Freie Presse, 20.06.2009
Nolles Abrechnung mit den CDU-Blockflöten
Sächsischer SPD-Abgeordneter präsentiert sein lang angekündigtes Buch — Frontalangriffe auf Ministerpräsident Tillich
Dresden. Das Buch, professionell eingebunden, 336 Seiten stark, zum Kampfpreis von 9,8o Euro angeboten, ließ der Autor erst nach knapp anderthalb Stunden verteilen. So wollte es die Inszenierung. Dazu passte die ungewöhnliche Milde. Es gehe ihm nicht um einen General angriff auf die CDU, schwächte
Karl Nolle die erwartete Attacke ah, „sondern um die Kollaboration heutiger CDU-Funktionäre im SED-Regime".
Zur Präsentation seiner mehrfach angekündigten „Sonate für Blockflöten und Schalmeien" leistete ein unbeugsamer Zeitzeuge einer älteren deutschen Diktatur Flankenschutz. Er sehe das Buch nicht als Anklage-, sondern Aufklärungsschrift, sagte Cornelius Weiss (76). Als Fraktionschef der SPD hatte er einst seinem unbequemen Parteigenossen Nolle die Freundschaft aufgekündigt. Gestern nahm er ihn gegen „drohende Entrüstung und Verunglimpfung" in Schutz. „Wenn Menschen, die sich nur ungern an ihr Verhalten in der Vergangenheit erinnern oder dieses Verhalten aus Opportunitätsgründen bewusst verschweigen und sich lieber an ihrem selbst gestrickten Opfermythos festhalten, pharisäerhaft mit dem Finger auf andere zeigen, wird es langsam ärgerlich", schreibt Laudator Weiss im Vorwort.
Die CDU sei als Blockpartei eine zuverlässige Stütze des DDR-Systems gewesen. „In diese Wunde legt Nolle den Finger", sagte Weiss. Der Buchschreiber nahm das Stichwort gern auf. Ihm gehe es um die Doppelmoral der Mächtigen in diesem Land. Deswegen habe er seit dem Beginn seiner Parlamentsarbeit vor zehn Jahren Material gesammelt, auch in Form Kleiner Anfragen.
Finger in die Wunde gelegt
In der sächsischen Union will Nolle keine einheitliche Strömung zum Umgang mit der Vergangenheit festgemacht haben. Interessant sei aber, dass ausgerechnet die zuletzt aus dem Westen stammenden CDU-Politiker den Machtkampf zwischen den Blockparteilern und den friedlichen Revolutionären zugunsten der „Blockies" verschoben hätten. Das wertet Nolle als ein ge samtdeutsches Phänomen. „Der Karrierist und Mitläufer treibt heute noch in allen Parteien sein Unwesen", lautet sein Fazit.
Es sind Diskussionsbeiträge von Bürgerrechtlern wie Rainer Eppelmann und Christian Führer, geschichtliche Abhandlungen zur Block-CDU, die Dokumentation von Zuschriften, Biografien aller sächsischen Abgeordneten mit Blockpar tei-Hintergrund und Parteitagsreden, mit denen Nolle sein umfängliches Werk füllt.
Vor allem ist es die Abrechnung mit Ministerpräsident Stanislaw Tillich. Bewusst habe er bereits vor dem CDU-Bundesparteitag im Dezember 2008 die geschönte Biografie des prominentesten Landespolitikers enttarnt. Tillichs zögerliche Reaktion und die hitzige, kontrovers geführte Diskussion stachelten ihn an. So sei das Buch dicker und später fertig geworden.
Interesse breit gestreut
An Tillich arbeitet sich Nolle ab. 48 Seiten widmet er dem Regierungschef. Spektakuläre Enthüllungen, die über bekannte Vorwürfe von Lücken und Nachbesserungen im Lebenslauf des früheren CDU-Funktionärs im Rat des Kreises Kamenz hinausreichten, liefert das lange Kapitel nicht. Doch genüsslich dokumentiert Nolle die unterschiedlich formulierten Biografien, hält Tillich seine per Gerichtsbeschluss verordneten Antworten vor. Zudem konfrontiert er ihn mit dessen Aussage, wie viele andere lediglich eine Nische gesucht zu haben, um Ruhe vor der SED zu haben. An dieser Version rüttelt Nolle heftig, denn Tillichs Vater beschreibt er als linientreuen Kommunisten der SED, und seine Ehefrau Veronika habe als CDU-Mitglied die Funktion eines Sekretärs für Agitation und Propaganda ausgeübt. Die heutige „First Lady" Sachsens habe auch eine Kaderschulung in der Zentralen Schulungsstätte der CDU „Otto Nuschke" in Burgscheidungen besucht.
„Karrieristen, Wendehälse, Janusköpfe" nennt Nolle die Hauptfiguren in seinem Buch. Darunter sind Prominente wie Star-Trompeter Ludwig Güttler, dem er seine Vergangenheit als Stasi-IM „Friedrich" vorhält, oder Heinz Eggen. Er ist für ihn ein „Januskopf": Der einstige Widerständler gegen die SED habe als schillern der Polizeiminister Sachsens hunderte Stasi-belaster Kripo-Leute verbeamtet. So hat Aufklärer Nolle das Interesse an seinem Buch breit gestreut. Die erste Auflage beträgt 200o Stück. Bei Interesse liefere er sofort nach, versprach der Drucker und legte am Ende politisch die Zündschnur. „Ein Ministerpräsident", kam er auf Tillich zurück, „der mit seiner Biografie nicht wahrhaftig umgeht, ist fehl am Platz."
VON HUBERT KEMPER