Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 03.07.2009

Hat Tillich im Personalbogen falsche Angaben gemacht?

 
Wo ist der Notausgang? Sachsens Ministerpräsident hat sich in der Debatte um den Umgang mit seiner DDR-Vergangenheit mittlerweile in juristischen Auseinandersetzungen weitgehend verstrickt. Foto: Robert Michael
Dresden. Sachsens Regierungschef Stanislaw Tillich (CDU) gerät in der Debatte über den Umgang mit seiner DDR-Vergangenheit weiter unter Druck.

Am Dienstag war Tillich noch im kleinen Kreis vor Journalisten in die Offensive gegangen. Überraschend teilte er mit, dass er die Frage nach Stasi-Kontakten 1999 in seinem Personalbogen mit Nein beantwortet habe.

Bisher hatte Tillich zu dieser Frage jegliche Auskunft verweigert. Der Streit ging sogar vor Gericht. Das Urteil, ob Tillich gezwungen werden kann, seinen Fragebogen zu veröffentlichen, wird in den nächsten beiden Wochen erwartet. Dem scheint der Regierungschef jetzt zuvorkommen zu wollen. Gestern nun gab die Staatskanzlei weitere Antworten aus Tillichs Fragebogen bekannt. Sie bemühte sich, dabei mit anwaltlicher Hilfe den Verdacht auszuräumen, Tillich könnte damals falsche Angaben gemacht haben. Worum geht es:

Vorwurf 1: Kontakte zur Stasi verschwiegen

Wie jeder Beamte oder Angestellte des Öffentlichen Dienstes im Freistaat musste auch Tillich, als er 1999 Europaminister wurde, einen Fragebogen ausfüllen, der seine Einbindung in das politische System der DDR offenlegen sollte. Besonders wichtig war dabei die Frage nach einer möglichen Mitarbeit für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS). „Ich habe nicht für das MfS gearbeitet“, erklärte Tillich am Dienstag dieser Woche. Und dementsprechend habe er auch in seinem Personalbogen die Frage nach einer offiziellen, inoffiziellen oder hauptamtlichen Tätigkeit für das MfS mit Nein beantwortet.

Allerdings fragte der Personalbogen, den auch er damals ausfüllen musste, wesentlich differenzierter nach möglichen Stasi-Kontakten. Eine weitere Stasi-Frage (Frage 4) beantwortete er laut Staatskanzlei ebenfalls mit Nein. Die Frage lautete: „Haben Sie dienstlich, aufgrund gesellschaftlicher Funktionen oder sonstwie Kontakt zu den in Nummer 1 (MfS und Abteilung Aufklärung des DDR-Verteidigungsministeriums, Anm. d. Red.) genannten Stellen gehabt?“

1999 hatte Tillich auch diese Frage noch verneint. Ende vergangenen Jahres räumte er jedoch ein, Stasi-Mitarbeiter hätten ihn in seiner Funktion als Mitglied des Rats des Kreises Kamenz zweimal aufgesucht.

Diesen Widerspruch erklären Tillichs Anwälte nun folgendermaßen: Unter einem „Kontakt“ seien „keine vereinzelten, ungeplanten Treffen zum Beispiel anlässlich der beruflichen Tätigkeit zu verstehen“. Dies habe 1990 auch schon der damalige Chef der Staatskanzlei und heutige Dresdner Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz (CDU) so gesehen, heißt es weiter. Tatsächlich hatte Vaatz in einem Schreiben vom 4. Dezember 1990 erläutert, dass dienstliche Kontakte nicht als Arbeit für das MfS gewertet werden könnten. Nicht erläutert hatte Vaatz darin aber, was unter Stasi-Kontakten zu verstehen sei. Fraglich ist zudem, ob Tillich die Vaatz-Ausführungen damals überhaupt kannte, als er den Fragebogen beantwortete.

Ebenso offen bleibt: Warum hat Tillich, wenn die Beantwortung der Stasi-Frage laut seiner Anwälte richtig war, seit rund acht Monaten so beharrlich dazu geschwiegen?

Vorwurf 2: Funktion in Nomenklatur verheimlicht

Frage 5 des Fragebogens lautete: „Wurden Sie in der ehemaligen DDR in eine Funktion, die der Kadernomenklatur oder Kontrollnomenklatur unterlag, berufen?“ Tillich antwortete laut Staatskanzlei darauf damals mit Nein. Dabei war seine Position als Stellvertretender Vorsitzender des Rats des Kreises durchaus eine wichtige, einflussreiche Position.

Tillichs Juristen setzen in ihrer Verteidigungsstrategie dabei auf das Wort „berufen“ in der Fragestellung. „Herr Tillich wurde nicht in eine entsprechende Funktion berufen, sodass die Fragestellung im Erklärungsbogen für Herrn Tillich nicht einschlägig war, und er sie zutreffend verneint hat“, teilte die Staatskanzlei gestern auf SZ-Anfrage mit.

Vorwurf 3: CDU-Mandat im Fragebogen verschwiegen

In Frage 6 Antwort Tillichs auf die Frage nach „herausgehobenen Funktionen in oder für politische Parteien und Massenorganisationen der DDR“ mit Nein. Die Tätigkeit im Rat habe einen Sitz im Kreistag vorausgesetzt, argumentieren Tillichs Anwälte. Und diese Ratstätigkeit habe er doch bei Frage 10 des Personalbogens angegeben – also damit indirekt auch die Frage nach einem Partei-Mandat. Erst in der letzten Frage des Personalbogens (Frage 10) wurden dann „herausgehobene Funktionen in der DDR vor dem 9. November 1989“ erfragt. Und dort sei die Ratstätigkeit von Tillich auch eingetragen worden.

Tillichs Biografie wird zum Wahlkampfthema Nummer 1

Die stückchenweise Veröffentlichung des Tillich-Fragebogens hat unterdessen die Kritik der Opposition am Umgang des Regierungschefs mit seiner Vergangenheit neu angefacht. „Es ist höchste Zeit, mit den Lebenslügen Schluss zu machen“, forderte Grünen-Fraktionschefin Antje Hermenau gestern Tillich auf, endlich „reinen Tisch“ zu machen. Der Regierungschef verspiele seine persönliche Glaubwürdigkeit.

Auch SPD-Generalsekretär Dirk Panter appellierte an Tillich, „alle nötigen Informationen auf den Tisch zu legen, um die Debatte endlich abzuschließen“. Die SPD verfolge mit Sorge die Biografie-Debatte, die „dem Ansehen Sachsens und des Amtes einen Bärendienst erweist“, so Panter. Tillich werde damit zum Wahlkampfthema.

Der Ministerpräsident sei „bei seinen Falsch-Angaben rekordverdächtig“, feixte auch der Landtagsabgeordnete Klaus Tischendorf. Jeder andere Landesbeschäftigte wäre bei einer solchen falschen Beantwortung „hochkant rausgeflogen“. „Es kann nicht sein, dass Sachsen ausgerechnet zur Zeit des Gedenkens an das Jahr der friedlichen Revolution von einem Mann repräsentiert wird, der ganz von der Verteidigung seiner persönlichen Lebenslügen in Beschlag genommen wird“, so Tischendorf.

Unterdessen wies CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer die neuen Vorwürfe gegen Tillich als „Kampagne“ zurück.
Von Annette Binninger

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: