Karl Nolle, MdL

spiegel.online.de, 12.05.2009

SACHSENS REGIERUNGSCHEF: Tillichs Probleme mit seiner DDR-Vergangenheit

Stanislaw Tillich: Kreativer Umgang mit der Wahrheit
 
Neue Vorwürfe gegen Sachsens Regierungschef Tillich: Der CDU-Politiker hat einen Fragebogen zu seiner DDR-Vergangenheit offensichtlich falsch beantwortet - Hunderten Verwaltungsangestellten wurde in vergleichbaren Fällen gekündigt. Schon gibt es erste Rücktrittsforderungen.

Dresden - Die Erklärung klang etwas weinerlich. "Ich bin betroffen, und es macht mich traurig", jammerte Sachsens Regierungschef Stanislaw Tillich im Herbst vergangenen Jahres auf der Homepage der Staatskanzlei, "dass es Menschen gibt, die behaupten, ich würde meine Biografie beschönigen oder verschleiern." Jede Frage zu seinem Lebenslauf wolle er offen und ehrlich beantworten, "auf der Grundlage von Fakten und nach bestem Wissen und Gewissen".

Beim SPIEGEL machte er eine Ausnahme. Auf dessen Anfragen zu einer Erklärung, die Tillich bei Amtsantritt in der sächsischen Staatsregierung 1999 zu seinem Leben in der DDR ausfüllen musste, verweigerte er jede Antwort. Bis vergangene Woche das vom SPIEGEL angerufene Verwaltungsgericht Dresden die Staatskanzlei per Beschluss verpflichtete, die Fragen "vollumfänglich und wahrheitsgemäß" zu beantworten.

Die vornehme Zurückhaltung macht rückblickend durchaus Sinn: der Sachsen-Premier pflegte ganz offensichtlich einen kreativen Umgang mit der Wahrheit. So hat Tillich, wie er jetzt auf Druck des Gerichts einräumt, die Frage nach Mandaten und Funktionen in oder für politische Parteien der DDR im Fragebogen verneint. Tatsächlich aber war der Sorbe durchaus Funktionär der Blockpartei CDU. Von 1987 bis Mitte 1989 war er Verwaltungsangestellter beim Rat des Kreises Kamenz, dabei vertrat er ausweislich der Sitzungsprotokolle oft das zuständige Ratsmitglied für Handel und Versorgung.

Im Mai 1989 rückte er selbst in diese Stellung auf. Auch ein Mandat hatte Tillich zu DDR-Zeiten inne. In der "Sächsischen Zeitung" vom 10. Mai 1989 sind "unsere Abgeordneten für den Kreistag" aufgelistet. Es war jene Kommunalwahl, die wegen massiver Wahlfälschungen das Ende des Systems mit einleitete. Für den Wahlkreis XII steht dort der Blockfreund Stanislaw Tillich. Er hatte ein Kreistagsmandat für die DDR-Union errungen, angegeben ist es im Bogen nicht.

Eine Lüge will in der Regierungszentrale natürlich niemand einräumen. Schon im November hatte eine Bereichsleiterin behauptet, nach "Auskunft der zuständigen Verwaltungseinheit" habe Tilich die Erklärung "vollständig und zutreffend beantwortet". Dahinter kommt man heute schlecht zurück. Tillich, so heißt es nun, habe doch keine "herausgehobene Funktion" in der DDR gehabt. Das Problem ist nur, dass ein Ratsmitglied auf Kreisebene unstrittig eine höhere Funktion im Staatsapparat inne hatte und dass in der dem SPIEGEL vorliegenden Version des Fragebogens gar nicht nach einer herausgehobenen Funktionen gefragt wird, sondern ganz allgemein nach Funktionen. Inzwischen behauptet die Regierungszentrale, Tillich habe ein anderes Exemplar vorgelegen.

Fragen wurden verändert

Auch bei einer zweiten Frage sieht der Ministerpräsident alles andere als gut aus. Dabei geht es um Ausbildungen, die nichts mit Allgemeinbildung oder Berufsschulen zu tun haben. Parteischulen etwa. Auch hier, räumt Tillich jetzt ein, habe er mit nein geantwortet. Tatsächlich gibt es ein "Ausbildungsprogramm" des Rats des Kreises Kamenz von 1986 für "den Kollegen Stanislaw Tillich".

Dort steht unter Punkt 3.3., dass der Blockfreund von September bis Dezember 1988 die CDU-Parteischule Burgscheidungen besuche und von Januar bis März 1989 die Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften der DDR in Potsdam-Babelsberg. Die CDU-Parteischule streitet Tillich ab, entsprechende Unterlagen aus jener Zeit liegen heute bei der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Sankt Augustin. Dort, so sagt man, habe man den Namen Tillich tatsächlich nicht finden können. Allerdings sei das ganze Material auch noch nicht sonderlich gut sortiert.

Den Lehrgang an der Kaderschmiede in Potsdam hat Tillich zunächst dementiert und kurz darauf eingeräumt. Mindestens dieser Lehrgang hätte im Fragebogen aber angegeben werden müssen.

Die Staatskanzlei versucht das Problem auf ihre Art zu umschiffen. Es hat die vom Dresdner Verwaltungsgericht abgesegnete Frage, die sich in den Fragebögen befindet, verändert. Aus der Frage: "Haben Sie andere als allgemeinbildende bzw. berufsausbildende Ausbildung durchlaufen (z.B. Parteischulen o.ä.)" machte die Regierungszentrale flugs "Haben Sie eine Parteischule absolviert?". Das Nein wäre mangels anderer Beweise also keine Lüge. Tillich habe einen anderen Fragebogen als der dem SPIEGEL vorliegenden ausgefüllt.

Für den SPD-Landtagsabgeordneten Karl Nolle sind die Versuche der Staatskanzlei, die Antworten im Nachhinein noch ins rechte Licht zu rücken, schlicht "Taschenspielertricks zur Desinformation", die Tillich wohl "auf der SED-Kaderschmiede in Potsdam gelernt" habe. Der Sozialdemokrat, der sich mit Tillichs CDU in einer Großen Koalition befindet, hatte die Staatskanzlei selbst mit Anfragen zur DDR-Vergangenheit des Regenten bombardiert. Antworten bekam er kaum. Er will nun seinerseits vor Gericht ziehen, um seine Rechte als Abgeordneter durchzusetzen.

Es gibt noch eine dritte Frage in dem strittigen Bogen, deren Beantwortung bis heute Tillichs Geheimnis ist. Dabei geht es um Kontakte mit der Staatssicherheit, zu denen man als Leiter gegebenenfalls verpflichtet war. Tillich hatte Ende vergangenen Jahres überraschend eingeräumt, mindestens zwei Mal Stasi-Besuch im Büro gehabt zu haben. Ob er dies im Fragebogen angegeben hat, ist unklar. Er lässt auf die Tatsache verweisen, dass er nach Auskunft der Birthler-Behörde kein Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi gewesen sei.

Die Konsequenzen einer Lüge im Fragebogen sind an dessen Ende eindeutig geregelt: "Mir ist bekannt, dass das Land Sachsen berechtigt ist, die Beamtenernennung zurückzunehmen bzw. das Arbeitsverhältnis unter Umständen fristlos zu kündigen, wenn die vorstehenden Angaben unvollständig oder unwahr sind."

Die Partei Die Linke fordert Tillich inzwischen zum Rücktritt auf. Wenn er über "politischen Anstand und menschliches Ehrgefühl" verfüge, müsse er von sich aus die notwendigen Konsequenzen ziehen.
Von Steffen Winter

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: