Sächsische Zeitung, 29.12.2008
"Dieses Nein-Sagen war eine harte Schule"
CDU-Fraktionschef Steffen Flath im SZ-Interview über sein Leben in der DDR, Kompromisse in einer Diktatur und seine Rolle in der sächsischen Union.
Herr Flath, in einigen Tagen will ihr SPD-Landtagskollege
Karl Nolle ein Buch vorlegen über „Blockflöten“ zur DDR-Zeit. Dort wird vermutlich auch Ihnen ein Kapitel gewidmet sein. Werden Sie es lesen?
Lesen vermutlich schon. Aber kaufen werde ich mir das Buch nicht. Herr Nolle ist bisher nicht auf mich zugekommen und hat gesagt, dass er mit mir sprechen will. Ich glaube nicht, dass es ihm wirklich darum geht, die Zeit damals aufzuarbeiten. Es geht ihm darum, die CDU in der aktuellen politischen Diskussion mundtot zu machen.
Warum ist es so schwierig, über die DDR-Zeit zu sprechen? Ohne gleich in pauschale Vorverurteilungen zu fallen?
In meinem Fall rächt es sich jetzt, dass ich seit 1989 keine einzige Phase hatte, wo ich mal Ruhe gehabt hätte zurückzublicken und zu prüfen, ob ich noch das tue, was ich mir mal vorgnommen hatte. Auf der anderen Seite war das natürlich auch mein Glück. Wir haben damals nicht zurück-, sondern nur nach vorngedacht und gehandelt. Im nächsten Jahr feiern wir 20 Jahre Mauerfall. Da sollte Jeder mal überlegen: Was war vor 20 oder 30 Jahren bei mir?
Und was war vor 20 oder 30 Jahren bei Ihnen?
Vor 30 Jahren habe ich in Halle Agrarwissenschaft studiert. Die Entscheidung, wie ich mich positioniere im Leben ist imgrunde in der 11./12. Klasse gefallen, also vor 35 Jahren. Vorher lief ich eher in der gewünschten Spur der DDR.
Wieweit waren Sie damals eingebunden in Jugend- und Parteiorganisationen der DDR?
Ich war in den Jungen Pionieren, ich war in der FDJ, und ich hatte auch die Jugendweihe.
Warum und wann sind Sie davon abgewichen?
Es war vor allem der Einfluss meiner Frau, meiner damaligen Freundin, die mich dazu brachte, in der 11. Klasse zur Lehrerin zu gehen und ihr zu sagen, dass sie meine freiwillige Verpflichtung zur dreijährigen Armeezeit bitte wieder aus dem Klassenbuch streichen soll. Weil ich es mir anders überlegt hatte. Das hat dann zu einigen Besuchen der Schule bei meinen Eltern geführt - mit dem Ziel, die Beziehung zu zerstören. Ich wollte eigentlich Zahnarzt werden, durfte es aber nicht. Dann bekam ich doch ein Angebot: „Sie können in Sofia Zahnmedizin studieren. Aber wenn Sie dann zurückkommen, erwarten wir schon, dass Sie dem Staat dankbar sind.* Ich habe abgelehnt und stattdessen Agrarwissenschaft studiert. Da ging es dann um die Frage Reserveoffizier. Das waren harte Auseinandersetzungen. Zum Schluss waren wir aus unserem Studienjahr nur zwei, die sich geweigert haben, Reserveoffizier parallel zum Studium zu machen. Ich konnte dann aber noch den Abschluss machen. Aber das stand schon auf der Kippe.
Sie haben auch Kompromisse mit dem System gemacht?
Imgrunde täglich, aber imgrunde auch nicht. Eine Diktatur versucht immer, die Menschen auf Linie zu halten oder zu bringen. Das war ein täglicher Prozess, ein ständiger Kampf: Macht man das mit oder nicht? Auf jede Entscheidung folgte ein Bestrafungs- oder Belohnungssystem. Mache ich aus staatlicher Sicht etwas richtig, erfolgt eine Belohnung. Mache ich etwas falsch, wird mein Ferienplatz gestrichen. Oder in meinem Falle: Unsere Familie war geteilt. Ein großer Teil lebte seit den fünfziger Jahren in Westdeutschland, in Stuttgart. In den achtziger Jahren wollte ich meine Großmutter, die sehr krank war, besuchen. Mein Reiseantrag wurde abgelehnt. Die Behördenmitarbeiterin sagte damals zu mir: „Ach, ein Schlagfall, meine Mutter hatte schon acht Schlaganfälle. Sie wollen das doch nur ausnutzen, um ein bisschen in den Westen reisen zu können.“ 1987 durfte ich erstmals in den Westen reisen - zur Beerdigung meiner Großmutter. Besonders schwierig wurde es, als ich vor rund 30 Jahren eine Familie gegründet habe, wir haben zwei Kinder. Weil ich dann nicht mehr nur für mich selbst Verantwortung trug. Es war stets eine Gratwanderung.
Das heißt: Sie haben sich nicht ganz für eine Seite entschieden?
Ich war mit dem System unzufrieden, und das habe ich auch deutlich gemacht. Auch ich hatte immer mit im Kopf, an welchen Stellen der Staat Gelegenheit hätte, einem zu zeigen: „Das gefällt mir nicht, wie Du Dich verhältst.“ Andererseits habe ich aber nie den offenen Konflikt mit dem Staat gesucht, sonst hätte ich gleich einen Ausreiseantrag stellen müssen.
Hat Ihr Elternhaus Sie dabei eher gestützt oder kritisiert?
Als ich jünger war, war der Einfluss meines Vaters stärker. Er war aus einer Entscheidung nach dem Krieg heraus SED-Mitglied. Meine Mutter war eher christlich geprägt. Dieses Hin und Her zwischen beiden Einflüssen war für mich eine ganz gute Schule, mich selbst zu positionieren. Ich wollte ausdrücken, dass ich gegen dieses System war, aber andererseits meiner eigenen Familie ein Leben so gut es ging ermöglichen.
Sie waren nie versucht, in die SED einzutreten?
Niemals. Es gab einige Anwerbeversuche, aber ich wollte nicht. Heute kann ich sagen: Dieses Nein-Sagen war eine harte Schule. Erstmals wurde ich mit der SED kurz nach meinem Studium konfrontiert. Ich wurde Abteilungsleiter im Agrochemischen Zentrum in Schlettau, einer kleinen Nachbarstadt von Annaberg-Buchholz. Mein Vorgänger war schwer verunglückt. Ich musste einspringen. Damit hatte ich dann regelmäßige „Besuche“. Denn diese Stelle war eine SED-Stelle. Jede Woche habe ich mir etwas Neues einfallen lassen, warum ich nicht in die SED eintreten wollte. Bis ich den Tipp bekam: „Geh doch in die CDU, dann hast Du zumindest in dieser Sache Ruhe.“
Wie haben Sie die CDU gesehen, als Sie 1983 eingetreten sind?
Mit der Geschichte und Macht-Einbindung der CDU habe ich mich erst viel später beschäftigt. Bis in die CDU-Ortsgruppe Buchholz, die ich von 1983 bis 1991 leitete, reichte die Gleichschaltung mit der SED nicht. Da waren auch Mitglieder von Kirchenvorständen drin, die wollten in der Nische arbeiten und etwas bewegen. Jeder Mensch strebt doch auch in einer Diktatur danach, das Bestmögliche daraus zu machen.
Viele sind trotzdem in keine Partei gegangen. Warum musste es für Sie dann die CDU sein?
Weil ich Christ bin. Und weil wir unsere Kinder christlich erzogen haben. Und damit war die Chance, dass ich in der CDU Gleichgesinnte treffe, am größten.
Sie gingen nur in die CDU, um den Anwerbungsversuchen der SED zu entgehen? Ja, sonst hätte ich es wahrscheinlich nicht getan. Die Illusion, dadurch das System ändern zu können, hatte ich nicht. Freilich wollte auch ich in meinem Heimatort etwas mitgestalten.
Danach hatten Sie „Ruhe“?
Im Beruf habe ich dann schnell gemerkt, dass ich auf einem Schleudersitz saß. Das wird einem dann bewusst. Vor allem, wenn die Männer in Ledermantel kamen. Ich habe nach einer beruflichen Alternative gesucht. Ich sollte Chef einer kleinen Tischlergenossenschaft werden. Aber es wurde nichts daraus - die SED-Kreisleitung hatte nicht genickt. Aber da hatte ich schon in meinem Betrieb gekündigt. Und so war ich von einem Tag auf den anderen in so etwas wie ein Berufsverbot geraten. Dann traf ich Jemanden aus der Getreidewirtschaft, der mich gut kannte, und wurde Disponent. Also habe ich Getreide aufgekauft, getrocknet, gespeichert, es an Mühlen oder Betriebe verkauft oder in den Export gegeben. Der damalige Betriebsleiter war ein Genosse, aber das war ein richtiger Pfundskerl. Er hatte mit mir verabredet, dass ich Montagfrüh um sechs Uhr bei ihm bin, um den Arbeitsvertrag zu machen. Das werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Um 6.10 Uhr war der Vertrag fertig. Dann haben wir darauf zusammen einen doppelten Wodka getrunken. Und um sieben Uhr kam dann der Anruf der SED-Kreisleitung bei meinem neuen Chef: „Passt auf, wenn der Steffen Flath kommt - nicht einstellen!“ Da sagte mein Chef nur: „Ach, du Scheiße, hätte ich das gewusst - gerade hab‘ ich den Vertrag unterschrieben.“
Ende der 80er Jahre begannen Sie sich dann im Neuen Forum zu engagieren?
Ich stand nicht in der vordersten Reihe im Kreis, aber ich war mit dabei. Das begann ganz einfach mit Telefonaten und ein paar Treffen.
Wofür sind Sie 1989 auf die Straße gegangen?
Zunächst ging es um Umweltschutz, später erst um Freiheit. 1989 ging dann alles Schlag auf Schlag. Ich habe im Neuen Forum mitgearbeitet, parallel dazu habe ich dann die CDU auf Kreisebene vertreten. Das war dann so mein erster ehrenamtlicher „Karrieresprung“. Der vorheriger Kreisvorsitzende wusste, dass er zu lange in dem Machtgefüge mitgemacht hatte. So würde ich es im Rückblick deuten. Er wollte, dass ein Jüngerer an die Spitze kommt. So kam ich mit an den Runden Tisch, damit kandidierte ich 1990 für den Kreistag, wurde auch gewählt und wurde Vize-Landrat und nur kurze Zeit später Kreisvorsitzender der CDU.
Warum ging es bei Ihnen so nahtlos?
Was heißt schon nahtlos? Ich habe nie bestimmte Ämter angestrebt. Es hat immer irgendwann ein Gespräch gegeben, wo jemand zu mir gesagt hat: „Du wärst jetzt der richtige Mann.“ Ich habe das dann kurz im Kopf sortiert und gesagt: Ja, das mache ich jetzt.
Aber in der CDU ging es für sie nahtlos weiter, obwohl Sie bereits seit 1983 dabei waren?
Der Zufall wollte es, dass der Landesparteitag der CDU 1991 in Annaberg-Buchholz stattfand. Dort wurden die richtigen Auseinandersetzungen geführt, die sich darin ausdrückten, wer es in den Landesvorstand schaffte. Wir tagten in einem typischen DDR-Festsaal die Wände hingen voller Biografien der Kandidaten. Hart wurde damals diskutiert und so manchem Vorwürfe gemacht: „Du warst das in der DDR, Du darfst jetzt nicht in den Landesvorstand - es ging hin und her. In meiner Bewerbungsrede habe ich daran erinnert, dass diese Festhalle, in der wir tagten, im Frühjahr 1989 von der SED-Kreisleitung als Internierungslager geplant war. Noch heute läuft es mir kalt den Rücken runter, wenn ich mich daran erinnere. Denn die Friedlichkeit der Revolution war damals in Gefahr - ganz viele in dem System dachten schon an die russische oder chinesische Lösung, eine gewaltsame Beendigung der neuen Bewegung. Ich habe damals gesagt, dass wir auch in der CDU einen Unterschied machen müssen, ob jemand durch sein Verhalten in der DDR auf Listen für solche Internierungslager stand oder jemand zu ihrer Einrichtung vorgesehen war. Ich glaube, damit hatte ich den Nerv getroffen, genau die Trennlinie benannt, die wir ziehen wollten. Und so wurde ich in den Landesvorstand gewählt.
Standen Sie auf einer dieser Listen?
Ich vermutete es, aber ich weiß es bis heute nicht.
Haben Sie Ihre Stasi-Akte eingesehen?
Gleich Anfang der neunziger Jahre habe ich Einblick beantragt. Zwei spärliche Vermerke fanden sich darin: dass ich 1977 versucht hätte, eine „Süddeutsche Zeitung“ von einer Urlaubsreise aus Ungarn über die Grenze zu schmuggeln. Und dass ich in den 80er Jahren eine Staatsrats-Eingabe gemacht hätte wegen der Umweltverschmutzung.
Vor allem Vertreter der Linkspartei werfen der CDU vor, dass sie sich heute trotz eigener Verstrickung herausnehme, über Ost-Biografien zu richten.
Ich war in dieser Situation. Ich war vier Jahre lang in Annaberg Personaldezernent. Da hatte ich viele Entscheidungen zu treffen. Ich habe mir dazu Akten angeschaut und mich im kleineren Kreis beraten. Das wichtigste Kriterium war für uns: In welcher Weise ist nachweisbar, dass er oder sie einem großen Personenkreis geschadet hat? Da werde ich die Geschichte eines Arztes nie vergessen, ein ausgezeichneter Mediziner. Aber im Geheimen hatte er damals die Rolle eines Richters: In hunderten von Fällen hatte er mitzuentscheiden über Ausreiseanträge, bei ihm wurde nachgefragt, wie Kranke oder Mitarbeiter doch bei Laune und damit im Land gehalten werden könnten oder er empfahl zu bestrafen. Er habe sich nur an geltendes Recht gehalten, hat dieser Arzt gesagt. Und er würde es jeder Zeit wieder tun.
Aber ist nicht auch heute die CDU allzu schnell mit einem pauschalen Urteil zur Stelle?
Da müssen wir vorsichtig sein. Auch wir sitzen im Glashaus. Jeder ist Kompromisse im Leben eingegangen, der eine mehr, der andere weniger. Entscheidend ist aber, welche Lehren eine Partei zieht, und welche Ziele sie verfolgt. Die NPD und die Linkspartei verfolgen für mich nach wie vor das Ziel einer Diktatur. In dieser politischen Auseinandersetzung lasse ich mich nicht mundtot machen - und schon gar nicht von Herrn Nolle.
Das Gespräch führte Annette Binninger.
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