Karl Nolle, MdL

Süddeutsche Zeitung, Seite 5, 20.06.2009

„Sonate für Blockflöten und Schalmeien”

Ein Buch über die DDR-Vergangenheit des sächsischen Ministerpräsidenten Tillich und anderer sorgt für Unruhe
 
Dresden - „Manche Vergangenheiten wirken in die Gegenwart und auch in die Zukunft hinein", sagt der Abgeordnete Karl Nolle. Er selbst sorgt gerade mit einer Art medialem Paukenschlag dafür, dass die Vergangenheiten gewisser Akteure des DDR-Regimes nicht ganz in Vergessenheit geraten. Etwa 90 Biographien von heute in Sachsen aktiven Christdemokraten hat der Sozialdemokrat Nolle in seinem Buch „Sonaten für Blockflöten und Sehalmeien" zusammengetragen - allesamt Politiker, die als Mitglieder einer der Blockparteien, der SED oder gar als Informanten der Stasi eine Rolle gespielt haben. Darunter sind Minister, Landräte, der amtierende Landespolizeipräsident -der prominenteste aber ist Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU).

Nolle hat dem Regierungschef gleich mehrere Kapitel seines Buches gewidmet, das er am Donnerstag vorstellte. Darin geht es um Tillichs einstige Tätigkeit als stellvertretender Vorsitzender im Rat des Kreises Kamenz. Ein Posten, der nach dem sächsischen Beamtengesetz als nicht unproblematisch zu gelten hat - mancher kleinere Angestellte, der nach der Wende in den Staatsdienst übernommen werden wollte, scheiterte an weit geringeren Sünden der Vergangenheit. Für Tillich aber stellte das Gesetz keinen Hinderungsgrund dar, ihn zu vereidigen, als er 1999 sächsischer Minister für Europaangelegenheiten wurde. Ob dies damit zusammenhing, dass er möglicherweise seinen Fragebogen etwas lückenhaft oder missverständlich ausgefüllt hatte, wird derzeit noch gerichtlich geprüft.

Der SPD-Abgeordnete Nolle hat sämtliche Kurzbiografien durchgearbeitet, die seit 1990 von Tillich in Umlauf waren, sei es als er Abgeordneter der letzten DDR-Volkskammer war, des Europa-Parlaments oder des sächsischen Landtags. Insgesamt seien ihm „30 Manipulationen" aufgefallen, so Nolle. Und noch etwas entging dem Abgeordneten nicht: Seit begonnen worden sei, über die Vergangenheit des Ministerpräsidenten zu recherchieren, hätten sieh die Bestände im Kamenzer Kreisarchiv, wo die Protokolle des einstigen Rates des Kreises lagern, auf wundersame Weise verändert.

So will ein Mitarbeiter Nolles vor Monaten noch einen kompletten Aktenvorgang gesehen haben, in dem es um die Enteignung eines Hauses ging. Der Gebäudeentzug war noch in den letzten Tagen der DDR Ende 1989 durch den Rat des Kreises gegangen, auch mit Talichs Unterschrift auf dem Protokoll. Als diese Woche ein Journalist das Papier einsehen wollte,fehlten jedoch wesentliche Teile des Sitzungsdokuments. Überdies war kuri darauf die sächsische Regierungszentrale in der Dresdner Staatskanzlei über den Besuch des Journalisten in Kamenz informiert. Der christdemokratische Landrat des Kreises Bautzen, zu dem Kamenz heute gehört, bestätigte auf Anfrage, dass er die dienstliche Anweisung erteilt habe, die Staatskanzlei direkt in Kenntnis zu setzen, wann immer jemand im Kamenzer Kreisarchiv Dokumente über die Vergangenheit des Ministerpräsidenten zu sehen wünscht.
Von Christiane Kohl

Karl Nolle im Webseitentest
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