Dresden, Plenarsaal im Sächsischen Landtag, 12.10.2000
Sachsen auf dem Weg in das Informations- und Telekommunikationszeitalter
Rede zur IT-Entwicklung und Sächsischen Innovationsbörse
Anrede
Wir haben hier schon mehrfach, auch gemeinsam, festgestellt: Die Informationstechnologie hat für die Entwicklung unserer Gesellschaft strategische Bedeutung. Und sie ist eine Querschnittstechnologie. Die IT-Wirtschaft hat mit 771.000 Beschäftigten deutschlandweit bereits die Automobilindustrie hinter sich gelassen.
Die Umsätze mit Information und Kommunikation werden in diesem Jahr die Marke von 200 Mrd DM überschreiten.Das Wachstum der Branche liegt momentan ca. 4 mal über dem Durchschnittswachstum unseres Bruttoinlandsproduktes.
Es gibt in Deutschland wohl keinen Wirtschaftszweig mit einer solchen dynamischen Entwicklung. Die Informations- und Kommunikationsbranche gehört auch weltweit zu den Feldern die dynamisches Wachstum produzieren.
Die IT-Branche durchdringt immer mehr alle unsere Arbeits- und Lebensbereiche. Sie beginnt eine neue Qualität zu entfalten, in dem Maße wie diese neue Ökonomie die alte Ökonomie noch intensiver durchdringt. Darauf müssen wir vorbereitet sein. Vor allem zwei Punkte sind dabei nach meiner Auffassung entscheidend:
Punkt 1: Bildung und Ausbildung
Kreativität und Innovation sind die Voraussetzung für neue Produkte.
Sie sind die Voraussetzung für neue Systeme und Verfahren. Sie sind die Voraussetzung für neue Unternehmen. Sind die Voraussetzung für zukunftsträchtige Jobs.
Das bedeutet: Nur wenn unsere Kinder in der Lage sind, innovativ zu denken, werden sie auch kreative Lösungen erarbeiten können.
Wir müssen also zuerst in die Köpfe, und Gehirne, in know how unserer jungen Menschen investieren, in Bildung, Ausbildung, Weiterbildung, ja ständiger Weiterbildung. Und erst dann lohnen sich Wagniskapital, Gründerzentren und Innovationsbörsen wirklich, wenn sie aufbauen können auf schon entwickelte und geübte Fähigkeiten. Die Internet-Gesellschaft ist in der Realität längst da. Der Zug rast mit zunehmender Geschwindigkeit. Ob wir wollen oder nicht. Die Politik kann davor nicht den Kopf in den Sand stecken. Sie muß diese Entwicklung antizipieren, die künftigen Entwicklungsschritte begreifen.
Das ist kein leichter Job, für Politiker, die immer nur von einer Legislatur zur anderen Denken wollen oder nur können.
Diese Entwicklung der Informations- und Mediengesellschaft muss zuallererst in auch in den Köpfen der Menschen ankommen. Sie muss in den Schulzimmern ankommen. Und sie muss in den Universitäten und Berufsschulen ankommen. Sie muß in den Köpfen der Ministerien ankommen.
Trotz einiger positiver Schritte des Anfangs sind unsere Schulen noch nicht in der Lage, informatikinteressierten und hoch talentierten jungen Menschen genügend, ich sage ausreichend, fachgerechte adäquate Angebote zu machen.
Meine Fraktion setzt sich deshalb für ein flächendeckendes System von Begabtenförderung, in Form von dezentralen Schülerrechenzentren, in ganz Sachsen ein. Darüber haben wir erst unlängst im Landtag gesprochen. Wir sind gespannt, wie lange die CDU-Fraktion zum Lernen braucht. Wir sind gespannt, wann die CDU-Fraktion unsere Idee begriffen hat. Wir sind gespannt, in welcher Sitzung diesen hohen Hauses die CDU-Fraktion unsere Idee als die Ihrige einbringen wird. Wir verzichten dann gerne auf das Copyright
Doch zurück zum Kern: Unsere Berufsschulen sind noch lange nicht im Informations- und Telekommunikationszeitalter angekommen. Ihre Ausstattung ist immer noch ungenügend. Zwar haben die sächsischen Unternehmen die Zahl der Ausbildungsplätze in den IT-Berufen in den letzten Jahren ständig gesteigert, als aber nun endlich nach den neuen Berufsbildern ausgebildet werden konnte, war die Überraschung groß, daß dafür Lehrer, Hardware, Software und Systembetreuer notwendig sein sollen. Völlige Überraschung, wie, wenn plötzlich unvorbereitet Weihnachten ist.
Staatliche Unterstützung ist hier notwendig und verfassungsmäßig geboten, wenn die verarmten Schulträger es nicht packen, weil der Freistaat seine Bilanzen auf Kosten der Kommunen sauber hält. So schnell, wie sich die technischen Standards ändern, müssen sich auch die Studien- und Ausbildungsinhalte ändern.
Das bedeutet Lehrerfortbildungsprogramme außerhalb der Freizeitangebote für Lehrer. Und das bedeutet mehr Lehrer, weil sich dann ein Teil ständig in der Weiterqualifizierungsschleife befinden muß. Leherweiterbildungsprogramme sind keine Hobbyveranstaltungen. Da hat natürlich der Staat, wie jeder Arbeitgeber, seine Verpflichtung und sein Interesse an seinen Mitarbeitern umzusetzen.
Er muß, wie jeder Arbeitgeber seine Mitarbeiter motivieren und nicht schurriegeln. Der Sharholder-value des Bildungssystems kann nur mit zufriedenen Lehrern erreicht werden. Übrigens auch eine Gewähr für die Identifikation mit den Werten unsere sozialen Marktwirtschaft und eine Gewähr für ihre Vermittlungsbereitschaft, diese Werte an die Schüler ehrlichen Herzens weiterzugeben.
Wenn wir hier heute sparen, werden wir in wenigen Jahren teuer bezahlen. Ob das die Buchhalter der Phantasielosigkeit im Finanzmisterium und der Staatskanzlei begreifen? Da habe ich große Zweifel. Uns dazu fällt mir eine Weisheit von Charles F. Kettering ein: "Wir alle sollten uns um die Zukunft sorgen, denn wir werden den Rest unseres Lebens dort verbringen" Und ich füge hinzu, für unsere Kinder und Kindeskinder ist es mehr als der Rest!
Der zweite Aspekt, der mir beim Übergang in die Internetgesellschaft wichtig ist, ist die Innovationsfähigkeit unserer Gesellschaft. Der Anteil der alten Menschen in der deutschen Gesellschaft wächst beständig. Im Jahr 2015 werden in Sachsen nur noch gut 600.000 Menschen unter 20 Jahre alt sein. 1998 waren es noch über 900.000. Das ist ein Rückgang um fast ein Drittel. Im gleichen Zeitraum steigt der Anteil der über 60jährigen von 24 auf 30%. Und in der "Großen Antwort" konnten wir lesen, dass der Anteil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Betrieben, die 50 Jahre und älter sind, auf über 35% in den nächsten Jahren steigt. Meine Damen und Herren, die Innovationsfähigkeit unserer Gesellschaft ist in Gefahr.
Hinzu kommt noch ein spezifisch ostdeutsches und sächsisches Problem: Die Einwohnerzahl des Landes sinkt rapide. Besonders bedrückend ist dabei, dass vor allem die jungen und auch gut ausgebildeten Leute, Sachsen verlassen. Der Einwohnerverlust ist jedoch keine Zwangsläufigkeit. Auch wenn die Regierung so tut. Die Menschen, insbesondere die Jungen unter ihnen, werden wieder hier bleiben (können), wenn das Land in seine wichtigsten Ressourcen investiert.
Die Köpfe der Menschen und Bildung sind die zentralen Standortfaktoren der Zukunft. Das bedeutet: Bildung von heute muss für die Zukunft planen, sie muss aufbauen und nicht abbrechen. Bildung kann ein neuer Industriezweig werden: hier geht es um die Entwicklung vollkommen neuer Lerninstrumente. Und das ist gleichzeitig eine Aufgabe der IT-Industrie. Wir müssen unsere Unternehmen, wie den Staat als Arbeitgeber, ermuntern und unterstützen, noch viel mehr als bisher in die Aus- und Weiterbildung ihrer und seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu investieren. Das Land Sachsen hat in diesem Jahr 200 Mio DM für Strukturanpassungsmaßnahmen wegen fehlender Kofinanzierung durch die Landesregierung nicht abgerufen. Das ist ein Skandal!
Umfassende Investitionen in Bildung, Forschung und Entwicklung sind das wichtigste Element, um die Innovationskraft der Gesellschaft auszubauen. In der Internetgesellschaft kommt es vor allem auf die Intelligenz, auf die Gehirne an. Deshalb geht es nicht nur um Investitionen im materiellen Sinne. Es geht vor allem um die Investitionen in die Köpfe. Die Zukunft Sachsens wird in hohem Masse davon abhängen, wie es gelingt, ein qualitativ hochwertiges und breites Ausbildungssystem zu schaffen. Ich meine keine pontomkinschen Dörfer der Selbstbelobigung.
Die Grundvoraussetzung dafür ist eine Umorientierung im Denken. Die Grundvoraussetzung ist eine neue Herangehensweise an das Lernen. Und hierbei ist die Politik und damit auch die Staatsregierung gefordert.
Wenn wir den Wohlfahrtsstaat erhalten wollen, müssen wir die Chance der digitalen Ökonomie nutzen. Das heißt, für den Staat in die Grundlagen der Internetwirtschaft zu investieren. Und das sind Aus- und Weiterbildung sowie Forschung und Entwicklung. Das bringt Arbeitsplätze für die nächste Generation und sichert das soziale Netz von morgen. Und es bedeutet, Bildung und Wirtschaft miteinander zu vernetzen.
Aufgabe von Staat und Politik ist es, eine entsprechende Umorientierung in der Gesellschaft anzustoßen und - wo es geht - in der Praxis umzusetzen. Ziel ist, die Flexibilität des heutigen Bildungssystem zu erhöhen. Ziel ist, lebensbegleitendes Lernen für alle sicherzustellen. Ziel ist, aus den Schulen und Hochschulen Innovations- und keine Verwaltungszentren zu machen.
Im übrigen, die SPD-Fraktion hat dazu ein Schulgesetzentwurf vorgestellt, der noch eingebracht wird und der genau dies vorsieht. Die Innovationsfähigkeit dieses Landes werden wir nur erhalten können, wenn wir den Menschen hier eine Zukunftsperspektive bieten.
Das ist der Lackmus-Test auf die tatsächliche Fähigkeit, Strukturpolitik auch zu machen und nicht nur hochbezahlte Sprücheklopfer durchs Land zu schicken, die in den armen Regionen unseres Landes bisher nur Botschafter der Traurigkeit sind. Das heißt, Regionen wie die Lausitz dürfen nicht sterben. Die Staatsregierung muß aktiv werden! Sie wird daran gemessen werden.
Für uns heißt das, Alte und Junge müssen ständig - lebensbegleitend - lernen. Dafür müssen wir die Instrumente und Rahmenbedingungen bereitstellen. Wir müssen die Wachstumsbedingungen für klein- und mittelständische Unternehmen verbessern. Eine Innovationsbörse ist dafür - ich zitiere den Minister - "prinzipiell bedenkenswert". Ich übersetze dieses CDU-Spruch gerne.
Es bedeutet nämlich: "die Idee ist ziemlich gut".
Schade eigentlich, dass der Minister so etwas nicht sagen kann, daß er das nicht zugeben kann. Ich habe dafür, das wird Sie überraschen, inzwischen großes Verständnis. Es ist schon anstrengend als sächsischer Eigenlobminister von einer Danksagung zur nächsten zu eilen, von einem Selbstlob zum anderen und dabei von Kanzeltauben und ehrgeizigen Weihrauchschwenkern der eigenen Partei überaus selbstlos begleitet zu werden. Dafür habe ich großes Verständnis.
Die SPD jedenfalls wird dem Antrag der PDS zustimmen.