DNN/LVZ, 05.05.2009
„Sarah“-Vernehmung: Ungereimtheiten in der Aktenaffäre„Sarah“-Vernehmung: Ungereimtheiten in der Aktenaffäre
Dresden. Einen Tag vor der Vernehmung von zwei ehemaligen Ermittlern der Leipziger Polizei im Bereich Organisierte Kriminalität (OK) sind weitere Ungereimtheiten in der Aktenaffäre bekannt geworden. Im Zentrum stehen ein Tonbandprotokoll sowie ein Aktenvermerk, die die Leipziger Beamten im Juni 2000 nach der Vernehmung einer ehemaligen Zwangsprostituierten aus dem Kinderbordell Jasmin angefertigt hatten. Eben jene Frau hatte vor einer Woche im U-Ausschuss unter dem Pseudonym „Sarah“ ausgesagt und schwere Vorwürfe gegen die sächsische Justiz erhoben.
Die Reihe der Merkwürdigkeiten ist lang und beginnt bereits mit der Dauer der Befragung im Juni 2000. Diese hat laut Aktenlage fast 13 Stunden gedauert, das entsprechende Tonbandprotokoll umfasst aber kaum mehr als drei Blatt Papier. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Unterschrift der Zeugin – wie bei Vernehmungen üblich – fehlt. Vor allem aber hatte „Sarah“ vor dem U-Ausschuss auf der Lesart bestanden, dass entscheidende Passagen in dem Papier fehlen – vor allem jene, die Details rund um das Jasmin beträfen. Darauf hatte bereits der Obmann der Grünen, Johannes Lichdi, hingewiesen.
Eklatanter aber ist eine weitere Besonderheit. So existiert ganz offensichtlich eine zweite Variante des Vernehmungsprotokolls, eine Art Aktennotiz. Diese ist zwei Seiten lang und stammt ebenfalls aus der Feder der Leipziger OK-Polizisten vom Juni 2000. Der Inhalt der Notiz allerdings geht weit über das Protokoll hinaus. Und vor allem: Das Papier fehlt im Bestand von Rechtsanwalt Christian Braun. Der Jurist vertritt „Sarah“, gegen die die Staatsanwaltschaft Dresden wegen Verleumdung Anklage erhoben hat.
Entsprechend erhebt der Anwalt jetzt Vorwürfe gegen die Behörden. „Überhaupt nicht nachvollziehbar“ sei die Tatsache, dass von einer über zwölfstündigen Vernehmung nur dreieinhalb Seiten Protokoll existierten, sagte Braun gestern dieser Zeitung. Darüber hinaus werde er als Anwalt behindert. So habe er bis heute keine komplette Einsicht in die Akten erhalten, den möglicherweise entlastenden Vermerk kenne er erst seit wenigen Tagen. „Man hat den Eindruck“, meint Braun, „dass man meiner Mandantin übel mitspielt – aus welchen Gründen auch immer“.
„Sarah“ hatte vor einer Woche ausgesagt, dass entgegen der offiziellen Lesart im Jasmin sehr wohl hochrangige Juristen verkehrt hätten. Weiterhin hatte sie der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, diese gehe nicht gegen die Täter vor, sondern hätte sie bedrängt und bedroht. Die Staatsanwaltschaft hatte das zurückgewiesen. Heute will der U-Ausschuss erneut den Ex-OK-Beamten Georg Wehling vernehmen, zuvor ist dessen ehemaliger Mitarbeiter Andreas Kaziur geladen. Brisant ist das nicht zuletzt, weil „Sarah“ ausgesagt hatte, sie sei vergewaltigt worden – ein Delikt, das noch nicht verjährt ist. Ermittelt wurde hier bisher nicht.
Jürgen Kochinke