Sächsische Zeitung, 27.06.2009
Die SPD hadert mit ihrem Vorsitzenden
Thomas Jurks Hilfe für den CDU-Regierungschef Tillich stößt vielen Mitgliedern auf. Konsequenzen hat das mitten im Wahlkampf nicht.
Seinen größten Erfolg erzielte Sachsens SPD-Chef und Wirtschaftsminister Thomas Jurk in dieser Woche nicht auf der politischen Bühne: Beim Wettbewerb um das beste Zitat des Jahres, veranstaltet von den Mitgliedern der Landespressekonferenz, belegte er am Dienstag mit einem flotten Spruch immerhin den zweiten Platz.
Schützenhilfe für andere Seite
Ganz anders sah die Sache allerdings aus, als Jurk nur einen Tag später am Landtagsmikrofon stand und dort mit einer verwirrenden Rede bei den eigenen Genossen für Entsetzen und für überrascht-freudige Gesichter in den CDU-Reihen sorgte. Thomas Jurk, der sich an diesem Tag erstmals offiziell in die Diskussion um die DDR-Vergangenheit von Ministerpräsident Stanislaw Tillich einmischte, stellte sich plötzlich vor den CDU-Regierungschef. Tenor: Niemand dürfe Tillich, der zur Wende Stellvertretender Vorsitzender der Kreisverwaltung Kamenz war, vorwerfen, vor 20 Jahren in der DDR Verantwortung übernommen zu haben.
In dieser unerwarteten Schützenhilfe für Tillich sahen viele Beobachter aber noch etwas anderes: Eine klare Kritik von Jurk an den eigenen SPD-Genossen. Denn dort fordert längst nicht nur der Landtagsabgeordnete
Karl Nolle mit seinem jüngsten Schwarzbuch, dass sich betroffene CDU-Politiker offener zu ihrer DDR-Verantwortung bekennen müssen, statt diese nur kleinzureden. „Herr Tillich geht nicht souverän mit seiner Biografie um“, stellte am Freitag auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Martin Dulig klar. Zu dem Zeitpunkt war im SPD-Landesverband der Unmut allerdings längst riesengroß. Da hilft nichts, dass Jurk zurückrudert und von einem Missverständnis spricht. In Briefen und E-Mails an die Parteispitze fallen zurzeit böse Worte. Von einer Führungsschwäche des Vorsitzenden ist genauso die Rede wie von Rücktritt und der Einberufung eines Sonderparteitages. Ein SPD-Mitglied wünscht sich Jurk gar dorthin, „wo der Pfeffer wächst“.
Schulterschluss ohne Einigung
Zu groß ist der Unmut darüber, dass Sachsens SPD-Chef wieder einmal das Gespür fehlte, wohin es seine Partei drängt – und das mitten im Wahlkampf zum Vorteil der CDU-Konkurrenz, der die Vergangenheitsdebatte bisher arg zusetzte. „Entweder will das Thomas Jurk nicht begreifen oder er kann es nicht. Beides ist schwierig“, meint ein Genosse lakonisch. Doch gegrollt wird bei der SPD nur intern. Offiziell üben sich die Parteispitzen in der Schadensbegrenzung. Motto: Es gibt keine Differenzen, es gab nur ein Missverständnis. „Was sollen wir im Wahlkampf auch schon anders machen“, meint dazu ausgerechnet
Karl Nolle. Der gibt sich weiter überzeugt, dass eine Debatte über den heutigen Umgang früherer CDU-Blockpolitiker mit der eigenen Biografie nötig ist. „Thomas Jurk hat die Diskussion des letzten halben Jahres leider nicht richtig nachvollzogen“, formuliert Nolle höflich. Andere Sozialdemokraten sagen frei heraus, Jurk sei der CDU dabei auf den Leim gegangen.
Tatsächlich erklären die Christdemokraten die Vorwürfe gegen Tillich und Co. gern zum reinen Ost-West-Konflikt – den Solidarisierungseffekt der Bevölkerung inklusive. Diese Gefahr hat nun zwei Monate vor der Landtagswahl auch die SPD erkannt. In einem Schreiben an alle Mitglieder wird deshalb davor gewarnt, dass „Gegner der Sozialdemokratie einen Keil in unsere Reihen treiben“ wollen. Das dürfe man nicht zulassen. Per gemeinsamer Unterschrift beschwören Jurk und Dulig nun die Einigkeit der Partei. Zumindest bis zum Wahltag.
Von Gunnar Saft