DNN/LVZ, 29.04.2009
Zeugin „Sarah“: Schwere Vorwürfe gegen Justiz
Ehemalige Zwangsprostituierte tritt im U-Ausschuss zur Aktenaffäre auf
Dresden. Im U-Ausschuss zur Aktenaffäre hat eine junge Frau schwere Vorwürfe gegen Sachsens Justiz erhoben. Nach Aussage der Zeugin haben im früheren Leipziger Kinderbordell „Jasmin“ hochrangige Juristen verkehrt. Noch 2008 sei sie von Staatsanwälten bedrängt und bedroht worden.
Zu Beginn geriet der Vortrag mehrfach ins Stocken. Immer wieder musste die Vernehmung unterbrochen werden, kämpfte die junge Frau mit den Tränen. Doch nach rund einer halben Stunde hatte sie sich gefangen, halbwegs. „Ich bin aus freien Stücken hier“, gab sie zu Protokoll, es sei für sie „persönlich ein wichtiger Schritt“. In klaren Worten beschrieb sie ihren Leidenswegs Anfang der 90er Jahre, und dann fiel der entscheidende Satz: „Auch Staatsanwälte und Richter waren in die Sache verwickelt.“
Die Sache – das ist das Leipziger Kinderbordell „Jasmin“, die heute 32-Jährige ist eines von fünf Mädchen zwischen 13 und 19 Jahren, die dort anschaffen mussten. Zwangsprostitution nennt man das. 1993 wurde das Bordell geräumt, der Zuhälter Michael W. wurde zu vier Jahren Haft verurteilt. Interessant ist das Jasmin aber aus anderem Grunde: Es spielt eine Schlüsselrolle in der Affäre um Geheimakten des Verfassungsschutzes – wegen des Verdachts, hier könnten staatliche Würdenträger in korruptive Netzwerke verwickelt sein. Das hatten regierungsamtliche Behörden im Zuge der Affäre unisono ins Reich der Fabel verwiesen.
Entsprechend angespannt war die Stimmung gestern, und die 32-Jährige war es auch. Unter dem Pseudonym „Sarah“ trat sie auf, erzählte, wie sie vergewaltigt, geschlagen und gedemütigt wurde. Sie sei „keine Prostituierte“ im üblichen Sinne gewesen, betonte die zierliche Frau, sondern ein „Opfer schwerster sexueller Gewalt“. Wer allerdings zuhörte, konnte sich eines Eindrucks nicht erwehren: Sarah sieht sich ebenso als Opfer der Ermittlungsbehörden.
Das fing 1993/94 mit einer Serie von Merkwürdigkeiten an. Beispiel Ermittlungen: „Niemand, auch nicht die Polizei, schien sich für die Leute zu interessieren, die als Kunden ins ,Jasmin‘ kamen.“ Beispiel Prozess gegen den Bordellbetreiber 1994: Mitten im Gerichtssaal sei sie auf „bekannte Gesichter“ gestoßen – ehemalige Freier. Über das milde Urteil für den Bordellbetreiber habe sie sich gewundert.
Doch die Reihe der Merkwürdigkeiten reicht bis ins Jahr 2008. So erhob „Sarah“ schwere Vorwürfe gegen die Ermittler im sogenannten Sachsen-Sumpf, dabei fiel der Name von Oberstaatsanwalt Wolfgang Schwürzer. Diese hätten sie im vergangenen Jahr bedrängt und ihr nahegelegt, dass sie sich mit ihrer Identifizierung hochrangiger „Jasmin“-Kunden wohl irre. Und einmal sei gar der Satz gefallen „Wenn ich den Vorsitz hätte, würde ich Sie fertig machen“.
Ein Aufklärungswille, so das Fazit der Zeugin, sei nicht erkennbar gewesen – im Gegenteil. Statt die Täter dingfest zu machen, werde nun gegen sie, das Opfer, wegen Verleumdung ermittelt. Deshalb könne sie derzeit die Namen der Täter auch nicht nennen. Die Staatsanwaltschaft Dresden wies die Vorwürfe umgehend zurück. Die Ermittler hätten die Zeugin zwar „kritisch, aber mit Sicherheit nicht in unfairer Weise befragt“, hieß es in einer Mitteilung.
Von JÜRGEN KOCHINKE