Plenum des Sächsischen Landtags, 14.03.2002
Schommers Wirtschaftspolitik mit der Wünschelrute
Fehlende Konzepte für Sachsens arme Regionen
(TOP 6 Große Anfrage der PDS: Vergleich der künftigen Ziele und bisherigen Ergebnisse in den Gebieten mit besonderen Entwicklungsaufgaben DS 3-5395)
Anrede!
Es gibt Sachen, die glaubt man selbst dann nicht, wenn man sie schwarz auf weiss vor sich hat. So kann man in der Großen Beantwortung lesen: "Es gibt kein GmbE-Konzept". Aber schön, dass es wenigstens "Leitlinien zur Arbeit" in den Gebieten mit besonderen Entwicklungsaufgaben gibt.
Liebe Kollegen von der CDU, wo bleibt denn das schon vor zwei Jahren angekündigte Konzept zur Förderung der Lausitz? Ich sehe davon nichts.(möglicherweise gibt es aber auch Irritationen über das schwierige Wort Konzept, dessen allgemeingültige Duden-Definition schon beim Amigo-Brief Heinz Barth von Kurt Biedenkopf auf den Kopf gestellt wurde.)
Aber mit geschlossenen Augen kann man natürlich nicht sehen, dass die Gewerbesteuereinnahmen in der Lausitz nur etwa halb so hoch wie im Freistaat insgesamt sind. Es gibt eine signifikante Lücke von Betrieben mit mehr als 500 Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe. Aber auch darüber hinaus gibt es eine Unternehmenslücke die Betriebesdichte liegt mit 54 Betrieben je 100.000 Einwohnern deutlich unter dem sächsischen Durchschnitt .
Auch die stark variierenden Löhne sind typisch für die Gebiete mit besonderen Entwicklungsaufgaben. So sind im Erzgebirge teilweise die geringsten Einkommen deutschlandweit zu verzeichnen und im Landkreis Löbau-Zittau liegt der durchschnittliche Bruttostundenlohn fast 1,5 €, d.h. bald 10 % unter dem sächsischen Durchschnitt.
Da ist es fast schon eine Katastrophe, wenn – wie jetzt bekannt wurde - eines der wenigen großen Unternehmen (300 Mitarbeiter) nämlich Görlitz Fleece aufgrund der Insolvenz der amerikanischen Mutterfirma ins Straucheln gerät. Ich fordere deshalb an dieser Stelle, dass sich der scheidende Wirtschaftsminister für das Unternehmen einsetzt. Herr Schommer, kümmern Sie sich um die Arbeitsplätze, die Menschen dort brauchen eine Perspektive.
Auf mehreren Seiten Ihrer großen Antwort können wir lesen, dass gebietsbezogene Statistiken nicht existieren. Sodass man zur entsprechenden Frage nicht Stellung nehmen kann. Ich verstehe ja sehr gut, dass Ihnen die Wirklichkeit in den GmbEs nicht in Ihr schönes Bild von Sachsen passt. Nur meine regierenden Damen und Herren den Fakten können Sie nicht entkommen. Sie tragen heute die Verantwortung für die schlechte Wirklichkeit und niemand anderes.
Nachdem jahrelang die Diskussion über die Massenabwanderung der Sachsen als Schlechtreden bewertet und z. B. meine Warnung, dass Sachsen in seinen vergessenen, armen Regionen ausblutet mit „der Nolle hat eine Rad ab“ beantwortet wurde, spricht inzwischen sogar der designierte MP Milbradt vom zunehmenden Problem der Abwanderung und von der mit den armen Regionen Portugals und Griechenlands vergleichbaren viel zu niedrigen Wirtschaftskraft der GmbEs.
In den peripheren Regionen Sachsens hat sich der Abwanderungstrend in den letzten Jahren deutlich verschärft. Lag der Wanderungssaldo für die Periphere 1996 noch bei –2 Personen pro 1.000 Einwohner, liegt er 2000 bei einem Wert von –11.
Die Abwanderung hat sich während Ihrer Regierungverantwortung mehr als verfünffacht.
2/3 der Wanderer sind zwischen 16 und 34 Jahre alt. Dabei erfolgt der Wegzug vor allem in die alten Bundesländer. Hinzu kommt eine in letzter Zeit zunehmende Wanderung in die sächsischen Großstädte. Immerhin bleiben die Menschen damit in Sachsen. Gottseidank haben die sächsischen Großstädte, von denen Sie ja keine mehr regieren, außer beim Eisvogel in Zwickau, diese Großstädte haben offenbar erheblich an Attraktivität für die Peripherie gewonnen, wenngleich die alten Bundesländer in weit höherem Maße Ziel von Abwanderung sind. Und da muss man schon mehr machen, als Briefe schreiben. Vielleicht sollte der MP mal an sich selber schreiben, oder schreiben lassen.
Die Bevölkerungsentwicklung – und dazu gehören auch die niedrigen Geburtenzahlen – schlägt sich in allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens wider. Dadurch und die damit einhergehende Alterung der Gesellschaft sind insbesondere die sowieso schon benachteiligten, peripheren und strukturschwachen Regionen betroffen. Die sozialen Beziehungen und die öffentliche Infrastruktur sind hohen Verwerfungen ausgesetzt. Ich will beispielhaft einige Folgen der dargestellten Bevölkerungsentwicklung benennen:
Steuern, Zuwendungen und Fördermittel werden in vielen Fällen nach Köpfen
verteilt. Sinkende Bevölkerungszahlen führen eben zu sinkenden finanziellen Mitteln.
Durch die rückläufige Bevölkerungsentwicklung steigen umgekehrt dann die Kosten pro Kopf für öffentliche Dienstleistungen. Dies führt zu steigenden Gebühren, die gleichzeitig immer weniger Zahlern aufgebürdet werden. In der Folge werden sich die sächsischen Kommunen noch weiter verschulden müssen, obwohl Sachsen hierbei schon bundesweit an der kommunalen Verschuldungsspitze fährt.
Weniger Kinder bedeuten aber auch weniger Kindereinrichtungen, weniger Schüler und damit weniger Schulen. Das heißt aber auch, es fallen soziale Zentren in den peripheren Gebieten weg. Ähnliche Szenarien ergeben sich für Postämter, Sparkassen, Sportplätze, Schwimmbäder, für den öffentlichen Personennah- und den Fernverkehr. Regionale Wirtschaftskreisläufe brechen zusammen oder haben keine Chance mehr wieder zu gesunden.
Und noch eine Perspektive - im Jahr 2000 lag die Soziallastquote in Sachsen bei 446. Das heisst 1000 Menschen im erwerbstätigen Alter müssen 446 junge und alte Menschen unter 15 und über 65 Jahren versorgen.
Im Jahre 2015 werden aus den 446 Personen dann 523, die versorgt werden müssen, d.h. eine Steigerung von 17 %. Das wird erhebliche soziale Verwerfungen und absehbar fast unlösbare wirtschaftliche Probleme geben – und diese Soziallastquote ist kurzfristig nicht zu verändern !
Schrumpfende Bevölkerung heißt aber auch, weniger Arbeitskräfte. Schon heute macht sich gravierender Facharbeitermangel in einigen Branchen bemerkbar. Damit einher geht die wohl verheerendste Konsequenz der Abwanderung junger, gut ausgebildeter Menschen - das Innovations- und Entwicklungspotential Sachsens sinkt rapide.
Diese Entwicklung ist der Wahnsinn - Unsere Eliten gehen weg aus Sachsen. Seit 1997 hat sich die Struktur der Wanderung gravierend verändert.
Inzwischen sind 47 % der Erwerbs-Personen, die in den Westen gehen Abiturienten oder Fachhochschulabsoventen gegenüber einem Normalanteil von 17 % an der Gesamtbe-völkerung.
Das bedeutet für Sachsen – Humankapital-vernichtung, unsere gesellschaftlichen Investitionen in Kindergarten, Bildung und Ausbildung sind für die Katze.
Das Land erleidet weitere massive Einbußen seiner Wettbewerbsfähigkeit. Insbesondere die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze wird dadurch erschwert. Wie lange wollen Sie noch den Kopf in den Sand stecken, meine Damen und Herren von der CDU, vor dieser aufziehenden Katastrophe ?
Welche Perspektiven bieten denn die von Ihnen – Herr Minister Schommer – so gerne genannten Call-Center in der Lausitz. Diese bieten eben keine hochqualifizierten Arbeitsplätze. Den Investoren ist es nur wichtig, dass die Arbeitskräfte kein zu breites Sächsisch sprechen und sie die Höchstförderung mitnehmen können, die Sie Ihnen nachwerfen.
Deshalb fordere ich Sie, werte CDU-Kollegen auf, machen Sie Ihrer Regierung endlich Beine. Die Lage in den peripheren Regionen Sachsen ist dramatisch. Tun Sie endlich was, damit es dort wieder Perspektiven für die Menschen gibt.
Was wir brauchen ist eine intakte Infrastruktur. Und von der sind wir noch meilenweit entfernt. Und nur mit Spaßbädern locken wir noch keine Investoren an.
Denn eher geht diese Regierungsmehrheit baden, als dass wir in Sachsen Probleme gelöst und nicht schön geredet bekommen.
Mal sehen, wie das ein neuer Ministerpräsident, geregelt kriegt, den ein Drittel der eigenen Leute nicht ausstehen kann.
Sie, Herr Minister, haben es versäumt, für den nötigen Planungsvorlauf zu sorgen. Sie haben nur schön angemeldet für den Verkehrswegeplan in Berlin, ohne Ihre eigenen Hausaufgaben zu machen. Keine Prioritätensetzung, keine Vorplanung. Nichts. Immer holper di stolper.
Die Unternehmen im Erzgebirge brauchen endlich vernünftige Verbindungen an die Autobahnen.
Wann haben Sie denn zum letzten Mal mit den Unternehmern aus dem Erzgebirge gesprochen? Die können Ihnen genau sagen, welche Staats- und Kreisstraßen, welche Bundesstraßen immer wieder versprochen aber nie gehalten werden. Es wird wirklich Zeit, dass Sie gehen. Dann muss Ihr Nachfolger diese Sachsen endlich in Ordnung bringen. -
Anrede!
Das die bisherige Wirtschaftsförderung in den benachteiligten Regionen versagt hat, zeigt sich beispielsweise in Ihrer Antwort, dass hier nur 33% an offenen Stellen im Vergleich zum Gesamtbedarf der Wirtschaft zu finden sind.
Und wenn wir die Chancen der EU-Osterweiterung nutzen wollen, muss die Landesregierung aktiv sein und nicht jammern. Denn schon die Schaffung eines grenzüber-schreitenden Gewerbegebietes in der Oberlausitz scheint eine zu große Aufgabe für das sächsische Wirtschaftsministerium zu sein. (Wirtschaftsausschuss 08.03.02; Schommer: Das Projekt ist gescheitert, weil die Tschechen sich nicht genügend eingesetzt haben)
Da möchte ich mir nicht vorstellen, wie mit geöffneten Grenzen umgegangen werden wird. Damit verkehrt sich die Chance der Heraus-bildung leistungsfähiger, grenzüberschreitender Wirtschaftsstrukturen im Vorfeld der weiteren Öffnung des Marktes (GA S. 19) in ihr Gegenteil.
Und dann schauen Sie sich die Wirtschaftsförderung Sachsen an. Aufgrund von 642 Standortangeboten der Wirtschaftsförderung Sachsen in dem GmbEs resultieren 21 Ansiedlungen seit 1997. Jede dieser 21 Ansiedelungen ist nötig. Aber ein positves politisches Gesamtergebnis ist das nicht, Herr Minister. Mit wie viel weniger Resonanz haben Sie denn gerechnet, frage ich Sie?
Dieses Ergebnis ist mehr als traurig. Es bestätigt eigentlich eher meinen Eindruck, dass die WFS nur bei Großprojekten renommierter Unternehmen wirklich aktiv wird.
Das bestärkt doch den Eindruck, den der Sächsische Mittelstand schon lange hat:
„Um die Großen Konzerne kümmert sich
der Freistaat um den Mittelstand der Konkursverwalter“
Anrede!
Lassen Sie mich mit einem Zitat beenden:
„Wer allein die A 4 und das Festival Dreiklang als Initialzündung für den wirtschaftlichen Aufschwung der Region ansieht, verschließt die Augen vor der Wirklichkeit.“
Herr Minister Schommer, Herr designierter MP Milbradt, nehmen Sie sich diese Worte Ihres Kollegen Schiemann zu Herzen.
Machen Sie endlich eine Politik die sagt, was ist und nicht schön redet. Eine Politik für die Menschen und nicht nur für Amigos.
Denn Ihre Politik, die die Menschen aus dem Land treibt, ist eine schlechte Politik.