugeln Martens’ Liberale längst mit der CDU – was den anderen beiden reichlich verdächtig erscheint.

Umso kurioser ist die Tatsache, dass all dies öffentlich kaum eine Rolle spielt – im Gegenteil. Wo die Drei auch auftauchen, ob im U-Ausschuss, im Plenarsaal oder auf den Feldern oder Innen- und Rechtspolitik, stets scheint es, als wären sie Teil einer heimlichen Allianz. Dass sie „ähnlich ticken“, wie es in Fraktionsfluren heißt, liegt an ihrer Profession. Anwälte, zumal solche, die ihren Kampfgeist im Gerichtssaal täglich erproben, sind nicht nur redefreudig, sondern von einem besonderen Standesbewusstsein beseelt.

Dieser Corpsgeist trennt sie vom Rest der Abgeordneten, die fast durchweg Nicht-Juristen sind. Und ihr Wissen um die Tücken von Gesetzesvorlagen macht sie manch anderem überlegen. Damit können sie Debatten ihren Stempel aufdrücken. Und wenn sie sich gar einig sind, prägen sie die politische Kultur – nicht immer direkt, aber nachhaltig.

Ebenso untergründig, allerdings weniger leise, verläuft eine zweite Linie, die sich um drei weitere Abgeordnete dreht. So konträr Heinz Eggert, Karl Nolle und Ronald Weckesser auch erscheinen, es verbindet sie eine gemeinsame Neigung: Sie lieben es, auf eigene Rechnung zu spielen – gern öffentlich und quer zur jeweiligen Linie der Partei. Auch wenn sie den Gedanken für absurd halten mögen: Sie sind klammheimliche Verwandte im Geiste.

Dabei springt auch bei diesem Trio zuerst das Trennende ins Auge. CDU-Mann Eggert ist gelernter Pfarrer und Innenminister a. D.; Druckereibesitzer Nolle geht als SPD-Aufklärer vom Dienst am liebsten CDU-Würdenträger an, darunter auch Eggert; und der Diplom-Ingenieur Weckesser war lange Zeit das, was man graue Eminenz nennt – bei den Linken allerdings.

Trotz dieser Unterschiede und der Tatsache, dass Nolle und Eggert sich kaum riechen können, spielen die drei eine ähnliche Rolle. Sie vereint ihr Hang zum Dissidententum sowie das Leiden an dessen Folgen: Vielen gelten sie als unkontrollierbar, gerade in eigenen Reihen. Das betrifft nicht nur Nolle, dessen Kritik an der CDU-Blockvergangenheit von Ministerpräsident Stanislaw Tillich auch SPD-Leute nervt, es gilt ebenso für Eggert.

Unvergessen ist noch sein Kommentar beim Abtritt von Regierungschef Georg Milbradt (CDU): „Ein Machtwechsel hat es immer an sich“, meinte Eggert an die Adresse der lieben Parteifreunde von der CDU, „dass einige Leute heimatlos umherirren, weil sie aus einem Hintern ausgezogen sind, aber den neuen noch nicht gefunden haben.“

Bei so viel Wortgewalt hat es der zurückhaltende Weckesser schwer, rhetorisch mitzuhalten. Mit beständigem Einsatz beim Schlachten heiliger linker Kühe ist es ihm dennoch gelungen. Schließlich hat er nicht nur Milbradt stets für dessen Finanzpolitik gelobt, er hat auch den umstrittenen Woba-Verkauf in Dresden befürwortet. Und sein Etikett für Linken-Fraktionschef André Hahn – „Krawallpolitik“ – erscheint ebenso wenig linientreu.

So teilt er das Schicksal von Nolle – nur anders herum. Während der SPD-Mann vielen Sozialdemokraten zu links ist, gilt Weckesser in der Linksfraktion als Rechtsabweichler. Zumindest das kann man Eggert nicht unterstellen.
Von JÜRGEN KOCHINKE

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: