DNN/LVZ, 24.03.2009
„Verdammte Pflicht und Schuldigkeit“
Aktenaffäre: Kanzleramtsminister de Maizière verteidigt Verfassungsschutz vor Ausschuss
Dresden. In der Aktenaffäre hat Sachsens früherer Innenminister Thomas de Maizière (CDU) die Arbeit des Verfassungsschutzes verteidigt. Er habe weder Zweifel an der Arbeit des Geheimdienstes gehabt, noch habe es Mängel bei der Aufsicht gegeben, sagte der Chef des Bundeskanzleramtes gestern vor dem U-Ausschuss in Dresden. Unter der Hand stellte sich de Maizière damit quer zur Lesart der Staatsregierung.
Irgendwann wurde es dem Zeugen dann doch zu bunt. Er stehe zu seinem Verhalten, rief Thomas de Maizière leicht gereizt in den Saal, „da können Sie mich noch hundertmal fragen“. Es war gestern Morgen im U-Ausschuss zur Aktenaffäre. Stundenlang hatten Abgeordnete in immer neuen Wendungen versucht, den Kanzleramtsminister in Erklärungsnöte zu bringen – doch de Maizière antwortete stets dasselbe: Ja, er habe aus Gründen der Inneren Sicherheit die Beobachtung der Organisierten Kriminalität (OK) für notwendig gehalten; nein, es hätten keine harten Beweise vorgelegen, um die Erkenntnisse weiterzuleiten – an Justizbehörden zum Beispiel, oder an interne Kontrollgremien.
Das war die Ausgangslage vor der Vernehmung im Landtag: Mitten in die Zeit de Maizières als Innenminister in Sachsen platzte am 21. Juli 2005 ein Urteil der Verfassungsrichter, nach dem kriminelle Netzwerke vom Geheimdienst nur noch dann beobachtet werden dürfen, wenn diese die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährden. De Maizière ließ die Verfassungsschützer dennoch gewähren. Begründung gestern: In vier von fünf Fällen hätten interne Prüfungen „absolut plausible“ und nachvollziehbar ergeben, dass die kriminellen Netzwerke die Demokratie bedrohten. Die Beobachtung sei also rechtmäßig gewesen.
Unter der Hand stellte sich de Maizière damit quer zur Lesart der sächsischen Staatsregierung in der Affäre. Denn diese hatte spätestens ab Sommer 2007 alle Beteiligten auf eine einzige Lesart eingeschworen: Die Akten seien aufgebauscht und das Ergebnis unkontrolliert ermittelnder Stümper – alles nur „heiße Luft“.
Dagegen hat es laut de Maizière nicht nur ernst zu nehmende Hinweise auf mögliche OK-Strukturen gegeben. Vielmehr sei gerade der unter dem Codenamen Abseits III bekannt gewordene Leipziger Komplex ein Paradebeispiel für die potenzielle Gefährdung der Demokratie. „Ich halte den Begriff vom sächsischen Sumpf für eine falsche Bezeichnung“, umriss der Vertraute von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die Lage. „Bis heute aber macht es mir Sorge, dass sich eine bestimmte Kriminalität besonders in Leipzig abspielt.“
Dabei ließ de Maizière offen, ob er hiermit jene Gemengelage aus Immobiliendeals, einem Kinderbordell und dem vermeintlichen Wirken hoher Juristen meinte, die im Zuge der Affäre die Gemüter erregte. Die Vorwürfe dazu hatte die Staatsanwaltschaft vor einem Jahr für substanzlos erklärt, und auch de Maizière sprach gestern davon, es habe sich lediglich um Erkenntnisse in einem „ganz frühen Anfangsstadium“ gehandelt. Doch klar ist ebenso: Die Verfassungsschützer hatten auch Netzwerke wie Rocker und italienische OK, sprich die klassische Mafia, im Visier – Bereiche, die nach Aussage von Ermittlern besonders in Leipzig grassieren.
Hier ist die Position von de Maizière glasklar: Die Beobachtung der OK sei nicht nur rechtlich zulässig gewesen. Es sei vielmehr die „verdammte Pflicht und Schuldigkeit“ eines jeden Innenministers, solche Vorgänge aufklären zu lassen. Und mehr noch: Hätte er die Recherchen der Verfassungsschützer gestoppt, wäre ihm dies „ohne Zweifel – und das mit Recht – als Versuch der Verschleierung ausgelegt worden“.
Die Mitglieder im U-Ausschuss reagierten gestern unterschiedlich auf den Vortrag. „Auch wenn sich die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes letztlich nicht bestätigen ließen, ist Thomas de Maizière zuzustimmen“, meinte CDU-Obmann Christian Piwarz. „Es war richtig, die Beobachtung nicht schon im Jahre 2005 einzustellen, als die Erkenntnisdichte noch keine abschließende Bewertung zuließ.“ Dagegen warfen Caren Lay (Linke) und Jürgen Martens (FDP) de Maizière vor, bei der Aufsicht im Innenressort versagt zu haben. Johannes Lichdi schließlich rückte die Staatsregierung in den Blick. De Maizière, meinte der Grüne, habe deren „Legende widerlegt“.
Das Statement von de Maizière im U-Ausschuss unter www.lvz-online.de
Von JÜRGEN KOCHINKE