DNN, 06.05.1999
DGB-Chef sorgt vor Wahl für Wirbel
Ministerpräsident Biedenkopf kritisiert Hanjo Lucassen wegen Engagement für SPD
DRESDEN. Karl-Heinz Kunckel, SPD-Chef, hat allein mit der Aufnahme des DGB-Vorsitzenden Hanjo Lucassen in sein Spitzenteam für den Landtagswahlkampf bei der Regierungspartei CDU mehr Aufregung verursacht als mit der gesamten Oppositionsarbeit der letzten Jahre. Vor knapp zwei Wochen wurde Lucassens Berufung bekannt, wenig später forderte der CDU-Vorsitzende Fritz Hähle den Gewerkschaftschef in einem vierseitigen Offenen Brief auf, sich für die Rücknahme der neuen Bonner Arbeitsmarktgesetze einzusetzen. Der lehnte ab: „Dafür habe ich jahrelang gekämpft.“
Jetzt meldet sich Ministerpräsident Kurt Biedenkopf zu Wort. Lucassens Kandidatur verletze die parteipolitische Neutralität der Gewerkschaften. Er solle zumindest seine Funktion während des Wahlkampfes ruhen lassen. Im übrigen seien bei Landtagswahlen wesentliche Stimmen aus der Arbeitnehmerschaft gekommen. Das weiß Lucassen: „Unsere Mitglieder sind mündige Bürger.“ Sie würden nicht ihre Wahlentscheidung ändern, nur weil der DGB-Chef für eine bestimmte Partei antritt. Seine Kandidatur sei kein Glaubwürdigkeitsproblem innerhalb der Gewerkschaften. Deshalb werde es auch keine DGB- Wahlempfehlung geben. Es gibt nur „Prüfsteine“. Die klingen allerdings über weite Strecken wie das SPD-Programm.
Lucassen hat bis vor fünf Wochen nicht gewußt, was Kunckel mit ihm vorhat. Er hatte sich zwar gewundert, daß der SPD-Vorsitzende ihn aus dem Urlaub heraus zum SPD-Parteitag in Görlitz bat („Du mußt kommen“), um ein Grußwort zu sprechen. Denn seinerzeit hielt er „das Tischtuch für angeschnitten“. Schließlich hatten Gewerkschafter in den vergangenen Jahren vielfach Kritik an der Oppositionsarbeit der SPD im Landtag geübt. Zudem hatte Lucassen in dieser Zeitung die öffentliche Ächtung der PDS durch die SPD kritisiert.
Schon in Görlitz sprach Kunckel von seiner Absicht, Seiteneinsteiger „mit Kompetenz“ in seine Wahlkampfmannschaft zu holen. Aber erst kürzlich erfolgte das Angebot. Lucassen beriet sich mit den Gewerkschaftsspitzen. Einmütig waren sie der Ansicht, daß es wenig Sinn habe, weiterhin der Staatsregierung zu vertrauen. „Uns ist viel versprochen worden, zum Beispiel Änderungen am Personalvertretungsgesetz. Aber passiert ist nichts. Im Gegenteil. Mit seiner Niedriglohnpolitik, der Sabotage des Mindestlohns unterläuft Schommer all unsere Bemühungen.“
Jetzt will Lucassen vom Landtag aus neue Strukturen der Beschäftigungspolitik ins Gespräch bringen. Als Abgeordneter kann er DGB-Chef bleiben, als Minister nicht. Lucassen wäre nicht der erste Gewerkschafter in einem Parlament. IG Bau-Chef Klaus Wiesehügel ist SPD-Bundestagsabgeordneter, Werner Meyer saß als DGB-Vorsitzender mit Biedenkopf im NRW-Landtag und später im Bundestag. Und auch Hermann Rappe war als IG Chemie-Chef bis 1998 Bundestagsabgeordneter. „Und Biedenkopf müßte wissen, daß die Saar-CDU das DGB-Vorstandsmitglied Regina Görne auf die Landesliste setzen will“, sagt Lucassen. Er steht auf der Liste in unmittelbarer Nachbarschaft von
Karl Nolle, einem Druckunternehmer und Arbeitgebervorständler. Der hat zwar in seinem Betrieb die Mitarbeiterbeteiligung eingeführt, verzichtet aber auf einen Betriebsrat, und die zustände Industriegewerkschaft Medien spielt in seiner Firma auch keine Rolle. Am Sonnabend soll ein SPD-Parteitag in Dresden beider Kandidatur absegnen.
(von Manfred G. Stüting)