Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 31.03.2009

Linke Wende-Wirren

Eigenwillige Thesen zum Revolutionsherbst ’89 sorgen auch für Streit in den eigenen Reihen
 
Dresden. Sachsens Linke hat mit einem Thesenpapier zum Wende-Jubiläum eine heftige Kontroverse ausgelöst. Ätzende Kritik kommt sowohl von der politischen Konkurrenz wie aus eigenen Reihen. Tenor des Papiers: Die DDR sei zwar eine Diktatur gewesen, aber kein Unrechtsstaat.

Als rund 100 Linke am vergangenen Sonnabend die Tagungswerkstätten in Dresden-Hellerau betreten, sind ihre Kritiker schon da. Die Partei-Jugend von CDU und FDP, Junge Union und Julia, protestiert in seltener Eintracht gegen das, was sie „Geschichtsverdrehung“ nennen. Anlass ist ein Kongress der sächsischen Linken, dessen Titel vielen Bürgerrechtlern allein schon als Provokation erscheinen muss: „Der Herbst 1989 in Sachsen – Wir sind das Volk“. Entsprechend gibt es böse Worte zuhauf, wie den von Julia-Chef Marcus Viefeld: „Mit ihren fragwürdigen Thesen wollen Sozialisten und Kommunisten ihr Gewissen reinwaschen.“

Dabei war das linke Papier taktisch nicht schlecht platziert. Während die anderen Parteien, allen voran die CDU, beim Thema 20. Jahrestag noch nicht wirklich aktiv geworden sind, geht die Linke in die kontrollierte Offensive. Damit besetzt sie das Feld und kann ganz nebenbei kommenden Polit-Attacken vorbauen. Denn klar ist: Die politische Konkurrenz wird den Wendeherbst nicht nur gebührend würdigen, sondern im Superwahljahr 2009 auch nutzen – gegen die Ex-PDS.

Ob die Rechnung der Linken aufgeht, ist allerdings offen. Denn in ihren 20 Thesen umreißt eine Arbeitsgruppe um Landeschefin Cornelia Ernst nicht nur ein „neues linksrepublikanisches Projekt“, die Autoren sparen auch nicht mit Selbstkritik. So distanzieren sie sich von Sozialismusmodellen, die wegen ihres Mangels an Freiheit und Demokratie gescheitert seien und räumen „dunkle Seiten“ der eigenen Geschichte ein. Ja, mehr noch: Sie sprechen gar von „Verbrechen im Namen des Sozialismus“ und von der DDR als „Diktatur“.

Gleichzeitig aber stilisiert sich die Linke als Teil der Befreiungsbewegung selbst. Während die Wende von anderen Parteien nur zum Ausbau der eigenen Macht genutzt worden sei, hätte die Wende-Erfahrung „in der Partei die Linke einen engagierten Sachwalter“. Dies ist schon an sich eine wirre These. Beim Versuch, sie weiter zu erläutern, aber begibt sich Ernst endgültig auf dünnes Eis. Viele SED-Spitzen, meint sie auf der Konferenz, hätten dazu beigetragen, „dass der Herbst ’89 ein friedlicher war. Insofern hat unsere Partei einen Anteil daran – weniger dass, als vielmehr wie der Herbst ’89 verlief“. Im Klartext: Dass nicht geschossen wurde, sei der Verdienst der alten Kader. Und sowieso sei die DDR ein „legitimer Sozialismusversuch“ und kein Unrechtsstaat.

Das ruft Kritiker auf den Plan. „Wer den Unterdrückungsapparat der DDR lobt, verzerrt Geschichte“, meint Karl-Heinz Gerstenberg (Grüne). „Im Wahljahr kneift die Linken-Führung vor ihrer stockkonservativen DDR-Mitglieds- und Wählerschaft.“ Dafür spricht einiges. Denn mit ihrer Kritik an der DDR stoßen die Autoren auch den versammelten Altkadern in der eigenen Partei vor den Kopf. Allen voran Volker Külow: „Das Papier“, schreibt der Leipziger Linkenchef mit der Attitüde eines Klassenkämpfers, „übernimmt die Sprache und Begriffe unserer Gegner“. Die DDR werde einseitig beschrieben und eben nicht „als Erfahrungsobjekt zukünftiger sozialistischer Gesellschaftsgestaltung“.

Schon deshalb ist für weitere heftige Kontroversen gesorgt. Hinzu kommen zwei Facetten am Rande: Zur Arbeitsgruppe der Linken gehört auch der frühere Direktor des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung, Gerhard Besier; und SPD-Mann Karl Nolle ist beim Kongress persönlich aufgetaucht – samt einer Blockflöte. Das wiederum dürfte vor allem die CDU auf die Palme bringen. Schließlich bastelt Nolle weiter an seinem Werk zu Vorwende-Biografien von Mitgliedern der Block-CDU. In eben dieses Horn bläst aber auch Gerstenberg. Anstelle ihrer Jugendverbände, ätzt der Grüne Richtung CDU und FDP, hätten beide besser ihre Altmitglieder schicken sollen – „zu einer Konferenz unter dem Motto ,Wir waren die Nationale Front‘“.
Von JÜRGEN KOCHINKE

@Das Thesenpapier der Linken unter www.dielinke-in-sachsen.de/

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