Hotel Kaiserhof Radeberg, SPD-Unterbezirksparteitag, 10.09.2005
Sind unsere Sozialdemokratischen Grundwerte nicht mehr zeitgemäß?
"Es wird sich als geschichtlicher Irrtum erweisen, den demokratischen Sozialismus als überholt abtun zu wollen."
Karl Nolle, MdL: Rede auf dem öffentlichen Wahlforum des SPD Unterbezirksparteitages Lausitz am 10.9.05 in Radeberg.
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Anrede
Laßt mich am Anfang meiner Rede zwei Gedanken von Willy Brandt stellen, die er im September 1991, zwei Jahre nach der friedlichen Revolution gegenüber der Frankfurter Rundschau entwickelte:
"Es wird sich als geschichtlicher Irrtum erweisen, das dem demokratischen Sozialismus zugrundeliegende Ideal - die Zusammenfügung von Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität - als überholt abtun zu wollen.
Manche werden sich noch wundern, als wie abwegig sich ihre Grabgesänge erweisen."
und von Willy Brandt stammt auch das Zitat:
"Der Klassenkampf hat nicht etwa deshalb aufgehört, weil wir ihn anders bezeichnen."
Anrede
Ich möchte heute die Gelegenheit nutzen, um angesichts Sozialer Kälte, weiterer Umverteilung von unten nach Oben, und der angekündigten Abschaffung zentraler Arbeitnehmerrechte in Deutschland, die wir unter einer Regierung schwarz/Gelb befürchten müssen, an unsere politischen, ethischen und moralischen Grundwerte erinnern, für die es sich lohnt entschlossen gegen die schwarz/gelbe, rückwärtsgewandte, Truppe zu kämpfen.
Dabei werde ich mich auch auf eine Reihe von klugen Leuten stützen, die pointiert zu dem Thema, wie ich finde, wichtige Aussagen gemacht haben.
Die große alte liberale Dame des deutschen Journalismus, Marion Gräfin Dönhoff, schrieb 1990 in der Wochenzeitschrift die ZEIT:
"Die Niederlage des Marxismus bedeutet nicht den Triumph des Kapitalismus. Gescheitert ist er als wirtschaftliches System, nicht aber als Utopie, als Summe uralter Menschheitsideale: Soziale Gerechtigkeit, Solidarität, Freiheit für die Unterdrückten, Hilfe für die Schwachen. Damit ist er unvergänglich."
Und mit meinen Worten gesagt:
Wenn neben Ihnen jemand tot umfällt, ist das nicht der Beweis, daß Sie selber gesund sind.
Das Scheitern des Kommunismus und die Erfolge der friedlichen Revolution von 1989 bedeuten nicht den Sieg des Kapitalismus.
Ich halte es für einen verhängnisvollen Irrtum dies zu glauben.
Der Kampf für mehr Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft, ihr dringender Reformbedarf, hat nicht mit dem 9. November 1989 geendet, als könnten wir nun die Hände in den Schoß legen mit der Gewissheit, alles andere regele der Markt.
Adam Schmith, der gerne als oberste Instanz der Volkswirtschaftler anrufen wird, sagte 1776:
„Das Interesse der Kaufleute in Handel und Gewerbe weicht aber in mancher Hinsicht stets vom öffentlichen ab, gelegendlich steht es ihm auch entgegen.“
Was für ein Aufheulen bei den Neoliberalen Ideologen in unserem Lande als Franz Müntefering vor einigen Monaten Wochen sagte:
„Manche Finanzinvestoren verschwenden keinen Gedanken an die Menschen, deren Arbeitsplätze sie vernichten. Sie bleiben anonym, haben keinen Gesicht, fallen wie die Heuschreckenschwärme über die Unternehmen her und ziehen weiter.“
Brennende Barrikaden, der Geruch angebrannten Mittagessens, Chaos in den Talkshows und blankes Entsetzen bei den Pharisähern, die bei jeder antikapitalistischen Enzyklika, der obersten Kirchenmänner sonntags glänzende Augen kriegen, herrschte nach diesen Sätzen.
Und ich bin mir sicher, auch Papst Benedikt wird die kapitalistische Ausbeutung ebenso geißeln.
Aber es paßt nicht zusammen, was sonntags in den Höhen der Kirche an berechtigten Mahnungen von der Kanzel kommen und das, was führende Christdemokraten, wie zum Beispiel Georg Milbrandt, dann werktags in den Ebenen eines Parteitages von Bad Düben daraus machen wenn sie sagen, Münteferings Kritik an den negativen Auswüchsen der sozialen Marktwirtschaft seien, Zitat:
„ Parolen aus dem Karl Marx Museum und seit 1989 abgeschafft.“
Getoppt wird das allerdings noch Weisheiten des CDU-Generals, der treuen Stimme seines Herren. Der auf der selben Veranstaltung erklärte:
„Wir als Union wissen, wofür wir stehen. Nicht für Sozialismus, nicht für Nationalismus und auch nicht für Kapitalismus. Wir stehen für Freiheit.“
Man höre und staune der hochgelobte junge Mann im Generalssekretärsrang steht nicht für Kapitalismus. Ob er da seinen Landesvorsitzenden richtig verstanden hat?
So unterschiedlich die Wurzeln unserer sozialen Marktwirtschaft sind, die Bergpredigt, die Aufklärung, Kants Kathegorischen Imperativ, sein Satz „Würde hat keinen Preis“, das kommunistischen Manifest, das Ahlener- und das Godesberger Programm von CDU und SPD, viele liberale Wurzeln, sie alle sind als grundlegende Werte und je unterschiedlich, in den Inhalt sozialer Marktwirtschaft eingegangen. Für die Väter unseres Grundgesetzes, war es besonders wichtig, die Sozialbindung des Eigentums im Grundgesetz festzuschreiben.
Denn die Wirtschaft muß dem Menschen dienen und nicht die Menschen der Wirtschaft.
Für die CDU ist Müntefering – Mottenkiste. Das dies so für den Bundesverband der deutschen Industrie so ist verstehe ich ja.
Für Sachsen und seine Menschen wäre es allerdings besser, die sächsischen Christdemokraten verstünden von Moral in der Wirtschaft und eigentlich ihrer eigenen christlichen Soziallehre mehr.
Ist es denn falsch, wenn der Jesuit und Sozialethiker Friedhelm Hengstbach, bekanntester Vertreter der katholischen Soziallehre, zu Münteferings Kritik am Kapitalismus sagt:
„Das ist doch viel harmloser als das, was die vergangenen Päpste seit 50 Jahren gegen-über dem kapitalistischen Wirtschafts-system geäußert haben.“
Auch Kardinal Lehmann meinte dazu unmißverständlich:
„Der Sozialstaat ist eine kulturelle Errungenschaft. Das Konzept der Balance zwischen wirtschaftlicher Freiheit und sozialem Ausgleich in Deutschland ist erfolgreich.
- Ohne Tugenden funktioniert die Wirtschaft nicht.
- Die aber sieht die neoliberale Nationalökonomie heute oft als Balast.
- Für uns ist Moral die Grundlage für alles Wirtschaften.“
Dies als Mottenkiste zu bezeichnen, sollte man selbst auf Parteitagen nicht tun. Ich denke die Sächsische Union könnte besser - wenn sie wollte und sich ihrer Tradition christlicher Soziallehre erinnerte.
Anrede
Nach den Kirchenmännern, die ich eben zitierte, nun einige politische Stimmen:
Der Arbeitnehmerflügel der Union und der stellvertr. CSU Vorsitzende Horst Seehofer fordern eine Wertedebatte in ihrer Partei.
Seehofer sagt: „um nicht dem neoliberalen Zeitgeist zu erliegen, der den Sozialstaat zurückschneiden will. Denn es geht um die zentrale Fragestellung: Wohlstand für alle oder Armut für viele.“
Ex-Arbeitsminister Blüm meinte zur Müntefering Rede: „Er hat recht. Die neoliberalen Yuppies verwüsten unsere partnerschaftliche Unternehmenskultur. Sie degradieren Arbeitnehmer zu Spielmaterial.“
Und Ex-CDU-Generalsekretär Heiner Geißler warnte: „Diese weltweit operierenden Unternehmen können genauso frei agieren wie die Mafia, die Drogendealer, die Terroristen. Der Kapitalismus ist genauso falsch wie der Kommunismus. Aber im Moment ist der Anarchokapitalismus, dieser neu entstandene Frühkapitalismus die dominierende Ideologie.“
Besonders tat sich Frau Merkel hervor, in dem sie messerscharf folgerte und sie ist sich da mit ihrem sächsischen Landesvorsitzenden einig:
„Wenn Müntefering es ernst meinte, dann dürften die Unternehmenssteuern jetzt nicht gesenkt werden. Außerdem müsse Rot/Grün dann sofort Hartz 4 stoppen.“
Also - der CDU-Chef in Sachsen sagt „Mottenkiste Karl Marx“ und wer den Kapitalismus kritisiert, darf keine Unternehmenssteuern senken und seine Bundesvorsitzende fügt noch hinzu, wer gegen den Kapitalismus ist, muß sofort Hartz 4 stoppen und der sächsische Junior-General erklärt, die sächsische CDU steht nicht für Kapitalismus sondern für Freiheit.
Also mal ehrlich, kann man das logisch nachvollziehen?
Die CDU will keine Unternehmenssteuern senken und sie will Hartz 4 stoppen, weil sie gegen den Kapitalismus steht.
- Alles klar?
Ich sage mit Wolfgang Lieb:
“Dem vorherrschenden marktradikalen Dogma entsprechend, ist es in den vergangenen Jahren üblich geworden, den Markt und den Wettbewerb zu idealisieren und den Staat als unfähigen, bürokratischen Moloch zu beschimpfen. Rückführung der staatlichen Aufgaben, vor allem im Bereich der Daseinsvorsorge, Senkung der Staatsquote und Steuern, Privatisierung, Deregulierung und Entstaatlichung sind zu gängigen Parolen in Politik und Medien geworden.
Tatsächlich hat Müntefering nur gesagt, was jeder im Grundgesetz nachlesen kann: Dass unser Staat ein Rechtsstaat und ein Sozialstaat sein sollte.
Er hat die kaum bestreitbaren “International forcierten Profit-Maximierungsstrategien" und die "international wachsende Macht des Kapitals" als eine Gefahr für die Demokratie kritisiert.
Er hat nicht behauptet, man könne alle Unternehmen über einen Kamm scheren.
Und er hat darüber hinaus die Agenda-Politik verteidigt, wenn er die soziale Sicherung über einen Mix aus Beiträgen, Steuern und individueller, privater Vorsorge finanzieren will.
Eigentlich nichts Neues also !
Weder hat er eine aktivere Rolle des Staates in der Konjunktur- und Finanzpolitik gefordert, noch eine gerechtere Verteilung des Volksvermögens, weder eine produktivitäts-orientierte Lohnpolitik noch den Stop von Unternehmenssteuer-Senkungen angemahnt.
Müntefering hat lediglich warnend auf die Macht des Kapitals hingewiesen, die in mancher Ausprägung zu einer Gefahr für unsere Demokratie geworden ist und er hat das Grundgesetz verteidigt.
Das genügt schon inzwischen in Deutschland, um sich den Vorwurf von "Klassenkampf" (Spiegel) oder "Kriegsrhetorik" (Süddeutsche Zeitung) , “der muß in eine Gummizelle” (Wirtschaftswoche) oder “Karl-Marx- Mottenkiste” (Milbradt) einzufangen.
Aber stimmt es nicht, wenn Müntefering sagt:
"Sie fordern den schlanken Staat und wären doch nicht böse, wenn er denn verhungerte. Ja, sie legen es darauf an.”
Die prompten Reaktionen etwa von Arbeitgeberpräsident Hundt und Ifo-Chef Sinn, Sachsens verdienstvollsten Berater, zeigen, wie degeneriert, wie jammervoll auf den Hund gekommen, die öffentliche Debatte inzwischen ist.
Anrede
Die Aufregungen, die Münteferings Thesen bei einem Teil unserer Eliten auslösten, lassen ja fast vermuten, dass sie von völlig unerwarteten Enthüllungen überrascht wurden, und der neuen Erkenntnis, dass in unserem ordentlichen Sozialstaat böse Kräfte tätig sind, mit Gier Ausbeutung und Profitdenken.
Oder, dass sich, wie es Magnus Enzensberger formulierte, „hinter dem Tarnbegriff Wirtschaft in Wirklichkeit der schiere Kapitalismus verberge“, der sich mit gefährlichem Wettbewerb und ungezügelter Globalisierung breit gemacht habe.
Wie konnte dies alles hinter dem Rücken von Regierung und wachsamen Parlamenten passieren.
Nun mal ehrlich, Genossinnen und Genossen, sind das nun wirklich so ungeheuerliche Enthüllungen oder nur der Sturm im Wasserglas unserer Talkshow Demokratie?
Jedem modernem Unternehmer und das sage ich auch als Arbeitgeberverbandvorsitzender der Druckindustrie in Sachsen, Thürigen und Sachsen-Anhalt, muß doch klar sein:
Die Entwicklung von technischer und Humanproduktivität sowie die konsequente Hebung aller stillen Produktivitätsreserven ist unsere ständige und wichtigste Aufgabe, um trotz gegebenen Preise wirtschaftlich zu arbeiten.
Wir müssen wissen, dass die größten Reserven in uns selber liegen. Sie zu erkennen und zu heben ist unsere wichtigste Aufgabe.
Hier sind vor allem unsere Mitarbeiter gefragt, ihre Motivation, ihr Engagement, ihre Erfahrung.
Sie zu loben, sie zu belohnen, sie einfach als Menschen zu behandeln und anzuerkennen, das schafft und sichert dauerhaft, die höchste Produk-tivität und die beste Qualität, die wir brauchen.
Ich sage hier noch einmal mit den Worten des ehemaligen Vorstandvorsitzenden von VW, Heinrich Nordhoff, am Beginn der sozialen Marktwirtschaft 1951:
„Der Wert unserer Unternehmen, das sind nicht unsere Bankkonten, nicht unsere Häuser und nicht die Maschinen. Der Wert unserer Unternehmen sind die Menschen, die darin arbeiten und der Geist, in dem sie es tun.“
Dies zu beherzigen zeichnet den modernen und sozialen Unternehmer aus. Dies sichert uns Gewinn für unsere Unternehmen, dies sichert uns Wohlfahrt für unsere Familien und unsere Mitarbeiter.
In diesem Sinne stimme ich auch Porsche-Chef Wendelin Wiedekind zu, wenn er sagt:
“Ich verstehe die These überhaupt nicht, Arbeitsplätze seien in Deutschland zu teuer, und neue könnten nur noch im Ausland entstehen.
Die Lohnkosten sind doch wirklich nicht das eigentliche Problem in diesem Land.
Wir führen die falschen Diskussionen in diesem Zusammenhang. Es gibt ja Leute, die behaupten, der Standort Deutschland könne seine Spitzenposition im globalen Wettbewerb durch Lohn- und Sozial-dumping absichern. Die aber befinden sich ganz bestimmt auf dem Holzweg. Ich sage Ihnen:
Wir verarmen, wenn wir asiatisch werden wollen.
Nicht nur weil wir mit den chinesischen Lohnkosten von (50 Cent die Stunde) niemals konkurrieren könnten, es wäre auch volkswirtschaftlicher Unsinn.
Mit welchem Geld soll der deutsche Arbeitnehmer denn dann konsumieren? “
Anrede
Wir brauchen eine Kultur der Freiheit und der Verantwortung, die für unsere soziale Demokratie unerlässlich ist.
Was uns die CDU/FDP alles aufgetischt wird unter dem Vorzeichen von Freiräumen und Experimentierklauseln ist nicht modern sondern der Modder des Frühkapitalismus.
Ich habe noch nie - in dreißig Jahren Praxis als Unternehmer - jemanden eingestellt und dabei gleich überlegt, wie ich ihn wieder loswerden kann.
Es ist doch lebensfremd und übele Demagogie etwas anderes zu sagen.
Die Behauptung, das Schleifen von Arbeitnehmerrechten sei der letzte Kick, den unsere Wirtschaft noch benötige, um wettbewerbsfähig zu werden, ist ein Hohn auf die Idee von Demokratie und das sage ich Euch als Unternehmer, ein kleinkarierter Verzicht auf die Optimierung betrieblicher und wirtschaftlicher Effizienz, deren Kern vor allem motivierte, zufriedene Mitarbeiter sind.
Anrede
die Regeln die Jahrzehnte die Erfolgsbedingungen für die deutsche Wirtschaft waren, sollen nun zu Experimentierklauseln werden?
Soziale Sicherheit zu einer Soziallotterie? Nein - Im Kern geht es doch um die Frage:
Ob die Menschen Subjekte im Mittelpunkt von Wirtschaft sind und sein können oder Objekte in der Los-Trommel eines großen Wirtschaftsspiels ?
Mit menschenwürdigen Arbeitsbedingungen, guter Infrastruktur, qualifizierten und motivierten Arbeitnehmern, tüchtigen und erfolgreichen Unternehmern, mit guter Bildung, die noch viel besser werden muß, mit innovativen Forschungseinrichtungen und mit hoher Lebensqualität hat unser Land, hat sich die Bundesrepublik, einen hervorragenden Platz im Vergleich zu anderen Ländern erarbeitet.
Das hat nicht zuletzt zu tun mit dem gutem Zusammenhalt in Gesellschaft und Wirtschaft.
Das hat auch zu tun mit sozialen Rechten, die sozialen Frieden sichern helfen, eben mit Sozialer Marktwirtschaft.
Die Idee der Sozialen Marktwirtschaft ist ein Gemeinschaftsprodukt von Konservativen, von katholischer Soziallehre, von Liberalen Denkern und der Sozialdemokratie.
Ihre Wurzeln liegen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Damals ist die Einsicht gewachsen, dass wirtschaftliche Kraft nicht durch plumpe Ausbeutung, sondern nur im sozialen Zusammenhalt wachsen kann und muss.
Soziale Marktwirtschaft heißt: Wohlstand für alle.
Nicht als Träumerei oder Heilsversprechen, aber als Ziel für das es sich zu streiten lohnt.
Alle sollen ein gerechtes, möglichst großes Stück vom Kuchen der gemeinsam erwirt-schafteten Werte abbekommen. Dafür muss der wirtschaftliche Erfolg möglichst groß sein.
Soziale Marktwirtschaft heißt: Arbeit
Denn nur Arbeit sichert Lebensunterhalt.
Arbeit ist Selbstbestätigung und manchmal auch Selbstverwirklichung. Sie muß zu fairen Bedingungen und zu fairen Löhnen getan werden können.
"Vorfahrt für Arbeit". oder: "Sozial ist was Arbeit schafft" - Dazu sage ich, das ist mir zu platt und es trifft nicht den Kern.
Es kann in Wirklichkeit doch nur um Vorfahrt für - menschenwürdige Arbeit gehen!
Und es geht in unserer Gesellschaft, davon bin ich zu tiefst überzeugt, vor allem um Würde, ein hoher Wert, vielleicht der höchste.
„Vorfahrt für Arbeit“ – Ja, die gerecht bezahlt wird und bei der lange erstrittene und bewährte Arbeitnehmerrechte nicht ausgehebelt werden.
"Vorfahrt für Arbeit" - das darf keine soziale Beruhigungsformel für die Rechtfertigung von Niedrigstlöhnen und die Zerschlagung von Arbeitnehmerrechten sein.
Anrede
Franz Müntefering hat recht wenn er sagt:
Die neoliberalen Ideologen fordern den schlanken Staat und wären doch nicht böse, wenn er verhungerte. Ja, sie legen es bewußt darauf an und leider haben sie in dieser Hinsicht schon einiges in den letzten Jahren erreicht.
Und ich füge hinzu, wir sollten es Ihnen mit aller macht schwer machen, das Rad der Geschichte zurückzudrehen.
Unsere Diskussion hat viel mit etwas offensichtlich ganz antiquiertem zu tun - mit Moral und Unternehmensethik.
Ich bin mir sicher, dass auch viele meiner Unternehmerkollegen das so sehen wie ich. Und dass ganz viele auch so handeln.
Wenn die Verantwortlichen in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft zu den Prinzipien Sozialer Marktwirtschaft nicht nur in Sonntagsreden und in Wahlkampfzeiten stehen, sind die Chancen gut für unser Land, gut für unsere Menschen, gut für unsere Unternehmen - und da bin ich ganz konservativ:
- gut für unsere menschliche Würde.
Es geht, und das sage ich gerade auch als Unternehmer, um sozialen Verantwortung und um Werte, die heute, wie mir scheint, in Vergessenheit zu geraten drohen, wenn wir Sozialdemokraten nicht immer wieder an sie erinnern.
Bei allen notwendigen Veränderungen und dem Abschneiden alter Zöpfe, müssen wir einen Weg gehen zu einer Gesellschaft, in der es einen ständigem Austausch von Alt und Neu gibt, in der die nachhaltige Konsolidierung und Stabilität unserer Unternehmen und die Sicherheit der sozialen Lebensgrundlagen unserer Menschen zu einem Wesensmerkmal wird.
Diese Sicherheit ist ein entscheidender Produktivitätsfaktor. Sie ist m.E. für die Zukunft nicht gewährleistet. Damit Infrage gestellt ist die wesentliche Grundlage unserer sozialen Marktwirtschaft.
„Das als neoliberale Programm getarnte Trommelfeuer auf den Sozialstaat ist von ergreifender Banalität“, sagt Norbert Blüm und weiter „dessen Credo läßt sich auf Dogmen reduzieren, die selbst ein Papagei verkünden kann, wenn er zwei Worte auswendig lernte: Kostensenkung und Deregulierung.“
Auch ich halte es für eine eklante Fehldiagnose, der Bierdeckelstrategen, unseren Sozialstaat ausschließlich als Kostenfaktor und Wachstumsbremse und nicht als wichtigen Produktivitätsfaktor zu erkennen.
Ich stimme dem bereit erwähnten Friedhelm Hengsbach, dem führenden Vertreter der christlichen Soziallehre und Professor für Wirtschafts- und Gesellschaftsetik aus Frankfurt zu, wenn er in seinem vor wenigen Tagen erschienen Buch „Das Reformspektakel“ sagt:
„Kern jeder Wirtschaft und jeder Gesellschaft bleibt der Mensch. Ökonomie und Wachstum ist nicht alles, Marktregeln sind von Menschen gemacht und nach gesellschaftlichen Maßstäben zu beurteilen.“
Reform - das halte ich für ein ausgeleiertes Wort, wenn man sich die grundlegende Aufgabe ansieht, vor der die heutige Politik steht, egal wer regiert. Denn es geht nicht um eine neue Variation misslicher Zustände, nicht um das Recyceln vergangener Reformen. Es geht um nicht weniger als um die Zukunft unserer sozialen Demokratie in Zeiten gewaltiger Staatsverschuldung.
Die Politik benimmt sich seit Jahrzehnten bei der Reform des Sozialstaats wie ein tapsiger Lehrling bei der Reparatur eines wackeligen Tisches: Es wird einmal da und dann wieder dort an einem Fuß ein Stück abgesägt; und die Sägerei reihum nimmt kein Ende mehr. Der Tisch aber bleibt wackelig, und seine Beine werden immer kürzer.
Aber, Genossinnen und Genossen, nicht die Polizei und nicht die Justiz waren jahrzehntelang Garant des inneren Friedens in diesem Land; nicht Strafrechtsparagrafen und nicht Sicherheitspakete haben für innere Sicherheit gesorgt.
Garant für den inneren Frieden in diesem Land war der Sozialstaat. Er war das Fundament der Prosperität, er war die Geschäftsgrundlage für gute Geschäfte und er verband politische Moral und ökonomischen Erfolg.
Wer den Sozialstaat jetzt notschlachten lässt, um das Futter zu sparen, der beendet den inneren Frieden.
Wer ihn aber einfach in dem maladen Zustand belässt, in dem er sich jetzt befindet, der gefährdet den inneren Frieden auch.
Zumutungen, die man einem 30-Jährigen auferlegen kann, können für einen, der mit 55 Jahren schon ein langes Arbeitsleben hinter sich hat, unzumutbar sein.
Eine Reform verliert das Fairness-Siegel, wenn sie Rechtschaffenheit derart bestraft. Und sie verdient das Siegel von vornherein nicht, wenn sie ihre Zumutungen einseitig nur den abhängig Beschäftigten auferlegt.
Ganz entscheidend ist, und das dürfen wir nie, auch nicht ansatzweise, im Interesse unserer Glaubwürdigkeit vergessen: Zur Reformakzeptanz gehört selbstverständlich das Gefühl, dass es dabei gerecht zugeht.
Verteilungsgerechtigkeit ist nicht nur dann ein wichtiges Prinzip, wenn der Staat etwas gibt, sondern auch dann, wenn er etwas nimmt und wenn er Opfer fordert.
Unser Sozialstaat hat eine Erfolgsgeschichte hinter sich. Er hat zunächst dafür gesorgt, dass Kriegsinvalide und Flüchtlinge einigermaßen leben konnten. Dann hat er dafür gesorgt, dass auch die Rentner etwas vom Wirtschaftswunder hatten. Er hat dafür gesorgt, dass auch ein Kind aus einfachen Verhältnissen studieren konnte und heute Bundeskanzler sein kann.
Der Sozialstaat war eine Art persönlicher Schutzengel für jeden Einzelnen. Ihn heute verächtlich zu machen, ist nicht Ausdruck von cooler Selbstverantwortung, sondern von Überheblichkeit und Dummheit. Er kümmerte sich in dem Maße, in dem der Wohlstand in Deutschland wuchs, nicht nur um das blanke Überleben von Bürgern, sondern um ihre Lebensqualität. "Teilhabe" nannte man das in den siebziger Jahren.
Ohne den Sozialstaat hätte es nicht nur einmal gekracht in dieser Republik; der Sozialstaat hat soziale Gegensätze entschärft.
Ohne Sozialstaat könnte man heute nicht auf immer noch ziemlich hohem Niveau darüber klagen, dass es diesem Land schon einmal besser ging.
Ohne den Sozialstaat hätte es wohl keine deutsche Einheit gegeben.
Aber ohne die Einheit, die von den Sicherungssystemen finanziert wurde, wäre der Sozialstaat auch nicht so in Schwierigkeiten geraten.
Der Sozialstaats braucht neue Kraft, er braucht eine Therapie, eine Generalüberholung und Stärkung, nicht ein Insolvenzverfahren.
Anrede
Unsere Gesellschaft wird von mehr zusammengehalten als nur von der Summe der Betriebswirtschaften, so wichtig die Betriebswirtschaften auch sind. An der Stelle denke ich vielleicht sehr konservativ.
Als Immanuel Kant, dessen 200. Todestag wir in diesem Jahr gedenken, in der „Kritik der reinen Vernunft“ die Grundfragen der Philosophie aufführte:
Was kann ich wissen?
Was soll ich tun?
Was darf ich hoffen?
fehlte die vierte Frage, die er in seinen „Vorlesungen zur Metaphysik" formuliert hatte:
Was ist der Mensch?
Kant hat sehr viel über den Menschen und die Unwiederholbarkeit seiner Persönlichkeit ausgedrückt.
Würde hat keinen Preis, sagt er.
Alles andere in der Welt hat einen Preis,nur der Mensch hat Würde.
Nicht Vernunft unterscheidet den Menschen von allen übrigen Lebewesen, sondern seine Autonomiefähigkeit und seine Würde.
Vielleicht sollten wir als Unternehmer und Manager, die wir von Globalisierungsgesetzen und Verantwortung sprechen, uns eine der entscheidenden Formulierungen des Kategorischen Imperativs zu Herzen nehmen.
„Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest."
Mit Preisen, Tauschwerten und Äquivalenten haben wir es ja Tag und Nacht zu tun. Aber es wird immer dringender, auch über das nachzudenken, was Achtung und Anerkennung für unser gesellschaftliches und individuelles Wohlergehen bedeuten.
Genossinnen und Genossen,
Ich bin mir sicher, das sind keine abstrakten Gedanken, die ich hier äußere.
Arbeit und menschliche Würde ist ein zentrales Thema geblieben, und menschenwürdige Arbeit wird nach wie vor in der Werteskala der Wünsche und Träume der Menschen sehr hoch angesetzt.
Fragt man heute unter erwachsenen Erwerbstätigen, was die Qualität von Arbeit, von guter Arbeit, auszeichnet, ist unter den ersten zehn Punkten alles mögliche zu finden.
Aber Geld steht erst an siebenter Stelle.
74 % der Befragten geben dagegen an: „Ich will bei der Arbeit wie ein Mensch behandelt und als Person geachtet werden."
Genossinnen und Genossen, Anerkennung, Achtung, Würde –
das hat eben keinen Preis.
Zum Schluß möchte ich mit einigen Zitaten aus unserem Godesberger Programm meine Gedanken untermauern. Ich empfehle sehr, dort mal nach zu lesen. Dort heißt es:
„Nur durch eine neue und bessere Ordnung der Gesellschaft öffnet der Mensch den Weg in seine Freiheit.
Diese neue und bessere Ordnung erstrebt der demokratische Sozialismus.
Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität, die aus der gemeinsamen Verbundenheit folgende gegenseitige Verpflichtung, sind die Grundwerte des sozialistischen Wollens.
Der demokratische Sozialismus, der in Europa in christlicher Ethik, im Humanismus und in der klassischen Philosophie verwurzelt ist, will keine letzten Wahrheiten verkünden - nicht aus Verständnislosigkeit und nicht aus Gleichgültigkeit gegenüber den Weltanschauungen oder religiösen Wahrheiten, sondern aus der Achtung vor den Glaubensentscheidungen des Menschen, über deren Inhalt weder eine politische Partei noch der Staat zu bestimmen haben.
Der Sozialismus ist eine dauernde Aufgabe - Freiheit und Gerechtigkeit zu erkämpfen, sie zu bewahren und sich in ihnen zu bewähren.
Anrede
Das wurde 1959 aufgeschrieben und ist heute so aktuell wie damals.
Das ist das moralische Rüstzeug, das wir, als älteste demokratische Partei in Deutschland, den Schwarzen immer wieder entgegenhalten müssen.
Das ist das, was Johannes Rau meint, wenn er sagt: „Wir Sozialdemokraten sind die Schutzmacht der Kleinen Leute.“
Das sind unsere unveräußerlichen Grundwerte, die wir uns von nichts und niemanden nehmen lassen dürfen und die wir auch selber nicht relativieren dürfen.
Das ist der Geist von August Bebel und Willy Brandt, an dem wir all unser politische Handeln messen müssen und messen lassen müssen.
In dieser Beziehung sollten wir ganz konservativ sein.
Damit sind wir unverwechselbar.
Damit gewinnen und behalten wir das Vertrauen der großen demokratischen Mehrheit in Deutschland.
Es ist die Mehrheit der Kleinen Leute.
Ich danke Euch für Eure Aufmerksamkeit.