Kulturpalast Dresden, 19:00 Uhr, 16.03.2005
Brauchen wir einen neuen "Sozialen Patriotismus"?
Veranstaltung der Friedrich Ebert Stiftung Dresden, FES, mit Prof. Rudolf Hickel, Bremen, Karl Nolle und Ralf Hron, Dresden
Anrede
Lassen Sie mich als Unternehmer einige, vielleicht provokante Gedanken zur sozialen Verantwortung und zu Werten sprechen, die heute, wie mir scheint, in Vergessenheit zu geraten drohen.
Bei allen notwendigen Veränderungen und dem Abschneiden alter Zöpfe, müssen wir einen Weg gehen zu einer Gesellschaft, in der es einen ständigem Austausch von Alt und Neu gibt, in der die nachhaltige Konsolidierung und Stabilität unserer Unternehmen und die Sicherheit der sozialen Lebensgrundlagen unserer Menschen zu einem Wesensmerkmal wird.
Diese Sicherheit ist ein entscheidender Produktivitätsfaktor. Sie ist m.E. für die Zukunft nicht gewährleistet. Damit Infrage gestellt ist die wesentliche Grundlage unserer sozialen Marktwirtschaft.
„Das als neoliberale Programm getarnte Trommelfeuer auf den Sozialstaat ist von ergreifender Banalität“, sagt Norbert Blüm und weiter „ dessen Credo läßt sich auf Dogmen reduzieren, die selbst ein Papagei verkünden kann, wenn er zwei Worte auswendig lernte: Kostensenkung und Deregulierung.“
Auch ich halte es für eine eklante Fehldiagnose, der Bierdeckelstrategen, unseren Sozialstaat ausschließlich als Kostenfaktor und Wachstumsbremse und nicht als wichtigen Produktivitätsfaktor zu erkennen.
Ich stimme Friedhelm Hengsbach, dem führenden Vertreter der christlichen Soziallehre und Professor für Wirtschafts- und Gesellschaftsetik aus Frankfurt zu, wenn er in seinem vor wenigen Tagen erschienen Buch „Das Reformspektakel“ sagt:
„Kern jeder Wirtschaft und jeder Gesellschaft bleibt der Mensch. Ökonomie und Wachstum ist nicht alles, Marktregeln sind von Menschen gemacht und nach gesellschaftlichen Maßstäben zu beurteilen.“
Reform - das halte ich für ein ausgeleiertes Wort, wenn man sich die grundlegende Aufgabe ansieht, vor der die heutige Politik steht, egal wer regiert. Denn es geht nicht um eine neue Variation misslicher Zustände, nicht um das Recyceln vergangener Reformen. Es geht um nicht weniger als um die Zukunft unserer sozialen Demokratie in Zeiten gewaltiger Staatsverschuldung.
Die Politik benimmt sich seit Jahren bei der Reform des Sozialstaats wie ein tapsiger Lehrling bei der Reparatur eines wackeligen Tisches: Es wird einmal da und dann wieder dort an einem Fuß ein Stück abgesägt; und die Sägerei reihum nimmt kein Ende mehr. Der Tisch aber bleibt wackelig, und seine Beine werden immer kürzer.
Aber, meine Damen und Herren,
nicht die Polizei und nicht die Justiz waren jahrzehnte-lang Garant des inneren Friedens in diesem Land; nicht Strafrechtsparagrafen und nicht Sicherheitspakete haben für innere Sicherheit gesorgt.
Garant für den inneren Frieden in diesem Land war der Sozialstaat. Er war das Fundament der Prosperität, er war die Geschäftsgrundlage für gute Geschäfte und er verband politische Moral und ökonomischen Erfolg.
Wer den Sozialstaat jetzt notschlachten lässt, um das Futter zu sparen, der beendet den inneren Frieden.
Wer ihn aber einfach in dem maladen Zustand belässt, in dem er sich jetzt befindet, der gefährdet den inneren Frieden auch.
Zumutungen, die man einem 30-Jährigen auferlegen kann, können für einen, der mit 55 Jahren schon ein langes Arbeitsleben hinter sich hat, unzumutbar sein.
Eine Reform verliert das Fairness-Siegel, wenn sie Rechtschaffenheit derart bestraft. Und sie verdient das Siegel von vornherein nicht, wenn sie ihre Zumutungen einseitig nur den abhängig Beschäftigten auferlegt.
Zur Reformakzeptanz gehört selbstverständlich das Gefühl, dass es dabei gerecht zugeht. Verteilungs-gerechtigkeit ist nicht nur dann ein wichtiges Prinzip, wenn der Staat etwas gibt, sondern auch dann, wenn er etwas nimmt und wenn er Opfer fordert.
Unser Sozialstaat hat eine Erfolgsgeschichte hinter sich. Er hat zunächst dafür gesorgt, dass Kriegsinvalide und Flüchtlinge einigermaßen leben konnten. Dann hat er dafür gesorgt, dass auch die Rentner etwas vom Wirtschaftswunder hatten. Er hat dafür gesorgt, dass auch ein Kind aus einfachen Verhältnissen studieren konnte und heute Bundeskanzler sein kann.
Der Sozialstaat war eine Art persönlicher Schutzengel für jeden Einzelnen. Ihn heute verächtlich zu machen, ist nicht Ausdruck von cooler Selbstverantwortung, sondern von Überheblichkeit und Dummheit. Er kümmerte sich in dem Maße, in dem der Wohlstand in Deutschland wuchs, nicht nur um das blanke Überleben von Bürgern, sondern um ihre Lebensqualität. 'Teilhabe" nannte man das in den siebziger Jahren.
Ohne den Sozialstaat hätte es nicht nur einmal gekracht in dieser Republik; der Sozialstaat hat soziale Gegensätze entschärft.
Ohne Sozialstaat könnte man heute nicht auf immer noch ziemlich hohem Niveau darüber klagen, dass es diesem Land schon einmal besser ging.
Ohne den Sozialstaat hätte es wohl keine deutsche Einheit gegeben.
Aber ohne die Einheit, die von den Sicherungssystemen finanziert wurde, wäre der Sozialstaat auch nicht so in Schwierigkeiten geraten.
Der Sozialstaats braucht neue Kraft, er braucht eine Therapie, eine Generalüberholung und Stärkung, nicht ein Insolvenzverfahren.
Anrede
Unsere Gesellschaft wird von mehr zusammengehalten als nur von der Summe der Betriebswirtschaften, so wichtig die Betriebswirtschaften auch sind. An der Stelle denke ich vielleicht sehr konservativ.
Als Immanuel Kant, dessen 200. Todestag wir im letzten Jahr gedachten, in der „Kritik der reinen Vernunft“ die Grundfragen der Philosophie aufführte:
Was kann ich wissen?
Was soll ich tun?
Was darf ich hoffen?
fehlte die vierte Frage, die er in seinen „Vorlesungen zur Metaphysik" formuliert hatte:
Was ist der Mensch?
Kant hat sehr viel über den Menschen und die Unwiederholbarkeit seiner Persönlichkeit ausgedrückt.
Würde hat keinen Preis, sagt er.
Alles andere in der Welt hat einen Preis,nur der Mensch hat Würde.
Nicht Vernunft unterscheidet den Menschen von allen übrigen Lebewesen, sondern seine Autonomiefähigkeit und seine Würde.
Vielleicht sollten wir als Unternehmer und Manager, die wir von Globalisierungsgesetzen und Verantwortung sprechen, uns eine der entscheidenden Formulierungen des Kategorischen Imperativs zu Herzen nehmen.
„Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest."
Mit Preisen, Tauschwerten und Äquivalenten haben wir es ja Tag und Nacht zu tun. Aber es wird immer dringender, auch über das nachzudenken, was Achtung und Anerkennung für unser gesellschaftliches und individuelles Wohlergehen bedeuten.
Ich bin mir sicher, das sind keine abstrakten Gedanken, die ich hier äußere.
Arbeit und menschliche Würde ist ein zentrales Thema geblieben, und menschenwürdige Arbeit wird nach wie vor in der Werteskala der Wünsche und Träume der Menschen sehr hoch angesetzt.
Fragt man heute unter erwachsenen Erwerbstätigen, was die Qualität von Arbeit, von guter Arbeit, auszeichnet, ist unter den ersten zehn Punkten alles mögliche zu finden.
Aber Geld steht erst an siebenter Stelle.
74 % der Befragten geben dagegen an:
„Ich will bei der Arbeit wie ein Mensch behandelt und als Person geachtet werden."
Meine Damen und Herren,
Anerkennung, Achtung, Würde –
das hat eben keinen Preis.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.