Rede auf dem ordentlichen SPD Landesparteitag in Oschatz, 09.12.2006
Sprachzauberer, denen die Begriffe „soziale Gerechtigkeit" und „demokratischer Sozialismus" nicht mehr ins Konzept passen.
Wir tun in dieser Koalition in Sachsen unseren Job, so wie es sich gehört und das tun wir sehr gut, aber diese Koalition ist nicht alles. Wir geben uns dabei nicht als Partei auf. Unser Ziel ist nicht die mittigste Mitte, die überlassen wir gerne den anderen, sondern eine Partei mit einem klaren und authentischen, linkem Profil und darin lassen uns von niemanden beirren.
Diese Koalition fordert einen hohen Preis, einerseits mühen wir uns um Bekanntheit, Erkennbarkeit und Sympathien, andererseits haben wir einem Partner der immer wieder Fahrten mit der politischen Geisterbahn unternimmt. Bei einigen von denen reicht Deutschland immer noch von der Maas bis an die Memel und der schändliche Satz vom Schuldkult erinnert an die Leugnung des Holocaust. Wie kann man mit solchen Positionen einen Platz in der Union finden?
Zweifel kommen mir allerdings auch bei vielen modernen Sprachzauberern auf, denen die Begriffe „soziale Gerechtigkeit" und „demokratischer Sozialismus" nicht mehr ins Konzept passen. Als wenn sich die soziale Frage im Wesentlichen erledigt habe und Verteilungsgerechtigkeit hergestellt sei? Und das bei etwa 11 Millionen Menschen in Deutschland, die von Armut bedroht sind, besonders betroffen der Osten. Wie gerecht ist eine Gesellschaft in der die Polarisierung von Armen und Reichen beständig wächst.
Die Mißgunst der Wähler, die uns zu schaffen macht und die etwas mit dem Zweifel an unserer Gerechtigkeitskompetenz zu tun hat, ist auch auf allzu große Nähe zum Neoliberalismus der wirtschaftlich Mächtigen zurückzuführen. Unsere artige sächsische Gefolgschaft bei der Agenda 2010 im Bund hat sich weder bei den Wählern noch bei unseren Parteimitgliedern positiv ausgezahlt. Sie haben uns den Rückengekehrt, die einen zu Millionen und die anderen zu Hunderttausenden.
Hartz IV ist so zum Synonym von Reformen geworden, vor denen man sich fürchten muß.
Eva Stange hat das am Reformationstag in Leipzig so beschrieben, ich zitiere: „Die Menschen sind schon lange skeptisch, wenn jemand davon spricht, daß er Reformen auf den Weg bringen will. (...) Reformen haben die Menschen in den letzten Jahren gelehrt, machen das meiste für die Menschen teurer, nicht unbedingt besser, meist bürokratischer. Es geht dabei um Kostenfaktoren nicht um Menschen. Wem nützen die Reformen? Wer so fragt, ist nicht zukunftsfähig und ist eine Reformbremse.“ soweit Eva.
Je mehr Zeit mit Hartz IV vergeht, umso mehr sind die Risiken und Nebenwirkungen zu spüren. Diese Reform schafft, ob wirs wollen oder nicht, Unsicherheit und Angst und schwächt die Positionen der Arbeitnehmer in den Betrieben, selbst derjenigen, die im Moment nur befürchten, betroffen zu werden.
Gemessen an den Zielen der von uns selbst mit viel Show im Berliner Dom im Sommer 2002 in Szene gesetzten Hartzreformen ist, die Agenda 2010 mit über 2 Mio versprochenen Arbeitsplätzen gescheitert. Zwischenzeitlich war sogar das Wort Gewerkschafter zum Schimpfwort geworden.
Anrede
Heute wird bei uns über Teilhabe und Chancengerechtigkeit fabuliert, gerade so, als wenn uns die überlieferten Maßstäbe abhanden gekommen wären. Ich frage: Wer lässt denn wen, woran teilhaben, und welche Gerechtigkeit ist gemeint?
Nein, es geht nicht um Teilhabe, es geht um erkämpfte Rechte, um unveräußerliche Verfassungsrechte, um das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes. Arme, Arbeitslose und Ausgegrenzte gehören wie jeder andere zur Gesellschaft, mit politischen Rechten, wirtschaftlichen Ansprüchen, bürgerlichen Freiheitsrechten, dem Recht auf Arbeit, auf Bildung, auf Gesundheit und Hilfe in der Not.
Wer Arbeitslosigkeit und Armut als ein individuelles Schicksal, und Ergebnis persönlichem Fehlverhaltens versteht, lässt die Machtverhältnisse in unserem Land völlig außer acht.
Massenarbeitslosigkeit resultiert eben nicht aus mangelnden Bildungsanstrengungen, jedenfalls nicht in erster Linie. Perspektivlosigkeit und Bildungsmüdigkeit junger Leute sind die Folge, nicht Ursache der Mißstände.
Was wir brauchen sind nicht barmherzige Samariter. Wir müssen den Mut haben, die Frage nach gerechter Macht zu stellen. Das ist die alte Frage nach Sozialer Gerechtigkeit, daran ist nichts antiquiert, im Gegenteil.
Wenn wir wirklich einen programmatischen Strategiewandel mit größerem Realitätsbezug wollen, dann müssen wir eine neue Kapitalismuskritik auf die Tagesordnung setzen.
Denn zum ersten Mal in der Geschichte kann man davon sprechen, dass die Gesellschaft und die darin handelnden Menschen Anhängsel von Kapital und Markt geworden sind.
Mit unserer Tradition der Arbeiterbewegung sind wir wie Zwerge, die auf den Schultern von Riesen stehen, mit ganz unterschiedlichen Wurzeln, ob Kommunistisches Manifest oder die Bergpredigt.
Deswegen brauchen uns die kleinen Leute, es ist die große Mehrheit. Wer sonst, wenn nicht wir, kann diese Aufgabe wahrnehmen.
„Alles hat seinen Preis nur der Mensch hat Würde“ hat Kant einmal gesagt.
Für uns als Linke bedeutet das:
Unsere Gesellschaft muß eben mehr sein als die Industrie- und Handelskammer mit anderen Mitteln – viel mehr.
Danke