Karl Nolle, MdL

Spiegel 21/2009, Seite 33, 17.05.2009

SACHSEN: Nicht mal Pförtner

Regierungschef Stanislaw Tillich wird erneut von seiner DDR-Vergangenheit eingeholt. Die Affäre um einen Fragebogen setzt die Blockflöten-Debatte wieder in Gang.
 
Der Abgeordnete Hartmut Ulbricht hatte sich in Rage geredet. Wegen der "Vehemenz", mit der die Linken gegen eine Überprüfung von Staatsdienern zu Felde zögen. "Hätten Sie nämlich nichts zu verbergen", giftete der Christdemokrat in Richtung der alten Genossen, "dann brauchte man sich auch vor diesem Fragebogen nicht zu fürchten."

Der Beifall war heftig in jener 16. Sitzung des Sächsischen Landtags im April 1991. Die bürgerliche Mehrheit hatte Kriterien für einen Fragebogen ersonnen, mit dessen Hilfe alte, dem DDR-System nahe Kader aus dem Staatsdienst verdrängt werden sollten. Es sei "geradezu unerträglich", begründete die Union ihre Zustimmung, wenn sich der Bürger in den Verwaltungen "plötzlich wieder genau den Personen gegenüber sähe, deren Repressalien er zur Zeit des SED-Regimes ausgesetzt war".

Der wackere Abgeordnete Ulbricht sitzt lange nicht mehr im Parlament, doch besagter Fragebogen beschäftigt die sächsische CDU heute intensiver denn je. Regierungschef Stanislaw Tillich höchstselbst, zu Zeiten der DDR hoffnungsvoller Blockflöten-Kader mit Leitungsfunktion beim Rat des Kreises Kamenz, gerät wegen des von ihm 1999 ausgefüllten Formulars von einer Erklärungsnot in die nächste.

Kurz vor den Kommunalwahlen und wenige Monate vor der Landtagswahl wird der Union in Sachsen damit erneut eine Debatte über den Umgang mit der eigenen Vergangenheit aufgezwungen. Der angestrebte Lagerwahlkampf ist wohl endgültig perdu: Die von Tillich öffentlich als "Feind" ausgemachten roten Socken treiben mit diebischer Freude den gewendeten schwarzen Blockfreund vor sich her.

Aktueller Auslöser ist ein atemraubender Eiertanz der Staatskanzlei um den Fragebogen des Premiers, der in Dresden als Staatsgeheimnis behandelt wird, wie einst unter August dem Starken die Rezeptur des Meißner Porzellans. Sechs Monate verweigerte Tillich jede konkrete Antwort dazu, was er im Formular angegeben hat.

Das Dilemma war offensichtlich: Der Regierungschef hatte im November 2008, erzwungen durch diverse Enthüllungen, eine Art Lebensbeichte abgelegt. Hatte einen Besuch der DDR-Kaderschmiede für Staat und Recht in Potsdam eingeräumt, wo ihm ausgerechnet eine heutige Linken-Abgeordnete begegnete, dazu den Wehrdienst an der innerdeutschen Grenze und sogar gelegentlichen Stasi-Besuch in seinem Dienstzimmer beim Rat des Kreises.

Übrig blieb der Vorbehalt, ob Tillich sich diese Offenheit auch in dem Fragebogen von 1999 geleistet hatte. Denn dort hatte er die Warnung unterschrieben, dass unvollständige oder unwahre Antworten "im Regelfall" zur Kündigung führen.

In ähnlichen Fällen wurde im Freistaat rigide durchgegriffen. Im Landtag kann man bei der Linkspartei in einem roten Aktenordner solche Wendeschicksale einsehen. Darin findet sich etwa die Kündigung eines Musikprofessors, der im Fragebogen keine MfS-Kontakte angegeben hatte. Ihm wurde zum Verhängnis, dass in seinem Dienstzimmer eine Studentin als Spitzel angeworben werden sollte. Er selbst war bei dem Gespräch weder anwesend, noch war er je als Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi registriert. Ein ganzer Kirchenchor aus dem Westen ergriff beim Rektor Partei für den Gefeuerten, ohne Erfolg.

Gekündigt wurde aus den abenteuerlichsten Gründen, wie ein Funktionär aus Delitzsch erfahren musste. Der Mann, so steht es in seiner Entlassung aus dem Staatsdienst, habe sich in seiner Tätigkeit in besonderem Maße aktiv für die Politik der SED eingesetzt. Es bestünden daher "erhebliche Zweifel", dass der Sachse künftig "im Sinne der freiheitlich-demokratischen Grundordnung" arbeite. Der Mann war Kreissekretär - beim Deutschen Roten Kreuz. Der Chef eines sorbischen Folklore-Orchesters sollte entlassen werden, weil er, wie Tillich auch, ein Kreistagsmandat innehatte - für den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund. Er habe, so der daraus abgeleitete Vorwurf in der Kündigung, das Ensemble ja wohl im Sinne des SED-Regimes indoktriniert.

Linke-Fraktionschef André Hahn kramt auch gern einen alten Zeitungsartikel aus dem Jahr 1992 hervor. Darin wird aufgelistet, wer für eine Einstellung im Dresdner Rathaus alles "ungeeignet" sei. An 17. Stelle: Vorsitzende der Räte des Kreises und deren Stellvertreter. Tillich war seit Mitte 1989 Stellvertreter des Vorsitzenden, zuständig für Handel und Versorgung. "In der Landeshauptstadt", stichelt Hahn, "wäre der nicht mal Pförtner geworden."

Vergangene Woche gab die Staatskanzlei erstmals einige wenige Details aus dem Tillich-Bogen bekannt. Das Verwaltungsgericht Dresden hatte die Regierungszentrale auf Antrag des SPIEGEL dazu verpflichtet. Inzwischen ist klar, dass Tillich zumindest sein Kreistagsmandat für die Block-CDU auf die entsprechende Frage hin nicht angegeben hat. Ob er "Mandate oder herausgehobene Funktionen in oder für politische Parteien" in der DDR hatte, verneinte er. Seine Mitgliedschaft im Rat des Kreises habe er indes bei der Frage nach "herausgehobenen Funktionen in staatlichen Dienststellen" angegeben. Drei Antworten zu den mutmaßlich zehn Fragen im Bogen sind nun öffentlich. Der Rest soll weiter geheim bleiben.

Eine Einsicht in das Papier, das in einem verschlossenen Umschlag in der Personalakte des Regenten liegt, wird abgelehnt. Weitere Nachfragen, etwa ob die mindestens zwei Stasi-Kontakte ordnungsgemäß angegeben sind, werden nicht beantwortet. Das Verwaltungsgericht, so die Erklärung, habe dies schließlich nicht verlangt. STEFFEN WINTER

Karl Nolle im Webseitentest
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